Jetzt kommt schon …

… das erste Problem, das genau mit dem zusammenhängt, worum es bei euch geht. Eigentlich wollte ich über den Ausdruck „Bei ihr kommt die Arbeit an erster und die Familie an zweiter Stelle“ schreiben, der mich traurig machen kann. Als würde ich als arbeitende Mutter mich entscheiden müssen, ob ich Mutter sein will oder Schriftstellerin. Als wären diese beiden Positionen im Leben ein derartiger Widerspruch, dass, wenn man das eine gerade lebt, das andere nicht mehr existiert, als würde das eine das andere ausschließen. Darüber wollte ich schreiben, dass mich dieser gesellschaftliche Ausschluss der Kunst innerhalb einer Mutterschaft und umgekehrt so verunsichert, dass ich sowohl an mir als Mutter als auch an mir als Schriftstellerin zweifle. Und ich wollte schreiben, wie wütend mich das macht, denn es ist meine Energie, die ich aufbringen muss, die ich vergeude, für etwas, das in unser aller Köpfe nicht mehr so getragen werden soll.
Ich habe aber die Winterferien vergessen, die es bei uns nun gibt und die bedeuten, das ältere Kind ist nicht in der Schule, und somit müssen wir uns ein bisschen neu aufteilen. Heinz fährt nach Bremen, um zu unterrichten, und ich schreibe normalerweise dann, wenn die kleine Tochter schläft, nun fahre ich aber weg mit den beiden Kindern, damit die ältere Skifahren kann, und dort könnte ich dann erst schreiben, wenn beide im Bett sind, und dann bin ich aber wohl auch sehr müde.
So ist es mit den Kindern.

vom aufstören

aufstören, irritare, excitare, turbare:
ein wespennest aufstören;
aus dem schlaf oder traum aufstören;

(Wörterbuch der Gebrüder Grimm)

vor etwa einem jahr nähert sich mein schreibprojekt du, alice dem ende. zumindest, was das schreiben anbelangt. und also beginne ich mit dem überarbeiten. lese und lese immer wieder. stelle fest, dass ich etwa 120 seiten am stück lesen muss, weil ich sonst den faden verliere, nicht überblicken kann, ob die chronologie stimmt, ob ich irgendetwas übersehen oder einfach falsch geschrieben habe. stelle auch fest, dass jene zeitfenster, innerhalb derer ich seit jahren so gut arbeite, auf einmal nicht mehr genügen. und nehme also den laptop vom schreibtisch mit in unsere küche, ein offener raum, der ort, wo wir uns als familie treffen, miteinander essen, zeit verbringen, ungestört sind. und erinnere in diesem moment einen text von julia franck, vor jahren schon in der FAZ veröffentlicht, in dem sie eindringlich beschreibt, wie schlimm sie es empfindet, wenn sie beim schreiben von ihren kindern aufgestört wird, weil sie angst vor ihrem eigenen gesichtsausdruck hat, vor dem ernst, ihrem sichtbaren abwesendsein, der gefühlten unfähigkeit, von einer welt schnell in die andere zu wechseln, und die damit verbundene sorge, wieder die kinder zu verstören, und erst jetzt, als ich meinen text nicht loslassen kann, zwischen kochen, aufräumen und sonstigem einfach immer weiter lese, überarbeite, ich irgendwie gar nicht so richtig da bin, verstehe ich, was sie meint, und schrecke auch hoch, als mein jüngeres kind auf einmal sagt, dass das schlimm sei, was ich da schreiben würde, und das entsetzen in seinem blick, und ich weiß, dass ich nur noch versuchen kann, den schreck abzumildern, vielleicht seine angst davor, nicht nachvollziehen zu können, was ein naher mensch schreibt, in sich trägt, hier offen zur schau stellt, und es liest ausgerechnet die stellen über den brustkrebs bei alice james, und fragt, warum ich darüber schreibe, was das für einen sinn macht, und warum ich so schreibe, wie ich schreibe, und ich versuche es zu erklären, versuche auch, den text mit seinen augen zu sehen, das abrupte hineinfallen, ungefiltert, versuche weiter, ihm ein wenig den schrecken zu nehmen, aber ich weiß nicht, ob es gelingt, weiß nur, dass ich froh bin, als die tage des überarbeitens vorbei sind, und ich wieder in meine zeitfenster zurückkehren kann, in denen mich kaum jemand aufstören kann, weil sie wie eine eigene welt sind und auch so funktionieren, und manchmal finde ich das gut, gerade im hinblick auf die kinder, und manchmal finde ich es schwierig und anstrengend, auch im hinblick auf die kinder, denn vielleicht ist so ein aufstören manchmal ganz gut, das herausgerissen werden aus dem eigenen text, der plötzlichen distanz dazu, und dem wichtigen versuch, das eigene schreiben zu erklären. vielleicht.

Post aus Moskau

Frau mit Kind: Es ist zu schwierig, ich packe das nicht. Ich habe eine postnatale Depression, Schlafentzug, wanke vor mich hin. Ich träume nur von einem: einen ganz Tag lang alleine zu bleiben und mich auszuruhen. Ich habe mehrere Dammrisse, wurde ohne Narkose zusammengenäht, leide an Inkontinenz … Mein Mann hatte versprochen, die Hälfte der Verpflichtungen auf sich zu nehmen, jetzt muss ich ständig auf ihn einreden und kontrollieren, ob er überhaupt etwas macht. Er besteht auf Sex, ist sauer, wenn ich ihm sage, dass es noch zu früh für mich ist. Das Geld reicht nur fürs Allernötigste. Das hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt.
Die Gesellschaft: Was hast du denn erwartet? Wo war dein Hirn geblieben? Der Kopf gehört auf die Schultern und die Beine auf den Boden! Im Internet wird doch alles ausführlich beschrieben! Wäre es so schwierig gewesen, dich vorher zu informieren? So etwas von verantwortungslos. Nur für sich bringt man ein Kind auf die Welt!
Frau ohne Kind: Ich habe das Internet durchsucht, um zu verstehen, wie sich mein Leben nach der Geburt verändern wird, Erfahrungsberichte von Müttern gelesen, Pros und Kontras abgewogen und eine Entscheidung getroffen: Ich werde keine Kinder auf die Welt bringen.
Die Gesellschaft: Was für eine Egoistin! Wofür hat dich die Natur denn mit Brust und Gebärmutter ausgestattet? Was stimmt nicht mit dir? Fehlt es dir an Selbstvertrauen? Hast du Komplexe? Wie lächerlich, du wirst unbedingt noch Kinder haben wollen! Warum bist du dir so sicher, dass alles schief laufen wird? Mit der Einstellung kannst du dich ja gleich ins Grab legen und den Deckel zuklappen. Du hast Angst vor dem Leben! Wir alle haben Kinder auf die Welt gebracht. Ein riesiges Glück ist das! Das Näschen, die Äuglein, ein wahres Wunder! Ja, schade, hübsch bist du ja schon, könntest deinen Liebsten wundervolle Kinder bescheren. Lieber lässt du die Menschheit aussterben!

Quelle: Facebook-Post der russischen Feministin Daria Chaban.
Posts wie dieser haben eine regelrechte Hetze gegen sie ausgelöst.
Übersetzung aus dem Russischen: Marina Skalova

Das Warum mit den schrecklichen Klauen

Zu wenigen Kinderbüchern hat A. ein so intensives Verhältnis wie zum Grüffelo. Ganz lange durfte der nicht mal irgendwo sichtbar herumliegen, das war ihr schon zu gruselig. Dann irgendwann, als ich ihn ihr, ganz vorsichtig natürlich, zum ersten Mal seit Monaten wieder vorgelesen hatte, war er plötzlich gar nicht mehr wegzudenken aus ihrem Geschichtenreservoir. Und immer wenn uns jemand besuchen kam, musste die oder der natürlich gleich einmal mit A. den Grüffelo lesen. Eines Tages kommt A. auf die Idee, dass das Buch noch weitergehen müsse. Sie möchte [Spoilerwarnung], dass der Grüffelo, nachdem er die Flucht vor der Maus ergriffen hat, noch einmal zurückkommt und dann tatsächlich von der Maus gefressen wird. Erst denke ich, A. würde die Vorstellung lustig finden, dass die winzige Maus den riesigen Grüffelo runterschluckt, aber A. sieht nicht sehr belustigt aus, als ich das neue, blutrünstige Ende vortrage. Dann frage ich sie: Ist das, weil du Angst vorm Grüffelo hast? Nein, Papa, das ist doch nur ein Buch, sagt sie. Warum frisst die Maus denn den Grüffelo, frage ich. A. guckt im Zimmer herum, dann sagt sie etwas verärgert: Einfach so, Papa. Dann steht sie auf und geht zum Maltisch, und ich ärgere mich über mich selbst und nehme mir vor, mich häufiger daran zu erinnern, dass ‚Warum?‘ für manche Geschichten eine blöde Frage ist.