Morsezeichen zwischen Fürsorge und Text. Chronik einer Schreibresidenz mit Engel

Eins ist die erste Woche mit Kindern im Stipendium. Sie kommen, um zu bleiben. Wie das so ist mit Kindern. Corona hat der Vereinbarkeitslüge ihr letztes Hemd vom Leib gerissen. Was bleibt, sind die Kinder und ich.
Der Engel ist schon da. Mit weit ausgebreiteten Flügeln geht er durch die Räume und lächelt. Sein Lächeln gleicht einer Wolke. Die Haare fallen ordentlich und gerade auf den Rücken, wie Regen, der in langen Tropfen vom Himmel fällt. Er trägt eine Schürze. Der Engel ist schon so lange da. Er hat kein Geschlecht, aber wenn ich ihm eines geben müsste, dann das einer Frau. Der Engel hat das Haar, die Finger, das Lächeln, und auch den gütigen Blick einer Frau.

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Überhaupt diese Nächte, und vier, sie tragen mich durch die Tage, an denen ich wie eine Alkoholikerin nur auf den Abend warte, um mir die Worte hinter die Binse zu kippen, ich sehne mich nach den Momenten, an denen meine Finger über die Tastatur fliegen, die Arztpraxen geschlossen sind und selbst Zecken schlafen. Meine Nächte sind süß und immer steigt ein Kind zu mir in den Traum und wenn ich dann wach werde, liegt sein kleiner Körper neben mir, mit all seiner Wärme und diesem Geruch nach Ewigkeit, den nur Kinderkörper verstreuen können, Atemzug um Atemzug. Und ich weiß, dass es richtig ist, dass die Kinder hier sind, dass es so sein muss, denn nur so hat endlich auch die Zerrissenheit ein Ende, das hier und dort sein, mental load auf Distanz, wer holt jetzt die Kinder aus der Schule während ich in der Schreibresidenz bin, wenigstens das hat ein Ende.

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Siebenmal drehe ich den Kaiserschmarren in der Pfanne. Der Teig klebt. In der Residenz gibt es kein Zimt und keinen Zucker. So ist das eben, wenn man nur vorübergehend irgendwo wohnt. Alles fehlt, Zimt und Zucker, die richtige Pfanne, vor allem die Waschmaschine, ruft der Engel dazwischen. Den Schmarren schmeiße ich in den Müll und drehe die Hemden der Kinder einfach auf die andere Seite. Ich hole einen Apfelkuchen aus dem Tiefkühlfach und stecke eine Kerze drauf. An diesem Tag habe ich zehn Seiten geschrieben, das tröstet mich und macht mich glücklich, denn wenn ich zu Hause bin, dann backe ich selbst den Kuchen, dann wasche ich, putze, räume auf und schreibe nicht.

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Acht Uhr ist schon lange vorbei und er hat Tränen in den Augen. Ehrlich Mama, ich habe nur mit dem Steinmonster gespielt, so und so und so. Er macht die Bewegungen nach, lässt das Monster nochmal über den Nachttisch gleiten, es hüpft über die Lampe. Das muss der Moment sein, an dem das Monster den Lampenschirm zerschlug.
Ich seufze, schüttele den Kopf. Mein Kind fängt wieder an zu weinen.
Wenn man in einer Schreibresidenz mit seinen Kindern ist, dann muss man dazu auch die richtigen Kinder haben. Sie müssen brav sein und stillhalten können und nichts kaputt machen. Sie müssen gut erzogen sein, wie Schreibresidenzkinder, die sich woanders so benehmen, als wären sie nicht zu Hause. Nicht dort, wo sie rumtoben können, wo auch mal was kaputt gehen kann, weil man ist ja zu Hause ist. Am besten, man hat keine Kinder, dann kann auch nichts kaputtgehen, in der Schreibresidenz wird dann nur geschrieben, wie es sich gehört. Das findet auch der Engel.

Auszüge aus einem längeren Prosatext

PoetinnenTreffen

Den sich wölbenden Bauch verbarg ich unter weiten Hemden. Vielleicht war ich die erste Schwangere, die einen Poetry-Slam gewann. Der blaue Renault Twingo war ein Geschenk, kein Ersatz für einen Partner. Poetinnen waren es schon, solche, mit denen Schreiben ging und Lesen und Teetrinken bei Kerzenschein. So eine war S. Sie sagte:
– Ich bin bei der Geburt dabei..
Den Twingo ließ ich am Studienort, genau wie alle Babysachen, keine bösen Geister wecken bei dieser letzten Reise.
Drei Uhr morgens, die Stimme klang nicht mal verschlafen.
– Können Sie bitte eine Textnachricht an S. verschicken?
– Selbstverständlich, welche?
– Ich habe einen Blasensprung!
Die Frau am anderen Ende der Leitung räusperte sich und tippte.
– Ich wünsche gute Besserung.
– Das ist keine Krankheit!
Eine Wehenwelle riss mich mit, ich wunderte mich über meine Kraft, noch Worte zu finden.
S. setzte sich in den blauen Twingo und fuhr die 700 km ohne Pause. Mein Poetenkind wurde eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft geboren.

Ein Beitrag aus der Reihe Etwas von Schiefer. Texte zur Geburt.

Heute gehen meine Kinder …

… zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder in die Schule. Sechs Monate, in denen ich alles war. Von der Lehrerin über Lernbegleiterin, Krankenschwester, Freizeitgruppe bis zur Mutter, dies vor allem. In der Nacht liege ich wach und überlege, ob ich meine Kinder wohl auch bekommen hätte, wenn mir vorher klar gewesen wäre, dass die Gesellschaft mich bei der ersten großen Krise allein mit ihnen lässt. Ich muss an meine Texte für Aufträge denken, die in dieser Zeit entstanden sind und an denen ich eigentlich lieber noch viel länger gearbeitet hätte. Ich versuche nicht an den Roman zu denken, an dem ich viel zu wenig geschrieben habe. Ich tröste mich mit dem Interview, bei dem ich die Kinder mit Currywurst abgefüttert habe, damit sie mich mit dem Journalisten reden lassen und der dann sogar die Rechnung übernommen hat. Ich liege still und versuche nochmal einzuschlafen.
Der Schlaf kommt nicht, aber die Antwort kommt mit dem Atmen und sie ist ja. Ein ja für diese Nacht und jede andere, diese vielen, unzähligen, die waren und noch sein werden, in denen wachen, nicht schlafen, sich verlassen fühlen, Angst haben auch den Takt angeben, als wären sie Zeitmesser einer Ewigkeit. Diese vielen Stunden, in denen ich in die Dunkelheit starre, eingraviert in mein Gedächtnis, die mich umfängt, von Anfang an. Und der Glaube daran, dass immer jemand bei mir sein wird. Und so werde ich nicht aufhören, für die Kinder zu sorgen und trotzdem weiter zu schreiben, darüber und über alles andere auch, solange ich bin.

Zwischenruf oder: Was ich als Care-Autorin erwarten kann (und was nicht)

Einige Nächte habe ich mir vor der Bewerbung als Regionsschreiberin den Kopf zerbrochen, wie das gehen sollte – einfach aussteigen, vier Monate Präsenzpflicht und die Kinder müssen doch in die Schule, zum Sport, zur Logopädin, wollen essen, getröstet werden, brauchen jemanden, der ihnen zuhört, Mut zuspricht. Bevor ich die Bewerbung abschickte, las ich online ein Interview mit einem Autor aus dem vorigen Durchgang – dem einzigen von zehn Teilnehmern mit Kindern, so wie auch ich in diesem Jahr von zehn AutorInnen die einzige mit Kindern sein würde –, in dem er deutlich machte, dass er nicht die ganze Zeit vor Ort sein konnte, Familie eben. Dieser Text in meinem Kopf war die geistige Briefmarke, die ich auf meinen Antrag klebte. Doch als ich auf Versenden drückte, flatterte auch mein Mut mit dem knisternden Geräusch eines sich leerenden E-Mail-Ordners davon. Der Wunsch, doch wieder eine Absage zu bekommen, um nicht dieser ständigen Zerrissenheit ausgeliefert zu sein, war auf einmal sehr mächtig.
Nach der Zusage wurde die Organisation ein komplexes Gebäude aus vielen Etagen, der Traum davon, den Engel auszusperren, wurde in den Wind und auf Sand gebaut, ein mit neunzig Seiten vollgeschriebenes Heft, der Alltag meiner Kinder durchgetaktet vom Aufwachen bis zum Einschlafen, wer macht was und vor allem wann, ich hätte es genau gewusst, auf achthundert Kilometer Distanz, jeden Atemzug meiner Gören mit geschlossenen Augen und sogar ohne Wifi an Ort und Stelle benennen können, wenn nicht Corona gekommen wäre, das mein organisatorisches Kunstwerk wie ein Kartenhaus zusammenbrechen ließ.
Corona, und an Schule oder Betreuung war nicht mehr zu denken. Die Residenz wurde aber nicht abgesagt, der Aufenthalt verlängert. Sobald die Lockerungen kamen, habe ich die Kinder einfach mitgenommen. Auch andere SchreiberInnen waren in dieser liminalen Corona-Zeit nicht allein im Stipendium, Partner, Haustiere – AutorInnen haben eben nicht nur Stifte und Papier, sondern auch ihr ganzes Leben im Gepäck. Eine befreundete Stipendiatin musste für die Anwesenheit des Partners aus der eigenen Tasche zahlen, so auch ich für meine Kids. Offenbar gibt es (noch) keine Töpfe für Care-AutorInnen, offenbar hat man sich weiter oben (noch) keine Gedanken gemacht, dass auch AutorInnen einen Alltag haben mit Anhang und dem ganzen Gedöns. Dafür braucht es mehr als nur ein Zimmer mit Bett und Tisch.

Maske

Gleich nach dem Aufstehen wirst du die Maske für ihn fertig nähen. Dieses Stück schwarzer Stoff mit drei roten Herzen darauf. Die Herzen sind mit Wachsstift gemalt und dir beim Bügeln verlaufen, sie sehen wie verzerrte Kussmünder aus.
Vor ein paar Tagen hat M. neben dir vor dem Bügelbrett gestanden, das schwarze Stück Stoff in die Hand genommen und gefragt, ob du das gemalt hättest. Du hast genickt und in deinem Kopf die Stiche gezählt, die du noch vor dir hattest, um den ganzen Haushalt mit Schutzmasken zu versehen, es waren unendlich viele.
Ob er die Maske haben könnte, wenn sie fertig wäre, hat dich M. gefragt und du gesagt, selbstverständlich. Damals hast du gelächelt. Du hast gelächelt, weil du es magst, das M. gerne mit femininem Design Blicke auf sich zieht. Du hattest dich an M. gewöhnt, an seine Schwäche für Schönheitsprodukte, er konnte die Marke deines Parfums am Geruch erraten und gab dir Tipps bezüglich Cremes für alle Hauttypen deiner Familie.
Einmal hast du im Garten gestanden, als M. gerade von einer seiner Touren zurückkam. Eine befreundete Mutter hatte dir schon auf WhatsApp erzählt, dass sie euren Aupairjungen ja auffällig oft durch die Straßen ziehen sehen würde. Als Apothekerin arbeitete sie trotz Lockdown weiter.
Er brauche halt Bewegung, das wäre so bei jungen Männern, hast du geantwortet. Und nicht weiter darüber nachgedacht.
Als M. durch das Gartentor trat, nicktest du freundlich, und es wäre dir auch gar nichts aufgefallen, wenn er nicht auf dich zugekommen wäre, auf sein Gesicht gezeigt hätte und dich fragte, was du davon halten würdest.
Du musstest zweimal hinschauen, um die auf sein Gesicht gezeichneten Sommersprossen zu entdecken.
Ja, sehr schön, hast du gesagt, irritiert gelacht, weil du unsicher warst, was von dir erwartet wurde.
Es sei eine Herausforderung auf Facebook gewesen, die er angenommen hätte.
Aha, hast du gesagt und dann war er auch schon weg, und du hast dich gewundert, was das für junge Leute sind, heute, die sich gegenseitig herausfordern, sich Sommersprossen auf die Nase zu malen, und damit durch von der Pandemie leergefegten Straßen zu laufen. Aber vielleicht war auch das Corona, die Jugend musste sich irgendwie zu beschäftigen wissen und dann halt so, herumlaufen, geschminkt, sieht ja eh keiner.
Heute tut es dir leid, dass du nicht verstanden hat, dass M. in dir eine Freundin suchte, eine Vertraute, eine erfahrene Frau, die er um Rat fragen, vielleicht sogar um Unterstützung bitten konnte, du hast die Zeichen nicht deuten können, hast nicht verstanden, dass du es warst, die um Hilfe gebeten wurde. Du wolltest M. einfach als Hilfe für dich, damit du deine Arbeit machen konntest, während er die Kinder versorgte. Sich um sie kümmerte, hinter verschlossener Tür, um dir deine Ruhe zu lassen, dein Zimmer für dich allein.

Auszug aus einer längeren Erzählung