Das Loch

Das Kind der schreibenden Mutter hat ein Loch im Socken. Es ist ihm nicht angenehm, dass der nackte Zeh mit dem Inneren seines Gummistiefels in Berührung kommt. Beim Spielen im Wald vergisst das Kind das Loch und die Mutter, die heute Morgen beim Frühstück wieder so ein komisches Gesicht gemacht hat. Das Kind kennt sich aus mit den Launen dieser Frau (sie ist die einzige Frau in ihrer vierköpfigen Runde). Ihre Launen haben mit etwas Schrecklichem zu tun, das sie ihren Text nennt. Gegen das strikte Verbot besucht das Kind sie manchmal in ihrem Zimmer. Es öffnet die Tür einen Spalt und sieht das Feuer im Ofen. Die Mutter sitzt in eine Decke gehüllt an ihrem Schreibtisch (ihr Zuhause ist ein Eispalast). Lächelt die Mutter in Richtung Tür, hüpft das Kind schnell auf den Sessel am Feuer. „Aber du musst mich arbeiten lassen!“, sagt sie und starrt auf ihren Zettel. Das Kind merkt, dass sie sich viel mehr für das Kind interessiert als für den Bleistift, mit dem sie ja doch nichts anzufangen weiß. Also erzählt ihr das Kind von seinen neuesten Plänen, gefährliche Verfolger auszuschalten (Säbelzahntiger etc.). Sie unterhält sich mit ihm von ihrem Stuhl aus. Aber dann ist sie plötzlich sauer. „Jetzt musst du aber raus, sonst schaffe ich heute gar nichts mehr.“ Und wie sie ihm nachschaut, dass sie wie eine Gefangene aussieht mit dieser Arbeit, die ihr gar nicht gefällt. Wenn das Kind wüsste, mit was für Dinosauriern seine Mutter kämpft. Wie schlau die sind und wie gemein. Manchmal ruft jemand an, den sie den Lektor nennt. Vor dem Anruf rennt sie hin und her. Nach dem Gespräch weint sie meistens. Dann streicht das Kind ihr übers Haar. „Und eine schlechte Mutter bin ich auch“, sagt sie. „Du hast ja schon wieder ein Loch im Socken.“ Das Kind wackelt mit dem nackten Zeh. Es fragt: „Wenn eine Anakonda mit einer Speikobra kämpft? Wer von beiden gewinnt dann, Mama?“