Same Work But Different: Slata Roschal

Wenn dich vor der Kita/vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?

Slata Roschal: Das ist immer schwierig, bei Lyrik und auch bei solchen Romanen ohne Handlung, wie ich sie schreibe. Ich versuche die Frage zu umgehen, oft sage ich gar nicht erst, was ich beruflich mache, mein Kind ist schon Teenager und jetzt am Gymnasium müssen sich nicht alle Eltern kennen und ständig irgendwelche Kuchen backen, was ich als sehr angenehm empfinde.

 

Stehst du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Slata Roschal: Die meisten, vielleicht auch alle Texte dieses Buches habe ich bei Residenzstipendien, auf Lesereisen und während der Weihnachtsfeiertage geschrieben, d. h. ich war ziemlich wenig zu Hause, und wenn, saß ich am Laptop. Ich weiß nicht, ob es moralisch gesehen schlecht war, das Herumreisen mit der Deutschen Bahn hat müde gemacht. Eine alte deutsche Nachbarin fragte meinen Mann, ob er arbeitslos sei, da sie ihn vom Balkon aus ständig sehe (er machte Mittagessen zu Hause, während ich weg war). Das hat mich furchtbar aufgeregt, ich fand die Frage demütigend und arrogant und bescheuert, vielleicht baue ich sie in das nächste Buch ein. Und ja, es rief ein Schuldgefühl hervor, das rational gesehen natürlich absurd war (es soll ja Männer geben im 21. Jahrhundert, die sich um ihre Kinder kümmern und Homeoffice nehmen), mich emotional aber ziemlich mitnahm (wenn die Mutter weg ist, degradiert also der Vater, und irgendwie ist alles falsch, was man auch tut).

 

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?

Slata Roschal: Ich will ein gut dotiertes Stipendium, möglicherweise verbunden mit einem Ort, den ich zum Schreiben nutzen kann, aber nicht muss, wo ich kein billiges Maskottchen bin und All-Inklusive-Workshops oder kostenlose Lesungen halten soll. Solche Stipendien gibt es allerdings nicht, und wenn, würde ich mich wie verrückt bewerben.

 

Slata Roschals dritter Gedichtband Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt erschien im März 2025 bei Wunderhorn.

 

Same Work But Different: Katharina Bendixen

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Katharina Bendixen: Ich wollte nie über Mutterschaft schreiben. Dann habe ich es doch gemacht, und diesen inneren Widerstand merkt man dem Buch vielleicht an: Es ist eine Art Suche, wie man überhaupt über dieses Thema schreiben kann. Neben klassischen Erzählungen gibt es in meinem Buch auch viele Experimente, beispielsweise fiktive Aufgaben für Abschlussprüfungen oder absurde Kinderbuchtexte. Ohne den Familienalltag und die vielen Widersprüche darin hätte ich dieses Buch niemals geschrieben.

Gibst du das Buch deinen Kindern/Eltern zu lesen? Warum (nicht)?

Katharina Bendixen: Meine Eltern lesen alle meine Bücher. In manchen Texten kommen die Elternfiguren nicht so gut weg, aber meine Eltern halten das bisher gut aus. Schwieriger ist die Frage, ob meine Kinder dieses Buch später lesen werden. Ich schreibe darin sehr kritisch über das Familienleben, und es könnte das Missverständnis auftreten, dass ich ungern Mutter bin. Dabei geht es natürlich um die gesellschaftlichen Umstände und nicht um mein persönliches Verhältnis zu meinen Kindern.

Stehst du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Katharina Bendixen: Ich fühle mich oft in der Schuld meiner Kinder – nicht unbedingt wegen der Tatsache, dass ich sehr viel arbeite und manchmal gedanklich abwesend bin, sondern vor allem weil wir als Familie aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Literaturbetrieb viele Dinge, die in anderen Familien selbstverständlich sind, nicht besitzen oder nicht tun. Ich bin unsicher, wie unsere Kinder damit umgehen werden, wenn ihnen dieser Unterschied eines Tages bewusst wird.

Welche*n other writer würdest du gern zufällig auf einem Spielplatz treffen und worüber würdest du mit ihm*ihr sprechen?

Katharina Bendixen: Ich träume ja schon lange von einem großen other writers-Treffen, meinetwegen auch auf einem Spielplatz: Die Eltern tauschen sich über das Schreiben und den Literaturbetrieb aus, und die Kinder tauschen sich über ihre merkwürdigen Eltern aus, die sich so oft über Dinge ärgern, die sonst keiner versteht.

 

Katharina Bendixens Erzählband „Eine zeitgemäße Form der Liebe“ erschien im März 2025 in der Edition Nautilus.

 

 

 

 

Same Work But Different: Janin Wölke

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Janin Wölke: Rachel Cusk schrieb 2001 in ihrem Buch „Lebenswerk“: „In der Mutterschaft habe ich mich als rechtschaffener und schrecklicher erlebt, als so einbezogen in die Wunder und Schrecken dieser Welt, wie ich es aus der Anonymität der Kinderlosigkeit heraus nie für möglich gehalten hätte.(…) Die Ankunft eines Kindes hat mein Erleben von Literatur und Kultur im Allgemeinen zutiefst verändert in dem Sinn, dass ich das Konzept des künstlerischen Ausdrucks plötzlich verbindlicher und notwendiger fand als je zuvor, viel menschlicher in seinem Bestreben, zu erschaffen und zu gestalten.“

Diese Worte sprechen mir aus dem Herzen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, in meinem neuen Gedichtband „unendlicher move“ weitreichender über all das zu schreiben, was einer Frau, Mutter, Tochter, Schwester, Ehefrau, Freundin, Lehrerin, Autorin widerfährt, denn es ist außerordentlich umfassend und am wichtigsten: dringlich sowie poetisch – und damit meine rilkesche und feministische Grenzerfahrung von Natur und Kunst.

Mein Buch beginnt mit dem programmatischen Songzitat von David Bowie: „Don’t stay in a sad place, where they don’t care how you are.“ Im Text geht es um Fürsorge gegenüber Kindern, wo findet sie statt, wo nicht, wie kann sie sein, wo sind ihre Grenzen. Nachdem die lyrische Erzählerin über die Wunden gesprochen hat, die sie als Kind erfahren und als Mutter zugefügt hat, sagt sie am Ende: „es ist ein stetes Üben“, ein „unendlicher move“, der ein nie endendes Reflektieren=Schreiben erfordert.

Mein Erfahrungshorizont liegt dem zugrunde: „Mein Erbarmen, mein allgemeines Mitgefühl mit der Menschheit läuft in einer einzigen Wunde zusammen, einer düsteren, wissenden Kerbe, geschlagen durch die Fähigkeit, einem anderen Leid anzutun“, auch das ein Zitat von Rachel Cusk.

Ich begann am „unendlichen move“ zu arbeiten, weil ich nicht mehr verstand, was um mich herum passierte. Die Kontrolle über mein Leben, über das Leben meiner Kinder schien mir verloren zu gehen. Es war der Sommer 2021, nach dem zweiten Lockdown. Ich konnte einfach nicht mehr, ich war kurz davor durchzubrennen – ich lasse die mehrfache Bedeutung dieses Wortes gern offen.

 

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?

Janin Wölke: Ich saß am Flughafen Berlin-Brandenburg auf dem Weg nach Oslo zu einem Treffen und einer Lesung mit norwegischen und deutschen Schriftsteller:innen. Ich habe mich sehr gefreut, als mein Mann mir ein Foto von dem riesigen Paket auf dem blauen Teppich im Flur schickte.

 

Stehst du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Janin Wölke: Oh ja, das Jahr 2024 hat Care-Schulden angehäuft. Aber da mein Mann schon länger ein relativ bekannter Schriftsteller ist, hatte er vorher schon so viele Schulden bei mir, dass wir jetzt quitt sind. Mindestens auch noch für 2025.

 

Von welchem*r Autor*in würdest du gerne einen Beitrag auf other-writers.de lesen?

Janin Wölke: Miranda July, wenn sie Kinder hätte?

 

Janin Wölkes Gedichtband „unendlicher move“ erschien im Februar 2025 im Elif Verlag.

 

 

 

 

 

 

 

Same Work But Different: Sebastian Schmidt

Hatte deine Vaterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit? Welchen?

Sebastian Schmidt: Für das Schreiben des Buches habe ich die Zeit genutzt, die mir für die Literaturarbeit zur Verfügung steht, oder notfalls etwas getauscht oder mir Lücken gesucht. Während des Lektorats aber habe ich viel am Abend oder in der Nacht gemacht. Auf Dauer kein guter Zustand, zumal es sowohl bei der Sorgearbeit als auch beim Schreiben keinen richtigen Deckel gibt, kein wirkliches „fertig“.

 

Gibst du das Buch deinen Kindern oder Eltern zu lesen?

Meine Eltern haben es gelesen, wir sprechen aber wenig darüber, obwohl es durchaus Themen gäbe. Es liegt nicht am Buch selbst, sondern in unserer Historie, dass es uns schwerfällt, das Fehlen von Geld ist schon immer ein Schamthema. Aber schließlich geschieht ein Austausch für mich über Literatur, mit meinen Brüdern, meiner Partnerin oder Freund*innen. Das ist für mich auch in Ordnung. Meinen Kindern habe ich ein Exemplar geschenkt. A. (16) behandelt gerade Lyrik im Unterricht, aber es endet zeitlich mit der Aufgabe der klassischen Reimschemata, bestenfalls kommt noch ein Ernst Jandl, weil Lyrik auch lustig sein kann. Eine mögliche Herangehensweise an Texte wie meine wird nicht vermittelt. Das ist sehr schade und ändert sich hoffentlich irgendwann einmal.

 

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Mit einer Ausnahme habe ich mich 2024 tatsächlich für alle Residenzstipendien nicht beworben, für die ich eh noch nicht zu alt war. Es bleiben aktuell gerade nicht viele übrig. Ich kann zum einen meinen Brotjob nicht für länger als 2-3 Wochen verlassen und mit dem Schreiben allein reicht es nicht. Zum anderen wäre es für die anderen Sorgetragenden und auch die Kinder selbst gerade eine sehr große Zumutung. Die meisten Stipendien sind länger angelegt oder liegen in einer Zeit, in der die Kinderbetreuung ein Wegfahren nicht zulässt, weil zum Beispiel die Kita Schließtage hat.

 

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?

Das Istanbul-Stipendium der Kulturakademie Tarabya. Naja, ich würde es wahrscheinlich doch ablehnen müssen, der langen Laufzeit wegen (vier Monate), aber ich würde definitiv am längsten versuchen, es doch irgendwie zu realisieren.

 

Von welchem*r Autor*in würdest du gerne einen Beitrag auf other-writers.de lesen?

Ich würde generell gerne mehr Beiträge zum Thema Sorgearbeit von Autoren* lesen. Das Sichtbarmachen oder wenigstens die Offenlegung von zum Beispiel Vaterschaft ist für mich gerade im Bereich von Kulturschaffenden etwas ganz Politisches. Vaterschaft muss endlich in die in eine Selbstverständlichkeit als solche überführt werden, auch unter Schriftstellern.

 

Sebastian Schmidts Band „abtauchen, egal“ erschien im Januar 2025 im Verlag parasitenpresse, Köln.

 

 

 

 

 

Same Work But Different: Eva Brunner

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch?

Eva Brunner: Ja, in dem Buch geht es (unter anderem) explizit um Eindrücke aus meinem Familienleben, meiner Mutterrolle. Es klingt in abstrakt poetischer Weise die Sorge um das Wohl der Kinder an, aber auch die Überforderung, die Anstrengung, die es bedeutet, Teil einer Kleinfamilie mit zwei Kindern zu sein. Ein Thema ist dabei der Kampf zwischen den unterschiedlichen Rollen: Mutter, Schriftstellerin und anderweitig berufstätig zu sein. Dazu kommt noch das Führen einer romantischen Beziehung. In »Zweitwald« findet das alles unter dem Eindruck einer privilegierten Migration statt (von Deutschland nach Schweden).

 

Gibst du das Buch deinen Kindern/Eltern zu lesen?

Eva Brunner: An dem Tag, als das Buch ankam, hat mein älterer Sohn es sich angeschaut und einige Texte laut gelesen. Das hat mir gut gefallen und ich wollte, dass er immer weiter liest. Musste ihn aber ein bisschen dazu überreden. Zwischendurch hat er die eine oder andere Frage gestellt. Meine Eltern haben das Buch auch gelesen und ich bin erleichtert, dass es ihnen gefallen hat. Sie sind darin auf kurze Beschreibungen meiner Kindheit und ihrer Elternhäuser gestoßen.

 

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?

Eva Brunner: Nein, für mich passt er nicht. Zwar habe ich mich auch schon versucht gefühlt, meine Bücher als meine Babys zu bezeichnen, und die Erscheinungsdaten sind ein bisschen wie Geburtstage, aber der Prozess und das emotionale Verhältnis sind doch ganz andere. Bei den Büchern geht mit der Veröffentlichung eine intensive Phase zu Ende, mit der Geburt eines Kindes gehen das Verhältnis und die Arbeit erst so richtig los. Eine Gemeinsamkeit wäre vielleicht noch, dass man nach Veröffentlichung eines Buches, genau wie bei der Entwicklung eines Kindes, nur begrenzten Einfluss darauf hat, wie gut es läuft.

 

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Eva Brunner: Auf alle Aufenthaltsstipendien. Mehrere Wochen ganz aus dem Alltag auszutreten, passte für mich bislang überhaupt nicht. Jetzt bin ich freiberuflich und die Kinder sind größer. Nun werde ich beginnen, mich auf Aufenthaltsstipendien zu bewerben. Aber auch dann muss/will ich sie aufgeteilt antreten. Ein Arbeitsstipendium wäre mir deutlich lieber.

 

Eva Brunners zweiter Lyrikband „Zweitwald“ erschien im Oktober 2024 im Weissmann Verlag.

 

 

 

 

 

 

Recidencies with Care: Clara Lena Langenbach

Warum hast du dich auf das Residenzstipendium beworben?

Clara Lena Langenbach: Ich habe mich auf die Residenz beworben, um für eine Zeit ungestört und konzentriert an einem Projekt zu arbeiten, abseits vom Alltag.  Zusätzlich konnte ich die entstandene Arbeit  durch die finanzielle Unterstützung und Ausstellungsmöglichkeit gleich präsentieren.

Wie war die Residenz für dich?

Clara Lena Langenbach: Ich habe mich sehr wohl und verstanden gefühlt. Die Möglichkeit ein großes Atelier nutzen und mich auch vor Ort zurückziehen zu können in Verbindung mit der Freiheit nicht anwesend sein zu müssen, ist sehr befreiend. Durch diese Offenheit und Wahlmöglichkeit vertraut das  Konzept des  Stipendiums darauf, dass jede*r selbst dazu in der Lage ist, für sich selbst die momentan beste Arbeitssituation zu schaffen.

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Clara Lena Langenbach: Ich habe an der Installation „practice makes perfect“ (2024) gearbeitet. Geprägt von meiner eigenen Skoliosediagnose verbinde ich physiotherapeutische und bildhauerische Techniken zu abstrahierten Körperfragmenten in Skulpturen und raumgreifenden Installationen. Dabei behandele ich den Körper als formbares Objekt, das durch äußeren Druck – sei es physisch oder gesellschaftlich – beeinflusst, verändert oder eingeschränkt wird, um traditionelle Vorstellungen von Körperlichkeit zu hinterfragen.

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Clara Lena Langenbach: Freiheit bei der individuellen Gestaltung der Residenzbedingungen ist generell sinnvoll. Für Menschen, die Carearbeit leisten, ist dieses Vertrauen besonders entscheidend, da eine Residenz oft schon an den jeweiligen Bedingungen scheitert. Es ist selten möglich, mehrere Monate am Stück mit oder ohne Familie anzureisen. Das Künstler[*innen]haus Lauenburg  bietet Raum, Toleranz und Flexibilität für Familien und leistet damit einen großen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und künstlerischer Arbeit.
Clara Lena Langenbach war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

Residencies with Care: Jul Gordon

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Jul Gordon: In meinem Arbeitsalltag fehlt oft die Zeit, um mehrere Tage am Stück konzentriert an etwas zu arbeiten. Administrative Aufgaben, Geld verdienen und Care-Arbeit – das alles beansprucht einen großen Teil meiner Kapazitäten. Oft scheint alles dringender, als an einem Comic weiterzuarbeiten. Während des Stipendiums gab es die Möglichkeit, fokussiert zu arbeiten. Auch dass das Stipendium nicht nur einen kostenlosen Raum, sondern auch Geld bietet, ist wichtig für die Machbarkeit. Ein weiterer Faktor für meine Entscheidung war, dass die Bewerbung eher unaufwändig ist. Bewerbungen gehören zur unbezahlten, aber nötigen Arbeit für freiberufliche Künstler*innen. Aufwändige Bewerbungsverfahren kann ich mir neben der unbezahlten Arbeit, die ich ohnehin zu tun habe, zeitlich oft nicht einrichten.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Jul Gordon: Künstler*innen und Autor*innen brauchen fokussierte Phasen. Personen, die Care-Arbeit leisten, fällt es oft noch schwerer, sich solche Phasen einzurichten. Stipendien wie „Parents in Arts“ ermöglichen, dass sich auch die Perspektiven von Personen entfalten können, die Care-Arbeit leisten, und tragen so zur Diversität in der kulturellen Landschaft bei. Von mir wird während des Stipendiums erwartet, dass ich meine künstlerische Arbeit voranbringe und dass sie für den Zeitraum im Mittelpunkt steht. Diese Legitimierung von außen hilft auf materieller und psychischer Ebene, die Arbeit machen zu können.

 

Jul Gordon war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Residencies with Care: Yara Jakobs

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Yara Jakobs: Als ich das Stipendium gefunden habe, dachte ich: eine einzigartige Möglichkeit, künstlerisch zu arbeiten und meinen Sohn dabeizuhaben. Ich kann zeichnen, schreiben, und er darf Teil sein, juchhe.

 

Wie war die Residenz für dich?

Yara Jakobs: Bereichernd, Freundschaften wurden geschlossen, das Buch ist gewachsen.

 

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Yara Jakobs: Ich habe ein Kapitel meiner Novelle „Rolle, Rolle, Rolle“ fertiggestellt, in der es um den Spagat zwischen den Identitäten einer Working Mom geht.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Yara Jakobs: Weil Kinder zum Leben, zur Kunst und Kultur gehören! Sie verdienen einen Platz und wir unsere Zeit, um zu arbeiten.

 

Yara Jakobs war 2024 Stipendiatin des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Residencies with Care: Sascha Preiß

Warum hast du dich auf das Hamburger Residenzstipendium „Parents in Arts“ beworben?

Sascha Preiß: Vor allem wollte ich, dass sich möglichst viele Eltern auf das Stipendium bewerben, damit man schon an der Bewerber*innenzahl sieht, wie wichtig ein altersunbeschränktes Stipendium explizit für Eltern ist, wie sehr das fehlt bzw. wie wenig Eltern im künstlerischen Betrieb mitgedacht und oft genug ausgeschlossen werden. Ich habe gar nicht so sehr an mich selbst gedacht. Zugleich betrifft es genau meine Situation: in Trennung lebend, zwei Kinder, die ich mehrheitlich betreue, eines mit Behinderung und Pflegegrad, da sind lange Abwesenheiten schlicht nicht möglich, abgesehen davon, dass sie finanziell nicht zu stemmen sind. Klar habe ich mich enorm gefreut, als ich einen Platz zugesprochen bekam, aber noch mehr habe ich mich für die Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit des Programms selbst und der Idee dahinter gefreut – also Riesendank an die Initiatorinnen!

 

Wie war die Residenz für dich?

Sascha Preiß: Der Aufenthalt im südwestbrandenburgischen Fleming war Natur pur und unglaubliche Ruhe, fürs Schreiben und oft auch nur fürs Lesen. Eines Abends kam sogar eine Schleiereule an mein Fenster geflogen und schaute neugierig herein. Meine Mutter war für die Zeit bei den Kindern, da musste ich mir keine Gedanken machen. Und dann die offene Zeit ohne die festen Tagesrhythmen des Alltags, man schafft sich neue, aber kann diese wesentlich flexibler ausgestalten. Überhaupt: die Abwesenheit des Alltags, was den Gedanken Zeit und Raum gibt, sich kontinuierlich mit dem Text zu beschäftigen, mit einer Stelle, manchmal nur einer Formulierung. Diese Kontinuität des Arbeitens ist für mich das Entscheidende, was das Stipendium ermöglicht hat.

 

Woran hast du während der Residenz gearbeitet?

Sascha Preiß: An einem Roman über meinen verstorbenen Bruder.

 

Warum sind Stipendien dieser Art wichtig?

Sascha Preiß: Künstler*innen mit Kindern werden oft genug bei Aufenthaltsstipendien implizit, gelegentlich auch explizit ausgeschlossen. Das kann durch die Anwesenheitspflicht sein, das häufig genannte Besuchsverbot in Residenzen, die Länge von Residenzen (welche Eltern können ihre kleineren oder schulpflichtigen Kinder mal eben ein halbes Jahr allein lassen?) oder die oft schmale Vergütung, mit der eine zusätzliche Kinderbetreuung nicht möglich ist. Insbesondere für Alleinerziehende, mehrheitlich Frauen, sind solche Programme komplett unrealistisch. Was dazu führt, dass Eltern weniger künstlerisch arbeiten können oder nur mit besonderem Mehraufwand, dadurch weniger sichtbar sind. Vor allem für bildende Künstler*innen kann das eine abgebrochene Laufbahn bedeuten. Künstler*innen mit Kindern explizit anzusprechen und ihnen Freiräume zu geben, damit sie künstlerisch arbeiten können und von der Sorgearbeit einmal zurücktreten können, das fand bisher so gut wie gar nicht statt.

 

Sascha Preiß war 2024 Stipendiat des „Parents in Arts“-Stipendiums der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.

 

 

Same Work But Different: Silke Sutcliffe

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Silke Sutcliffe: Die Mutter der jugendlichen Protagonistin, die selbst künstlerisch tätig ist, hat ihre Familie aufgrund einer Depression und der Überforderung, die Care-Arbeit für sie bedeutet, verlassen. Diese Abgründe auszuloten, wäre mir ohne die Erfahrung, für Kinder zu sorgen, nicht möglich gewesen. Die Hauptfigur will mit 16 zwar nicht mehr „umsorgt“ werden, braucht aber dennoch Bezugspersonen und Halt, die bzw. den sie auch findet. Das war mir wichtig – alternative Lebensentwürfe zur heilen Normfamilie aufzuzeigen.

 

Wenn dich vor der Kita/ vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?

Silke Sutcliffe: Im meinem Debüt geht es um die enge Freundschaft zwischen zwei Mädchen, die an der Beziehung zu ihrem neuen Mitschüler zu zerbrechen droht: Denn er leidet an einer psychischen Erkrankung, die im Verlauf des Romans zunehmend Thema wird. Im Zentrum stehen also eine Coming-of-age-story, aber auch die Schwierigkeiten, mit denen Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen konfrontiert werden. Mental-Health-Themen werden im Jugendbuch meiner Meinung nach noch immer noch zu wenig thematisiert. Aber nur wenn wir offen darüber sprechen, können wir zu einem Verständnis der Situation jenseits von Verletzungen oder Schuldzuweisungen gelangen.

 

Hatte deine Mutterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit?

Silke Sutcliffe: Ja! Während ich mich früher oft in Texten verloren habe (was schön sein kann!), bin ich nun gezwungen, meine Zeit besser einzuteilen. Auch wenn zwischen Kindergeburtstagen, Sportterminen, Hausaufgabenbetreuung, Kochen, Trösten, Kuscheln (und meinem Job als Lehrerin) immer zu wenig Zeit bleibt, arbeite ich paradoxerweise effektiver.

 

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?

Silke Sutcliffe: Jein. Ich bin froh, dass eine Schwangerschaft nicht drei Jahre dauert – und mein Kind konnte ich weder vor noch nach der Geburt weglegen oder in Bezug auf sein innerstes Wesen beeinflussen. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: Die Ängste, die ein Leben mit veränderten Parametern nach der Geburt bzw. Veröffentlichung beinhaltet, die Ambivalenz der Gefühle, die den Prozess begleiten, die Liebe zum eigenen Text.

 

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?

Silke Sutcliffe: Aufenthaltsstipendien mit Präsenzpflicht kommen für mich nicht infrage, da ich durch meine Kinder und meine Arbeit als Lehrerin räumlich und zeitlich gebunden bin. Die hiermit einhergehende fehlende Sichtbarkeit ist ein Problem. Ich wünsche mir flexible Stipendien ohne Präsenzpflicht, die sich z.B. in mehrere Aufenthalte am Wochenende und in den Schulferien aufspalten lassen – gerade im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur.

 

Silke Sutcliffe Jugendroman Ein Sommer, drei Monde erschien im September 2024 im Verlag Monika Fuchs.