Es geht mir sehr gut,

sagt eine Infografik in der ZEIT. Ich bin ein dunkel- oder blasser blauer Punkt auf dem Gehaltsvergleichsstadtplan. Dunkelblau ist Premium, rot gefährlich. Wo ich wohne, da wird richtig Geld verdient – und ich darf mich im Blaupunkt-Gutverdiener-Glückshormone-Kiez so fühlen als ob. Und will nicht daran denken, ob mein Irgendwieverdienen ein echtes Supertollverdienen vom noblen Dunkelblau zu Mainstreamblau verwässert hat. Will nur daran erinnern, dass auch über hundertmarkscheinblauer Lebensstandardvisualisierung seit Wochen grauer Himmel dominiert.

Das mit den azuren Werten dürfte meinem schulanfängeralten Sohn gefallen. Und mich fragen, was meine Lieblingsfarbe sei. Und, sobald ich Antwort gegeben hätte, sagen: Ich weiß. Orange. Oder Orange bis Gelb. Wie bei den Apfelsinen, die er nicht isst, doch deren Saft er trinkt. So ein Orange dringt auch in unser Leben. Die Tulpen, die dort in Vasen stehen, wo ich gerade schreibe (und wo ich meist gerade schreibe, wenn auch verquer), weisen orange Töne auf. Und orange Punkte gehen in die Klasse meines Großen (der das „Konzept“ von Armut theoretisch kennt), und orange Punkte betreuen meinen Kleinen in der Kita. Und rote Punkte sitzen an den Kassen in den Supermärkten, und orange Fahrzeuge holen all die Hüllen ab, die wir ständig ablegen, nicht brauchen für unsere Metamorphosen vom Gleichen zum Selben. „Aber Orange!“, würde der Kleine hingerissen schreien, mit einer Handvoll Silben für Orangewerte plädieren. „Wo ist Müllauto, wo ist Kehrmaschine?“ (in Gutverdiener-Hochdeutsch übersetzt). Und ich kann oft nur sagen: Weiß nicht, hat sich im Blauen verloren. Wollen wir was malen? Am besten alles rosa. Mit orangen Sommersprossen.

Same Work But Different: Linn Penelope Micklitz

Hatte Deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch? Welchen?
Linn Penelope Micklitz: Als die Arbeit an meinem Buch beendet war, ist mein Kind wenige Monate alt gewesen. Ich schreibe eher aus der anderen Perspektive: der einer Tochter. Das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern ist Fokus im Text, den ich nicht mal bewusst anvisiert habe, er hat sich wie von selbst eingeschrieben.

Stehst Du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?
Linn Penelope Micklitz: Nein. Die Kinderbetreuung ist bei uns insofern keine Schuldfrage, als das wir von Anfang an wussten: Keine familiäre Unterstützung in Leipzig, wir müssen das zu zweit machen. Es gilt die 50-50 Regel. Wer plötzlich mehr zu tun hat, gibt rechtzeitig bescheid, dann wird umgeplant. Das betrifft uns als Selbstständige regelmäßig und ich finde es schön, dass wir einander so viel möglich machen.

Was hältst Du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für Dich stimmig?
Linn Penelope Micklitz: Nicht wirklich. Das ist mir vor allem kurz vor der Geburt bewusst geworden. Ich hatte während der Schwangerschaft zwei Mal richtig Panik, weil mich die Erkenntnis überwältigt hat, dass dieser Mensch aus mir heraus kommen muss. Dass es da kein Zurück gibt. Es ging mir da nicht um die Tatsache, dass ich das Muttersein als solches fürchtete, sondern um diesen rein körperlichen Aspekt des Ausgeliefertseins. Es gibt kein Zurück. Du wirst gebären müssen. Und zwar nicht dann, wenn du bereit bist, sondern wenn es eben losgeht. Ich kontrolliere viel, um mich nicht hilflos fühlen zu müssen. Diese Erkenntnis hat mich so hilflos gemacht, wie nichts zuvor. Bei einem Buch liegt die Entscheidung schlussendlich für alles bei dir, du kannst zumindest immer sagen: Ich mache einen Rückzieher.

Auf welches Stipendium hast Du Dich nicht beworben, weil Du Kinder hast?
Linn Penelope Micklitz: Auf so ziemlich alle, die mit einem Aufenthalt an anderen Orten einhergehen. Das kommt vielleicht wieder, wenn mein Kind drei wird dieses Jahr. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass mein Kind mir auch eine willkommene Ausrede ist. Ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch und Alltagsliebhaberin. Zu verreisen und mich irgendwo einleben zu müssen, macht mir Angst. Also eher ein Vorsatz: Wenn der dritte Geburtstag durch ist, überwinde ich mich vielleicht mal.

Welche*n other writer würdest Du gern zufällig auf einem Spielplatz treffen und worüber würdest Du mit ihm*ihr sprechen?
Linn Penelope Micklitz: Mit Ricarda Kiel über all das Kluge, was in den Briefen an Bettina Wilpert steht.

Linn Penelope Micklitz‘ Debüt Abraum, schilfern erschien im Oktober 2022 im Verlag Trottoir Noir.

Other Writers trifft Café Entropy: David Blum beim Backstein, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

Das Backstein wird für mich auf immer mit dem ersten Corona-Lockdown verbunden sein. Mit der Zeit, als die Spielplätze gesperrt waren und sogar vor den Stockhütten in den Wäldern Flatterband hing. Alles, womit sich die Kinder beschäftigen konnten, war aus dem Spiel genommen – fast alles. Denn beim Backstein gab es eine Schaukel für die kleinen Gäste, die die Flatterbandanbringer übersehen hatten. Die Kinder hatten sich für diese Schaukel kaum interessiert, wenn wir mal in der Gegend waren, das Labyrinth aus knallgrünen Kunstzweigen nebenan war verlockender. Doch in diesen Tagen, an denen gar nichts ging, wussten wir von der einzigen Schaukel der Welt. Das Backstein hatte selbstverständlich geschlossen, aber in der Auslage waren Dekobackteilchen zurückgelassen worden, die von Tag zu Tag leckerer aussahen.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du Kinder hast?
Es gibt eigens eingerichtete Kindercafés – das sagt doch eigentlich schon alles. Oder zumindest ziemlich viel. Das Konzept Café muss an die Anwesenheit von Kindern angepasst werden – beides scheint sich also zu widersprechen. Und da der Erholung- bzw. Entspannungsansatz beständig mit dem Entdeckerdrang der Kinder kollidiert, verbringe ich relativ wenig Zeit in Cafés, seitdem die Kinder da sind.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?
Nicht die Café-Zeit verändert sich, sondern die Zeit an sich. Sie kann sich unglaublich ausdehnen und doch zu knapp sein. Man ist – in Gedanken – immer einen Schritt voraus und doch zu langsam. Die Kinder mit ins Café zu nehmen, bedeutet, bereits wieder auf dem Heimweg zu sein. All das zumindest, wenn es keine gut eingerichtete Kinderspielecke gibt.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

Same Work But Different: Sibylla Vričić Hausmann

Welchen Einfluss hatte deine Mutterschaft auf die alltägliche Schreibarbeit?
Sibylla Vričić Hausmann: Mal hemmt sie mich, mal hilft sie mir, immer strukturiert sie meine Abläufe mit. Eine kurzfristig bestehende schöne Balance zwischen Schreibzeit und Freizeit mit meiner Tochter im Sommer hat dazu geführt, dass ich das Buch 2022 fertig bekommen habe.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?
Sibylla Vričić Hausmann: Ich habe die Bücher auf der Frankfurter Buchmesse von meiner Verlegerin persönlich überreicht bekommen.

Hast du das Erscheinen des Buches gefeiert? Wenn ja, wie?
Sibylla Vričić Hausmann: Ich habe mir ein Stück Frankfurter Kranz gekauft.

Wenn dich vor der Kita oder vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?
Sibylla Vričić Hausmann: Es geht darum, wie das innere Kind mit seiner Wut fertig werden kann.

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?
Sibylla Vričić Hausmann: Der Vergleich ist stimmig, allerdings entwickelt sich ein Buch nach seinem Erscheinen nicht mehr weiter. Es ist eben kein Lebewesen.

Sibylla Vričić Hausmanns Gedichtband meine Faust erschien im Oktober 2022 bei kookbooks.

„Tochter*Sohn“ schreiben / „Mutter*Vater“ schreiben

Mein Vater gratuliert mir zu meinem Video anlässlich des Lesens um den Dresdner Lyrikpreis. Er schreibt: „Gut gemacht, mein Sohn!“ Und ich frage mich seit langem einmal wieder, was er damit eigentlich meint? Und wen? Ich komme auf irgendwas von früher, etwas sehr Sohnhaftes, auf Dinge am Anfang meines Lebens, etwas bereits Vergangenes. Eine Verbindung, bei der ich Angst habe, dass sie auch zwischen mir und meinen Kindern irgendwann vergeht.
Ich kann die Frage nicht beantworten, wann ich eigentlich meiner Meinung nach aufgehört habe, richtig Sohn zu sein (für den väterlichen Teil). Vielleicht mit der Geburt meiner Kinder, für die sich mein Vater, also ihr Großvater, bis heute nicht sonderlich interessiert. Mit der Geburt seiner Enkel, als Großvater in Theorie, für die ihm noch mehr die Vorstellungskraft zu einer Rolle fehlt als für mich und meine Geschwister? Vielleicht habe ich mein Sohn-Sein abgegeben an meine eigenen Kinder, zusammen mit der Hoffnung, selbst Vater zu bleiben, ein Großvater zu werden, vielleicht.
Und ich wundere mich kurz über das Fehlen der Erkenntnis, über eine augenscheinliche Einseitigkeit des Verlustes, zumindest aber über die feste und doch traurige Behauptung, dass ich immer noch vollständig Sohn sei. Dabei enden unsere wenigen Gespräche seit vielen Jahren in etwas anderem als einer Übereinkunft oder einer Idee, die von einer Vater- oder Sohn-Person getragen wird.
Selten ist man machtloser als im Tochter- oder Sohn-Sein. Der Bezeichnung, der Nennung. Wir alle haben das Gefühl, in den Filmen, die wir schauen, den Büchern, in denen sich jemand von seinem Kind-Sein losspricht, freischreit, dass sie*er dies vergeblich tut. Die Biologie ist ein Steinchen, das als Totschlaghammer funktioniert, für viele ein Metallschloss mit Bolzen. Nur in wenigen Beziehungen glauben wir mehr an Biologie als hier.
Zurück zur Nachricht. Hinzu kommt, dass die Rolle als Vater für ihn ganz ausschließlich im Guten funktioniert. Immer muss man sich vor einem Stolz ducken, ein Ruhm sein ohne späteren Verdienst. Ich bin ihm nicht böse, es mangelt mir nur inzwischen selbst an Willen. Und der Resignation vor der Abwesenheit einer Abstufung dieses einen Begriffs: Vater. Weniger gibt es nicht, allein schon aus Schutz. Ich stelle mir eine Umbenennung durch meine Kinder von „Vater“ zu etwas anderem vor. Grauenhaft, ein zementierter Vorgarten als Gefühl. Es mangelt uns an Sprache aus Rücksicht.
Was bleibt, sind Versuche. Ich schreibe „Va“ im Versuch, zu entsagen, in Nuancen zu entsohnen. Es fehlt eine Alternative, eine Abstufung, in der Dinge wie Präsenz, Gegenseitigkeit, Zuneigung und Zeit Berücksichtigung finden, auch wenn sie verletzen. Denn es würden in anderen Fällen, nicht dem meinen, auch bösere Dinge eingehen.
„Retav!“, „Vraet!“. Auf beiden Seiten. „Onsh!“, „Nosh!“. Mir fehlt ein Wort für „Sohn“, das die dunkle Aufregung ausdrückt, in die ich im Bemühen um Beziehung manchmal gerate.

Sorgearbeiten

nach Eduardo C. Corral

Sorge in Rotphasen messen, Staulängen.
Namen finden für Sorge: Kindernamen. Kosenamen.
Beim Versuch, Sorge mit Zucker zu füttern, ihn unten wieder hinausrieseln sehen.
Wie Sorge auf dem Dach des Haltestellenhäuschens sitzt und den Bus durchwinkt, auf den du wartest, Mehltüten und Flaschenmilch in beiden Händen!
Im Fitnessstudio statt Step-Aerobics die 5 Kilo-Sorge stemmen.
DIY fürs Wochenende: Aus Hausstaub und Hornschüppchen Sorgenbecher formen.
Sorge, wie sie aus Unterarmen quillt, die vielleicht nie vernarben.
Sorge zum Kummerbund binden.
Die Mundwinkel von Sorge mit Pfeilern abstützen.
Im einen Moment sträubt Sorge sich gegen das Streicheln, im nächsten schnurrt sie dir wieder ums Knie.
Mit dem Rohrstock auf die Sorge-Piñata eindreschen, bis sie Süßigkeiten bricht.
Ein paar Sprühstöße Eau de Souci auftragen: elektrisch-staubiger Gestank nach warmem Polyestertextil.
Auch auf Englisch care und worry kollabieren: Carry deine Sorge.
Sorge strickt eine Balaklava, raurechts, ohne Aussparungen für Augen, Mund.
Sorge zu Hirn, wie Hitze zu Pop-Corn.
Den Gummi an deinem Handgelenk schnalzen lassen, damit die Sorge ausfällt.
Bevor du dir eine Sorge anschaffst, mach dir klar, wie viele Sorgen jedes Jahr zu Ferienbeginn unter Autobahnbrücken ausgesetzt werden.

Other Writers trifft Café Entropy: Cécile Calla im Lass uns Freunde bleiben, Berlin

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

Das Café ist mein Fenster zur Welt geworden, mein Erwachsenenspielplatz, eine Flucht aus dem Alltag. Seit ich Mutter bin, seit ich die Kontrolle über die Zeit verloren habe, habe ich dort meine Gewohnheiten. Es ist mein täglicher Sport, mein kleiner Luxus, um zu funktionieren und weiterzumachen. Ich gehe dorthin, um Einsamkeit zu finden und um mich überhaupt zu finden. Dort kann ich meine Stimmung selbst bestimmen, entscheiden, ob ich schweigen, lesen oder die Wand betrachten will. Es ist ein Ventil, ein Vorzimmer, bevor ich nach Hause gehe, um das Abendessen zuzubereiten oder zur Arbeit aufzubrechen. Ein Ort, der nicht gegen die Uhr läuft, an dem man sein Gewand als Sklave der tickenden Uhrzeiger an den Nagel hängen und sich selbst für einen Moment vergessen kann. Wenn ich mich in ein Café setze, finde ich ein wenig dieses Gefühl der unendlichen Zeit wieder, diesen wandernden Geist, eine neue Neugierde. Dann beginnt eine Reise, deren Ziel mir unbekannt ist. Ich beobachte meine Tischnachbarn und -nachbarinnen, lausche ihren Worten und Gefühlen, stelle mir ihr Leben, ihre Qualen und ihre Hoffnungen vor. Für eine halbe oder ganze Stunde verlasse ich mein Leben, um durch das Leben der anderen zu reisen. Nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen sehe ich einen anderen Horizont und gehe gestärkt, den Kopf voll mit neuen Ideen.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du Kinder hast?
Es sind Orte, an denen ich die Einsamkeit genießen kann, Zufluchtsorte zum Schreiben, an denen mich das Stimmengewirr einlullt. Dort kann ich meine Gedanken schweifen lassen. In einem Café gelingt es mir oft, einen neuen Zugang zu einem Text oder eine gute Einleitung zu finden.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?
Als sie noch jung waren, waren meine Aufenthalte mit ihnen im Café sehr kurz und hatten meist einen nützlichen Zweck: Sie sollen ihr Vesper zu sich nehmen oder ein Sandwich essen. Heute sind sie älter und beginnen, diese Orte des Durchgangs und der Begegnung, an denen der Alltag keine Rolle spielt, zu schätzen. Hier können wir uns unterhalten, ein Spiel spielen oder einfach faulenzen.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

Wenn ein Mensch bilingual sagt …

Wenn ein Mensch bilingual sagt, kann vieles mitschwingen, unter anderem sein Bildungsgrad. Doch wenn man einfach zweisprachig sagt, schwingt auch noch viel mit, zum Beispiel der Eindruck von Exklusivität. Uuuh, zweisprachig, das sind nicht viele, das ist etwas Besonderes. Man kann sich bewusst machen, dass es umgekehrt ist: Menschen, die nur eine Sprache können, sind global gesehen in der Minderheit. Über die Hälfte der Weltbevölkerung spricht zwei oder mehr Sprachen. Das ist die Norm. Die ändert sich nicht, nur weil die eigene Umgebung sie vielleicht verzerrt.
Der Mensch kann problemlos zwei oder mehr Sprachen lernen. Es ist nicht schwerer, als eine zu lernen, und es führt auch nicht zu besonderen Herausforderungen oder Verzögerungen oder gar Komplikationen in der Sprachentwicklung.
Doch es ranken sich Mythen um den Spracherwerb. Und diese Mythen sind auch abhängig vom Ansehen einer Sprache in einer Gesellschaft. In Deutschland werden Eltern, deren Kinder Englisch und Deutsch lernen, seltener mit diesen Mythen konfrontiert als Eltern, deren Kinder neben Deutsch auch Albanisch oder Arabisch oder Aramäisch lernen.
Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch genießen Ansehen. Zweisprachigkeit ist dort positiv besetzt. Türkisch, Farsi oder Tamil genießen weniger Ansehen und Zweisprachigkeit führt da tendenziell zu Problemen. Mit dem Spracherwerb, mit der Integration, mit der Identität. Sprachen werden nicht als gleichwertig betrachtet. Obwohl jede einzelne wunderbar funktioniert, wenn es darum geht, dass die Sprechenden miteinander kommunizieren. Die Sprachen erfüllen ihre Aufgabe alle gleich gut. Dennoch wird die eine gerne als nützlicher und wertvoller betrachtet als die andere. Doch was sie mit einem Menschen machen und was ein Mensch mit ihnen macht, ist ziemlich ähnlich.
Wenn wir es nicht mal schaffen, Sprachen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, wie sollen wir das mit den Menschen hinkriegen?

Same Work But Different: Simone Scharbert

Welchen Einfluss hatte deine Mutterschaft auf dein Buch?
Simone Scharbert: Kurz bleibe ich am Begriff hängen, an „Mutterschaft“, denke mir den Begriff als Prozess, als Verbundenheit mit meinen Kindern. Und insofern hat diese Verbundenheit nahezu immer Einfluss auf mein Schreiben auch, sowohl inhaltlich als auch strukturell, lässt sich schwer davon trennen. Inhaltlich bei „Rosa in Grau“ diesmal ganz explizit im Abtasten der eigenen Angst, dem Nachfühlen als „Mutter“, in der Sorge, als fürsorgender Mensch für diese Kinder nicht da sein zu können, wie sie es vielleicht brauchen, in Rollen nicht hinein-, nicht hinausfinden zu können. Das Hineinschreiben der Kinder auch. Geburtserinnerungen, die ersten Annäherungen. Aufblinkende Risse, Wahrnehmungsfragen, Loslassen. Vielleicht auch die Möglichkeit, in diesem Schreiben nochmals den Blick ruhig auf Verbundenheit zu richten, ihr einen eigenen Raum zu geben.

Gibst du das Buch deinen Kindern und/oder deinen Eltern zu lesen?
Simone Scharbert: Gegen Ende des Schreibens bzw. in den Lektoratsrunden verflicht sich das Textarbeiten oft mit dem „normalen“ Alltag. D.h. der Text ist mit mir, blinkt auf dem Laptop offen in unsere Wohnräume, während ich hin- und herräume oder koche. Und also können die Kinder bzw. alle, die sich gerade in Textnähe aufhalten, auch immer einen Blick ins Geschriebene werfen, mitlesen, wenn sie wollen. Und immer mal wieder ist das der Fall (eigentlich sehr schön). Bei „du, alice“ allerdings damals schlimm für meinen jüngeren Sohn, weil er just in eine Stelle über Brustkrebs hineingefallen ist (wird immer wieder thematisiert). Ansonsten überlasse ich es allen selbst, ob sie den jeweiligen Text lesen wollen oder nicht. Einzig meine Eltern habe ich bei „Rosa in Grau“ aufgrund der versteckt-biografischen Angelpunkte gebeten, den Text zu lesen, bevor ich ihn zu Helge gebe. Mir war und ist gerade bei diesem Thema nach wie vor so wichtig, dass der Text zu keinen sichtbaren oder unsichtbaren Verletzungen führt, etwas unvorsichtig formuliert.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?
Simone Scharbert: Das Paket war vor mir da. Ich habe es erstmal stehen lassen. Sicherlich ein paar Stunden. Es dann langsam geöffnet. Nur ein Buch herausgenommen. Wieder gespürt (wie schön), wie groß der Unterschied zwischen „Text“ und „Buch“ ist, wie wunderbar es ist, wenn mehrere Menschen so aufmerksam an der Entstehung eines Buches mitwirken, es gemeinsam auf den Weg bringen.

Simone Scharbert Prosaband Rosa in Grau. Eine Heimsuchung erschien im Oktober 2022 in der Edition Azur.

Take Care: Bettina Wilpert & Ricarda Kiel (III)

Hallo Ricarda,

danke für deinen Brief.

Vielleicht schaffe ich es erst durch dich, meiner Fehlgeburt sozusagen etwas „Positives“ abzugewinnen, einen anderen Blick auf sie zu werfen, dadurch etwas über mich zu lernen. Du schreibst von der Freiheitsgewinnung und für mich zeigte mir die Fehlgeburt, dass mein Körper fehlbar war, dass er nicht immer für mich da war und funktionierte. Drei Tage, nachdem ich wegen der Fehlgeburt in der Notaufnahme war, war ich es noch einmal und mir wurde der Blinddarm entfernt.

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