Recidencies with Care: Clara Lena Langenbach

Warum hast du dich auf das Residenzstipendium beworben?

Clara Lena Langenbach: Ich habe mich auf die Residenz beworben, um für eine Zeit ungestört und konzentriert an einem Projekt zu arbeiten, abseits vom Alltag.  Zusätzlich konnte ich die entstandene Arbeit  durch die finanzielle Unterstützung und Ausstellungsmöglichkeit gleich präsentieren.

Wie war die Residenz für dich?

Clara Lena Langenbach: Ich habe mich sehr wohl und verstanden gefühlt. Die Möglichkeit ein großes Atelier nutzen und mich auch vor Ort zurückziehen zu können in Verbindung mit der Freiheit nicht anwesend sein zu müssen, ist sehr befreiend. Durch diese Offenheit und Wahlmöglichkeit vertraut das  Konzept des  Stipendiums darauf, dass jede*r selbst dazu in der Lage ist, für sich selbst die momentan beste Arbeitssituation zu schaffen.

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Clara Lena Langenbach: Ich habe an der Installation „practice makes perfect“ (2024) gearbeitet. Geprägt von meiner eigenen Skoliosediagnose verbinde ich physiotherapeutische und bildhauerische Techniken zu abstrahierten Körperfragmenten in Skulpturen und raumgreifenden Installationen. Dabei behandele ich den Körper als formbares Objekt, das durch äußeren Druck – sei es physisch oder gesellschaftlich – beeinflusst, verändert oder eingeschränkt wird, um traditionelle Vorstellungen von Körperlichkeit zu hinterfragen.

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Clara Lena Langenbach: Freiheit bei der individuellen Gestaltung der Residenzbedingungen ist generell sinnvoll. Für Menschen, die Carearbeit leisten, ist dieses Vertrauen besonders entscheidend, da eine Residenz oft schon an den jeweiligen Bedingungen scheitert. Es ist selten möglich, mehrere Monate am Stück mit oder ohne Familie anzureisen. Das Künstler[*innen]haus Lauenburg  bietet Raum, Toleranz und Flexibilität für Familien und leistet damit einen großen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und künstlerischer Arbeit.
Clara Lena Langenbach war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

Residencies with Care: Jul Gordon

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Jul Gordon: In meinem Arbeitsalltag fehlt oft die Zeit, um mehrere Tage am Stück konzentriert an etwas zu arbeiten. Administrative Aufgaben, Geld verdienen und Care-Arbeit – das alles beansprucht einen großen Teil meiner Kapazitäten. Oft scheint alles dringender, als an einem Comic weiterzuarbeiten. Während des Stipendiums gab es die Möglichkeit, fokussiert zu arbeiten. Auch dass das Stipendium nicht nur einen kostenlosen Raum, sondern auch Geld bietet, ist wichtig für die Machbarkeit. Ein weiterer Faktor für meine Entscheidung war, dass die Bewerbung eher unaufwändig ist. Bewerbungen gehören zur unbezahlten, aber nötigen Arbeit für freiberufliche Künstler*innen. Aufwändige Bewerbungsverfahren kann ich mir neben der unbezahlten Arbeit, die ich ohnehin zu tun habe, zeitlich oft nicht einrichten.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Jul Gordon: Künstler*innen und Autor*innen brauchen fokussierte Phasen. Personen, die Care-Arbeit leisten, fällt es oft noch schwerer, sich solche Phasen einzurichten. Stipendien wie „Parents in Arts“ ermöglichen, dass sich auch die Perspektiven von Personen entfalten können, die Care-Arbeit leisten, und tragen so zur Diversität in der kulturellen Landschaft bei. Von mir wird während des Stipendiums erwartet, dass ich meine künstlerische Arbeit voranbringe und dass sie für den Zeitraum im Mittelpunkt steht. Diese Legitimierung von außen hilft auf materieller und psychischer Ebene, die Arbeit machen zu können.

 

Jul Gordon war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Residencies with Care: Yara Jakobs

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Yara Jakobs: Als ich das Stipendium gefunden habe, dachte ich: eine einzigartige Möglichkeit, künstlerisch zu arbeiten und meinen Sohn dabeizuhaben. Ich kann zeichnen, schreiben, und er darf Teil sein, juchhe.

 

Wie war die Residenz für dich?

Yara Jakobs: Bereichernd, Freundschaften wurden geschlossen, das Buch ist gewachsen.

 

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Yara Jakobs: Ich habe ein Kapitel meiner Novelle „Rolle, Rolle, Rolle“ fertiggestellt, in der es um den Spagat zwischen den Identitäten einer Working Mom geht.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Yara Jakobs: Weil Kinder zum Leben, zur Kunst und Kultur gehören! Sie verdienen einen Platz und wir unsere Zeit, um zu arbeiten.

 

Yara Jakobs war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Residencies with Care: Sascha Preiß

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Sascha Preiß: Vor allem wollte ich, dass sich möglichst viele Eltern auf das Stipendium bewerben, damit man schon an der Bewerber*innenzahl sieht, wie wichtig ein altersunbeschränktes Stipendium explizit für Eltern ist, wie sehr das fehlt bzw. wie wenig Eltern im künstlerischen Betrieb mitgedacht und oft genug ausgeschlossen werden. Ich habe gar nicht so sehr an mich selbst gedacht. Zugleich betrifft es genau meine Situation: in Trennung lebend, zwei Kinder, die ich mehrheitlich betreue, eines mit Behinderung und Pflegegrad, da sind lange Abwesenheiten schlicht nicht möglich, abgesehen davon, dass sie finanziell nicht zu stemmen sind. Klar habe ich mich enorm gefreut, als ich einen Platz zugesprochen bekam, aber noch mehr habe ich mich für die Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit des Programms selbst und der Idee dahinter gefreut – also Riesendank an die Initiatorinnen!

 

Wie war die Residenz für dich?

Sascha Preiß: Der Aufenthalt im südwestbrandenburgischen Fleming war Natur pur und unglaubliche Ruhe, fürs Schreiben und oft auch nur fürs Lesen. Eines Abends kam sogar eine Schleiereule an mein Fenster geflogen und schaute neugierig herein. Meine Mutter war für die Zeit bei den Kindern, da musste ich mir keine Gedanken machen. Und dann die offene Zeit ohne die festen Tagesrhythmen des Alltags, man schafft sich neue, aber kann diese wesentlich flexibler ausgestalten. Überhaupt: die Abwesenheit des Alltags, was den Gedanken Zeit und Raum gibt, sich kontinuierlich mit dem Text zu beschäftigen, mit einer Stelle, manchmal nur einer Formulierung. Diese Kontinuität des Arbeitens ist für mich das Entscheidende, was das Stipendium ermöglicht hat.

 

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Sascha Preiß: An einem Roman über meinen verstorbenen Bruder.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Sascha Preiß: Künstler*innen mit Kindern werden oft genug bei Aufenthaltsstipendien implizit, gelegentlich auch explizit ausgeschlossen. Das kann durch die Anwesenheitspflicht sein, das häufig genannte Besuchsverbot in Residenzen, die Länge von Residenzen (welche Eltern können ihre kleineren oder schulpflichtigen Kinder mal eben ein halbes Jahr allein lassen?) oder die oft schmale Vergütung, mit der eine zusätzliche Kinderbetreuung nicht möglich ist. Insbesondere für Alleinerziehende, mehrheitlich Frauen, sind solche Programme komplett unrealistisch. Was dazu führt, dass Eltern weniger künstlerisch arbeiten können oder nur mit besonderem Mehraufwand, dadurch weniger sichtbar sind. Vor allem für bildende Künstler*innen kann das eine abgebrochene Laufbahn bedeuten. Künstler*innen mit Kindern explizit anzusprechen und ihnen Freiräume zu geben, damit sie künstlerisch arbeiten können und von der Sorgearbeit einmal zurücktreten können, das fand bisher so gut wie gar nicht statt.

 

Sascha Preiß war 2024 Stipendiat des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Same Work But Different: Silke Sutcliffe

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Silke Sutcliffe: Die Mutter der jugendlichen Protagonistin, die selbst künstlerisch tätig ist, hat ihre Familie aufgrund einer Depression und der Überforderung, die Care-Arbeit für sie bedeutet, verlassen. Diese Abgründe auszuloten, wäre mir ohne die Erfahrung, für Kinder zu sorgen, nicht möglich gewesen. Die Hauptfigur will mit 16 zwar nicht mehr „umsorgt“ werden, braucht aber dennoch Bezugspersonen und Halt, die bzw. den sie auch findet. Das war mir wichtig – alternative Lebensentwürfe zur heilen Normfamilie aufzuzeigen.

 

Wenn dich vor der Kita/ vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?

Silke Sutcliffe: Im meinem Debüt geht es um die enge Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die an der Beziehung zu ihrem neuen Mitschüler zu zerbrechen droht: Denn er leidet an einer psychischen Erkrankung, die im Verlauf des Romans zunehmend Thema wird. Im Zentrum stehen also eine Coming-of-age-story, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen konfrontiert werden. Mental-Health-Themen werden im Jugendbuch meiner Meinung nach noch immer noch zu wenig thematisiert. Aber nur wenn wir offen darüber sprechen, können wir zu einem Verständnis der Situation jenseits von Verletzungen oder Schuldzuweisungen gelangen.

 

Hatte deine Mutterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit?

Silke Sutcliffe: Ja! Während ich mich früher oft in Texten verloren habe (was schön sein kann!), bin ich nun gezwungen, meine Zeit besser einzuteilen. Auch wenn zwischen Kindergeburtstagen, Sportterminen, Hausaufgabenbetreuung, Kochen, Trösten, Kuscheln (und meinem Job als Lehrerin) immer zu wenig Zeit bleibt, arbeite ich paradoxerweise effektiver.

 

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?

Silke Sutcliffe: Jein. Ich bin froh, dass eine Schwangerschaft nicht drei Jahre dauert – und mein Kind konnte ich weder vor noch nach der Geburt weglegen oder in Bezug auf sein innerstes Wesen beeinflussen. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Die Ängste, die ein Leben mit veränderten Parametern nach der Geburt bzw. Veröffentlichung beinhaltet, die Ambivalenz der Gefühle, die den Prozess begleiten, die Liebe zum eigenen Text.

 

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?

Silke Sutcliffe: Aufenthaltsstipendien mit Präsenzpflicht kommen für mich nicht infrage, da ich durch meine Kinder und meine Arbeit als Lehrerin räumlich und zeitlich gebunden bin. Die hiermit einhergehende fehlende Sichtbarkeit ist ein Problem. Ich wünsche mir flexible Stipendien ohne Präsenzpflicht, die sich z.B. in mehrere Aufenthalte am Wochenende und in den Schulferien aufspalten lassen – gerade im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur.

 

Silke Sutcliffe Jugendroman Ein Sommer, drei Monde erschien im September 2024 im Verlag Monika Fuchs.

 

 

 

Same Work But Different: Clemens Böckmann

Hatte deine Vaterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Clemens Böckmann: Auf jeden Fall. Die Geburt von meinem Sohn fiel genau in jene Zeitspanne, in der ich auch an dem Buch gearbeitet habe. Dadurch sind nochmal ganz andere Themen für mich präsenter geworden, als sie es vorher waren.

 

Hatte deine Vaterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit? Welchen?

Clemens Böckmann: Auf der einen Seite hat die Vaterschaft mehr Regelmäßigkeit bedeutet. Das hat geholfen, weil das Arbeiten fokussierter und weniger intuitiv wurde. Gleichzeitig waren es die Jahre der Corona-Pandemie: Ohne den Tagesvater hätte ich vermutlich gar keine Zeit zum Schreiben gehabt. Da verschwand für mich auch erst mal eine Vorstellung von Zukunft. Es geht vor allem viel um Gegenwartsbewältigung.

 

Stehst du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Clemens Böckmann: Ich weiß nicht, ob Schuld das richtige Wort ist. Wir müssen das gemeinsam aushandeln und das geht nur auf der Basis von Vertrauen. Ich bin sehr dankbar für alle um mich herum, die gemeinsam für dieses Kind da sind. Gleichzeitig gibt es hier Verständnis dafür, dass Arbeitszeiten auch mal am Wochenende oder abends sind. Umso besser lässt es sich ausgleichen.

 

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?

Clemens Böckmann: Bei einem Buch habe ich doch jederzeit die Möglichkeit zu sagen: Ich will das nicht mehr. Für mein Kind aber bin ich bestenfalls immer da. Ich bin auch ganz froh, dass auf dem Ultraschall kein Buch, sondern ein Herz, ein Kopf und ein paar Arme zu sehen waren. Da gibt es eine körperliche Ebene, die kein Buch jemals wird ersetzen können.

 

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Clemens Böckmann: Auf sehr viele. Anfänglich habe ich es noch gemacht. Ein paar Erfahrungen haben dann aber gereicht. Die Vorstellung, lange von meinem Kind weg zu sein und die Leute in meiner nächsten Umgebung zusätzlich zu belasten, sind die 700€ im Wald nicht wert. Ich brauche auch den Austausch zum Arbeiten, mit meinem Umfeld, meinem Kind.

 

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?

Clemens Böckmann: Eines, bei dem Platz für alle ist.

 

Welche*n other writer würdest du gern zufällig auf einem Spielplatz treffen und worüber würdest du mit ihm*ihr sprechen?

Clemens Böckmann: Ich hab Sebastian Schmidt lange nicht mehr gesehen. Darüber würde ich mich freuen. Themen gäb es eh genug, so viel wird bisher ja noch nicht über Vaterschaft gesprochen.

 

Clemens Böckmanns Debütroman Was du kriegen kannst erschien im Oktober 2024 im Hanser Verlag.

 

 

 

Same Work But Different: Jessica Lind

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Jessica Lind: In meinem Buch „Kleine Monster“ steht Elternschaft zentral im Mittelpunkt, vor allem die Frage, wie sich unser Blick auf die eigene Kindheit und Erziehung verändert, sobald wir selbst Kinder haben. Obwohl die Geschichte erfunden ist, stecken viele Themen darin, die mich als Mutter von zwei kleinen Kindern beschäftigen, zum Beispiel auch wie man gemeinsam ein Kind „erzieht“. Ich beschreibe meinen Schreibprozess gerne so, dass ich unangenehme Gefühle, die mich im Alltag überkommen, oder Situationen, die mich überfordern bzw. überwältigen und die ich normalerweise schnell beiseite wische, noch einmal hervorhole und sie wie Murmeln von allen Seiten betrachte.

 

Hatte deine Mutterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit? Welchen?

Jessica Lind: Ich habe einen Großteil des Romans im ersten Lebensjahr meines zweiten Kindes geschrieben. Das war zum einen eine große Herausforderung (zumindest ist der Kleine ein guter Schläfer), zum anderen aber auch ein großes Glück, weil ich so meinen inneren Zensor (ja, er ist ein Mann) ausschalten konnte und endlich verstanden habe, was andere meinen, wenn sie sagen, man hat zwar weniger Arbeitszeit, aber man nutzt sie effektiver. Jahrelang hielt ich diesen Satz für einen Mythos.

 

Wenn dich vor der Kita ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?

Jessica Lind: „Es geht um ein Kind, das in der Schule auffällig wird, und eine Mutter, die wegen eines Kindheitstraumas ganz falsch damit umgeht.“ Und nach einer kurzen Pause, mit leicht schriller Stimme rasch hinzugefügt: „Und es ist nicht autobiographisch.“

 

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?

Jessica Lind: Wenn die Frage so gemeint ist, dass das Entstehen mit der Schwangerschaft vergleichbar ist, würde ich eher verneinen. Ich war immer sehr stolz auf meinen Körper, dass er da ein Menschlein baut, aber gleichzeitig hatte mein Gehirn sehr wenig zu tun. Beim Schreiben eines Buches ist es eher umgekehrt. Was gleich ist, sind die Rückenschmerzen.

 

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Jessica Lind: Auf alle Aufenthaltsstipendien. Ich bewerbe mich aber, glaube ich, generell zu wenig, weil es mir so schwer fällt, die Termine im Überblick zu behalten.

Kleine Monster von Jessica Lind erschien im Juli 2024 bei Hanser Berlin.

Brief an einen Menschen, der wächst

ich weiß, ich kann diesen Brief nur an Dein Ich in der Zukunft schreiben, und das wird über meine Worte wohl nur lachen. Aber ich muss Dir schreiben, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch länger überleben werde. Es spielt keine Rolle, worum es bei unseren Streitereien geht, das Nachhausekommen, die Hausaufgaben, das Zimmeraufräumen, das Wäschesortieren, das Tischdecken, das Drinnenbleiben, das Rausgehen, das Freundehaben, das Keinefreundehaben, die schlechten oder die guten Freunde, genau wie die Noten, es spielt keine Rolle. Du ziehst verzweifelt an einem Ende des Seils, ich am anderen. Du suchst Deine Grenzen, Du drückst alles in die Extreme, Du willst spüren, dass Du existierst, dass Du frei atmen und Dir Deine eigene Welt bauen kannst.

Ich sehne mich nach dem Kind, dass Du mal warst, und diese Sehnsucht schmerzt mich so sehr.
Aber was mich am meisten schmerzt, ist, dass wir beide alleine kämpfen, ich muss so verbittert darum kämpfen, dass Dein Hass mich nicht zerbricht, ich muss darum kämpfen, dass mich Deine Wut nicht zerstört, obwohl sie mein Innerstes auseinanderreißt Diesmal presse ich nicht, sondern Du schneidest mir tief ins Fleisch, während Du strampelst, um Dich zu befreien. Ich weiß genau, Du liebst mich jetzt gar nicht mehr, und ich muss Dich und auch mich für uns beide lieben, aber ich verzweifle daran. Ich will diesen Kampf aufgeben, weil es nicht meiner ist, und vor allem, weil ich darin die absolut undankbarste Rolle habe. Niemand hat mir vorher gesagt, dass ich die Böse sein werde und wie beschissen das ist. Keiner hat mich darauf vorbereitet, Dir bei diesem Kampf wie ein Drache entgegenzutreten, damit Du spüren kannst, dass Dein Schatten nicht größer ist als Dein Licht und auch dass kein Streit das Ende einer Beziehung ist und vor allem, dass Du auf Dich selbst hören musst, auch wenn es mich so bitter enttäuscht.

Dieser Kampf wird enden. Für Dich wird er enden, wie ein Gewitter endet. Du wirst ihn vergessen. Du wirst mir nicht dafür danken. Du wirst mich dafür wahrscheinlich noch kritisieren. Ich werde damit leben müssen, dass alles, was ich tue, niemals ausreichen wird. Aber ich werde nicht vergessen. Für mich ist das hier ein Sturm, der einen Teil von mir selbst mit sich reißt. Und deswegen klammere ich mich mit all meiner Verzweiflung an diesen einen Gedanken, und zwar, dass ich gerade dabei bin, für Dich, jetzt und hier, die wichtigste Aufgabe zu übernehmen, die ein Mensch in diesem Augenblick für Dich machen kann: Nicht loszulassen.

Ich bereue nichts

2009 wurde mir das Aufenthaltsstipendium in Schwaz bei Innsbruck zuerkannt. Ich weiß noch: Es war einer der ersten Anrufe auf meinem damals noch neuen Handy, und ein freundlicher Herr mit sympathischem Dialekt teilte mir die frohe Kunde mit. Meine Stimme überschlug sich vor Freude, und ich sagte zu.
Bald darauf die Ernüchterung: Ich bekam auf der Arbeit keine zwei Monate am Stück frei. Alles Verhandeln und der Gebrauch der damals noch nicht so geläufigen Vokabeln Sabbatical und Work-Life-Balance halfen nicht.
Also kontaktierte ich den Stipendiengeber: Ich könne wochenweise in Schwaz sein, meinen Urlaub von zwei Jahren dafür nehmen und das Stipendium zeitlich „strecken“. Doch darauf ließ er sich nicht ein. Ich solle ja zur Ruhe kommen und konzentriert an meinen Projekten weiterarbeiten können. Wie ich Ruhe finden sollte, wenn ich meinen Job gefährdete oder kündigte, war mir allerdings nicht ganz klar.
Aber das machte alles nichts, denn just in dieser Zeit wurde meine Freundin schwanger und neun Monate später waren wir Eltern. Zwei Jahre später dann ein Geschwisterchen. Und bald schon die Einsicht, dass das nicht leicht werden würde mit dem literarischen Leben, obwohl sich für das Schreiben nun ganz neue Themen erschlossen.
Um Preise bewerben? Ja. Um Residenz-Stipendien? Vergiss es, erst recht nach der Trennung und dem neuen Status als alleinerziehender Vater mit einem von beiden Kindern. Was war mit dem Traum vom Lesen, Schreiben, Reisen – diesem Akkord, meiner Definition von Glück? Verschoben auf das Lebensendzeitstipendium, Rente genannt? Wer wird sich dann noch für meine Machwerke interessieren?
Doch wie ein Süchtiger an seinen Stoff kommt, trotze ich dem Leben Schreibzeiten ab: In der Tram, im Zug, in den Mittagspausen, an den Wochenenden, im Urlaub. Usedom – wo sich die zerrissene Familie zu gemeinsamen Urlauben trifft – ist mein neues Schreibexil geworden: an den Vormittagen, wenn das Kind, mittlerweile jugendlich, noch schläft und dann zu Kindesmutter und Schwester in deren FEWO wechselt und ich später nachkomme. Nach ein paar geschafften Seiten. Man kann gut abschalten auf diesem entlegenen Fleckchen Land, und Literaturtage gibt es auf Usedom auch. Die habe ich noch nie besucht. Wegen des Brotberufs. Den ich nicht kündigen kann. Wegen der Kosten für zwei FEWOS dreimal im Jahr. Unter anderem.

Some Work But Different: Slata Roschal

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch?

Im Mittelpunkt steht – unter anderem – das Thema Mutterschaft, und ich könnte keine überzeugende Ich-Perspektive dazu entwerfen, wenn ich selber kein Kind hätte. Das ist mir auch wichtig, über das zu schreiben, womit ich mich auskenne, nicht mit gekünstelten, angelesenen Plots zu arbeiten (wobei das Buch natürlich ein literarisches Ereignis ist, nicht mehr und nicht weniger, weder autobiografisch noch ‒ wie man es heute sagt ‒ autofiktional). Auch stammen viele Figuren und Szenen aus dem Kita- und Schulalltag mit anderen Eltern, es war auch ein wenig gemein, da die Erzählerin gar nicht gut auf andere Mütter zu sprechen ist.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?

Tatsächlich lief es ziemlich pragmatisch ab, ich war bei einer Residenz, kam ein-zwei Wochen später zuhause an, prüfte alles (das Grün des Schutzumschlags fand ich super, das Rosa darunter eher weniger), las das Buch einmal von Anfang bis Ende durch (es ist ein ganz gutes Zeichen, wenn man Spaß hat beim Lesen des eigenen Textes), und das war es. Aber ich habe davor auch nicht meinen Geburtstag gefeiert, es war zu viel los und ich tue mich generell schwer damit, mich zu freuen, wenn ich es muss, also nicht spontan.

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Auf fast alle Residenzstipendien im Ausland, die an teure Flüge und lange Reisezeiten gebunden sind, bewerbe ich mich nicht, obwohl ich natürlich gern mal in Helsinki oder Istanbul schreiben würde; neulich hatte ich eins nebenan in Frankreich und dieses ständige Hin- und Herreisen war ätzend. Auch fällt meist alles weg, was länger als einen Monat dauert, wobei ich jetzt versuche, meinen Sohn in den Ferienzeiten mitzunehmen, zu pendeln und mich auf unangenehme Diskussionen mit den Residenzleitern gefasst zu machen. Und ich kann nicht einfach so umziehen, weil es woanders bessere Arbeitsstipendien gibt, die sind ja meist an den Wohnort gebunden. Mit der Zeit nehme ich es aber immer mehr als ein strukturelles Problem und weniger als meine private Einschränkung wahr (ein Kind zu haben, ist eigentlich mehr als normal, es ist gut und wichtig), und das ändern allmählich solche Initiativen wie die other writers.

Slata Roschals zweiter Roman Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten erschien im Februar 2024 bei Ullstein/Claassen.