Take Care: Bettina Wilpert & Ricarda Kiel (III)

Hallo Ricarda,

danke für deinen Brief.

Vielleicht schaffe ich es erst durch dich, meiner Fehlgeburt sozusagen etwas „Positives“ abzugewinnen, einen anderen Blick auf sie zu werfen, dadurch etwas über mich zu lernen. Du schreibst von der Freiheitsgewinnung und für mich zeigte mir die Fehlgeburt, dass mein Körper fehlbar war, dass er nicht immer für mich da war und funktionierte. Drei Tage, nachdem ich wegen der Fehlgeburt in der Notaufnahme war, war ich es noch einmal und mir wurde der Blinddarm entfernt.

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Take Care: Andrea Karimé & Barbara Peveling (IV)

Liebe Andrea,

jetzt ist der Ramadan schon wieder vorbei und ich möchte Dir zum Abschied noch aus meiner Lektüre vom Rand schreiben: Mohamed Mbougar Sarr, der letztes Jahr den Prix Goncourt erhielt – und kannst Du Dir vorstellen, dass ein*e diverse Autor*in ohne Staatsbürgerschaft den deutschen Buchpreis erhält? –, Sarr jedenfalls schreibt Un grand livre n´a pas de sujet et ne parle de rien, il cherche seulement à dire ou découvrir quelque chose, mais ce seulement est déjà tout, est ce quelque chose est déjà tou. – Ein großes Buch hat kein Thema und spricht über nichts, es versucht nur, etwas zu sagen oder zu entdecken, aber dieses nur ist bereits alles, und dieses etwas ist bereits genug.
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Take Care: Andrea Karimé & Barbara Peveling (III)

Habibi, Andrea!

Vielleicht, liebe Andrea, ist es der Frieden mit sich selbst, den wir erst einmal schließen müssen.
Wo anfangen und wie?
Das habe ich mich die letzten Tage gefragt, nachdem ich Deine Zeilen gelesen haben.
Wenn ich auf diesen Krieg in der Ukraine blicke, dann muss ich mir selbst eingestehen, dass ich nichts von dieser Welt verstanden habe. Vor sieben Jahren, als aus Syrien zu uns eine Welle grausamer Bilder flutete, habe ich einen Text auf Social Media geschrieben „Grenzer zum Grenzen ficken“. Der Text hat dann den Wettbewerb von dem Literaturmagazin „Fettliebe“ gewonnen. Wenn ich mir die Ränder der Welt so anschaue, so denke ich, es ist doch das Beste, was einem passieren kann, wenn man für und über genau diese Ränder schreibt. Oder, was meinst Du?
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Take Care: Andrea Karimé & Barbara Peveling (II)

Liebe Andrea,

deine Erzählung über die Angst, nicht nach Hause zu kommen, hat mich sehr berührt. Und nachdenklich gemacht. Beim Lesen habe ich in mich gehorcht, ob sie auch in mir wohnt, diese Angst. Dabei habe ich entdeckt, dass meine größte Sorge, die ist, dass ein geliebter Mensch nicht zurückkommen könnte. Eine Umkehrung deiner Angst also?
Der Moment, als meine Mutter ins Zimmer trat und sagte, Papa ist tot, ist für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Mein Vater hatte versprochen, sein Jagdgewehr zu verkaufen. Stattdessen hatte er es im Haus versteckt. Er litt schon lange an Depressionen.
Ich war sieben Jahre alt.
Die Angst und ihre Gewalt haben mich seither immer begleitet. Denn der Kreislauf der häuslichen Gewalt beginnt eigentlich meistens mit der Angst des Mannes.
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Take Care: Andrea Karimé & Barbara Peveling (I)

Liebe Andrea,

„Die Scham ein Mädchen zu sein“, dieser Satz von Dir aus Deinem erzählerischen Essay „Granatapfellicht. Scham Rasse Geschlecht. Das goldene Kamel“ ist mir in Erinnerung geblieben. Eigentlich habe ich es auch so empfunden habe, als zweitgeborenes Mädchen, dass meinem Vater der Sohn fehlte. In der westdeutschen Provinz der 80er war es schon in Ordnung, als Erstgeborenes ein Mädchen zu haben, aber das zweite oder auch dritte sollte dann doch bitte ein Junge sein. Denn ein männlicher Nachkomme zeugt von Virilität, ein Mädchen hingegen nur von Schwäche, Kontrollverlust. Und so habe ich mir als Kind große Mühe gegeben, der Junge in der Familie zu sein: Ich war wild, unbändig, widerspenstig und laut. Später habe ich mein Verhalten in der Kindheit oft als Feminismus interpretiert, weil ich so gerne Robin Hood spielte, mit mir selbst in der Hauptrolle. Aber das war eine Fehlinterpretation, es war nur eine weitere Form der Anpassung, um diese eine soziale Rolle zu bedienen, die in unserer Familie eine Leerstelle war und die ich zu füllen mich bemühte, indem ich gesellschaftliche Klischees bediente: ein Junge zu sein, laut und wild.
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