Other Artists: Franziska Opel

Franziska Opel, MOTHER, 2021, Pinnadeln auf Jeans, geöst, 22 x 15 cm, in nummerierter und signierter Box

Franziska Opel (geb. 1984, in Hamburg lebend) ist Künstlerin und seit 2020 Mutter. Opel nutzt Zeichen und Sprache als visuelle Elemente, mittels derer sie das Benannte decodiert, verschiebt und modifiziert. Innerhalb ihrer multimedialen Installationen kommt den häufig mit großer Makellosigkeit eingebrachten und verarbeiten Materialien eine besonders wichtige Rolle zu. Das jeweilige Objekt wird hierdurch fetischisiert, Macht- und Genderkonstrukte werden vorgeführt und in Frage gestellt.
Franziska Opels Arbeit „MOTHER“ erschien im Jahr 2021 als Jahresgabe für den Hamburger Kunstverein. Das Multiple besteht aus sechs Anstecknadeln, die das Wort „MOTHER“ Buchstabe für Buchstabe zeigen. Die Pinnadeln referenzieren Clubinsignien, Ehrenzeichen, Orden oder Medaillen und damit Erkennungs- und Statussymbole, die herkömmlicherweise einem vorwiegend männlich besetzten Kontext entstammen. Artig, stolz und wohlorganisiert stecken die mit geometrisch strengen Glyphen versehenen Nadeln in jenem blauen Denim-Baumwollstoff, der ursprünglich in der Arbeiterkleidung der Unterschicht verarbeitet, über einen kurzen Zeitraum als Mittel der Provokation und des Protests genutzt wurde und nun die omnipräsente und angepasste Uniform eines etwas informelleren Alltags darstellt. Die spitzen, offenen Enden der Anstecknadeln bergen die Gefahr, sich zu verletzen. Gleichzeitig bietet sich dem Betrachter hier die Möglichkeit, die Bedeutung des ursprünglich Gegebenen durch das Entfernen oder Austauschen einzelner Pins zu verändern und eine erneute Kontextverschiebung vorzunehmen.
In den Kontext des Weiblichen, der Mutterschaft transferiert, wirbelt Opels Multiple eine Vielzahl von Gedanken, Assoziationen und Fragen auf: Wie steht es mit der Anerkennung? Wofür genau? Reicht die Anerkennung oder geht es eigentlich um Handfesteres? Sind die Pins Insignien oder Schmuckstücke? Bestimmt die geschlechtliche Identität des Tragenden jene Zuordnung? Wer verleiht die Auszeichnungen? Wer bringt sie an? Das gab es historisch doch bereits, die im Orden sichtbar gemachte Würdigung von gänzlich auf das Muttersein reduzierten Frauen … Kennzeichnen die Anstecknadeln ein Positivum oder einen Makel? Wie öffentlich möchte ich meine Mutterschaft überhaupt handhaben? Wer ist Mitglied in meinem Club? Ist es die Mutter selbst, die sich an den offenen Spitzen der Anstecknadeln verletzt? Oder sind es jene, die am Begriff hantieren?

Other Artists: Clara Alisch

Clara Alisch (geb. 1986 in Münster) schloss ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg im Bereich der Zeitbezogenen Medien bei Prof. Matt Mullican und Prof. Michaela Melián 2021 mit dem Master of Fine Arts ab und absolviert derzeit einen Ergänzungsmaster im Bereich der Kunstwissenschaften, Medien und Ordnungen der (Un-)Sichtbarkeit in Kunst und Visueller Kultur an der Universität Bremen. Alisch arbeitet an Schnittstellen künstlerischer, politischer und wissenschaftlicher Diskurse über (Un-)Sichtbarkeitsverhältnisse, feministische Raumpraxen und kollektive Handlungstrategien. Sie befasst sich vor allem mit dem Sachverhalt von unbezahlter und somit unsichtbarerer Reproduktionsarbeit und lotet utopische sowie spekulative Potenziale für diesbezügliche andere (sozio)kulturelle Erzählungen aus.

Clara Alischs multimediale Videoinstallation „Lactoland“ aus dem Jahr 2021 besteht aus einer soundbegleiteten Videoarbeit, einem Bonbonglas, das für die Ausstellungsbesucher*innen frei zugänglich ist, und einem beweglichen Paravent. Das Video, als die Installation dominierendes Element, zeigt eine Milch abpumpende Frau in Arbeitskleidung, die sich in einer an eine Produktionshalle erinnernden Umgebung befindet, sowie folgend eine weitere „Milcharbeiterin“, die aus der gewonnenen Milch Bonbons herstellt – eben jene Bonbons, die den Betrachtenden der Installation im Ausstellungsraum dargeboten werden. Als Sicht- wie Spritzschutz fungierend bildet schließlich der im Video und auch in der Ausstellungsinstallation genutzte Paravent ein funktionales und außerdem Intimität gewährendes raumteilendes Element.
Im Detail wie in Gänze betrachtet ist „Lactoland“ vieles zugleich: eine provokante Unternehmensidee in gleichem Maße wie die subversive Aufforderung, einem gemeinschaftlichen Milchsee und damit der übergreifenden Versorgung der Kinder zuzuarbeiten. Der Versuch, der sogenannten „Muttermilch“ – über den Umweg eines Bonbons als für alle faßbares Produkt – wieder einen Wert beizumessen und damit auch dem Arbeitsprozess der Milchproduktion, der jener produktorientierten Wertbildung vorausgeht, zu Sichtbarkeit zu verhelfen. Clara Alischs Arbeit verweist außerdem auf die Geschichte der Frauenmilch, die mit ihrer Umdeutung zur „Muttermilch“ die stillenden Frauen in die Grenzen des eigenen Heims verwies, derer diese sich weit später, u.a. mithilfe des Griffs zur Milchpumpe, wieder zu entledigen versuch(t)en. Die realen räumlichen Grenzen des Heims, jene des Innens und Außens sowie die soziale Separation der sich zurückziehend Stillenden werden durch Alisch auf besondere Art und Weise auch mittels der in der Ausstellungssituation dargebotenen (tatsächlich nur fiktiv aus Frauenmilch gewonnenen) Bonbons thematisiert: Hier bewegt sich die Körperflüssigkeit Brustmilch als weiterverarbeitetes Produkt in den öffentlichen Raum – vom Familiären ins Gesellschaftliche –, wird Objekt, greifbar und sichtbar, das verborgene Feld des intimen Kontakts zwischen Mutter und Kind verlassend. Neben der Anregung, die eigene Haltung zu dem dem Produkt anhaftenden Ekel zu überdenken, ist die dargebotene Süßigkeit vor allem eine Einladung, teilzuhaben am Prozess des Nachdenkens über (und Vollziehens von) alltäglicher Sorgearbeit durch die Brusternährung.

„Lactoland“ wird vom 29.09 bis 03.10. 2022 im Rahmen der Auszeichnung mit dem Preis RUNDGANG 50HERTZ 2022 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin ausgestellt. Hierzu erfolgt im Juni 2022 außerdem ein Onlineevent mit Video- und Katalogpräsentation zum Projekt (weitere Informationen hierzu in Kürze unter https://rundgang50hertz.de).

Im November 2022 wird „Lactoland“ zudem in einer Gruppenausstellung zum Thema Mutterschaft im Syker Vorwerk – Zentrum für Zeitgenössische Kunst bei Bremen zu sehen sein.

Other Artists: Linn Schröder

Linn Schröder (geb. 1977 in Hamburg) studierte Fotografie in Hamburg und Zürich. Seit 2004 ist sie Mitglied von Ostkreuz, Agentur der Fotografen, seit 2016 zudem Professorin für Fotografie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg.
Auf der Suche nach Motiven, die über sich selbst hinausweisen und zum Allgemeingültigen wie auch Poetischen hin durchlässig werden, streift Linn Schröder die klassischen Kategorien der dokumentarischen und der inszenierten Fotografie: Ihre jeweilige Umgebung genauestens beobachtend, entwickelt sie aus den wahrgenommenen Situationen heraus vielschichtige und gleichermaßen klare wie uneindeutige Bildwelten. Schröder arbeitet in umfassenderen aber auch kompakteren fotografischen Serien – dessen ungeachtet steht jedes Einzelbild, jedes Teilelement ihrer Serien für sich, ohne sich auf den Werkkontext oder den stützenden Serienverband zu verlassen.
Linn Schröder wurde im Jahr 2012 Mutter von Zwillingen. Das bedeutete für sie, dass sie längere Reisen, die bis dato die Grundlage vieler ihrer Fotoarbeiten bildeten, nicht mehr würde unternehmen können. Entsprechend beschloss sie eine Arbeitsweise zu etablieren, die das im Rahmen ihrer Situation als Mutter Machbare einschloss und sich dem Naheliegenden widmete. Schröder knüpfte an eine ältere Arbeit an und begann, befreundete Frauen mit ihren Kindern zu portraitieren. Über jene Bilder hinaus entwickelte sie folgend die umfangreiche, nach wie vor offene Fotoarbeit „Ich denke auch Familienbilder“, die Aufnahmen befreundeter Kinder sowie insbesondere Fotografien von Linn Schröders Töchtern versammelt. „Ich denke auch Familienbilder“ enthält jedoch keine Familienbilder im klassischen Sinne, keine Belegaufnahmen für gemeinsame Reisetätigkeiten oder Feierlichkeiten, keine Familienbande verortenden oder Wachstum und Entwicklungen dokumentierenden Gruppenaufnahmen. Dem Arbeitsansatz Schröders entsprechend weisen die Fotografien der Serie weit über das jeweils Abgebildete hinaus: Die dargestellten Kinder und die von ihnen an verschiedensten Standorten ausgeführten Handlungen generieren einen Durchlass zu einem traumartigen, mehrdeutigen und teilweise ambivalenten Blick auf hinter den Oberflächen verborgenen Welten. Vorwiegend auf Schwarzweißfilm im Außenraum fotografiert, verweigern sich die Aufnahmen zudem einer näheren örtlichen wie zeitlichen Verortung – Linn Schröders Fotografien lassen sich als allgemeingültig und gleichzeitig als zutiefst subjektiv erfahren. Über das gekonnte Trennen der Verbindung von Motiv und Bildaussage hinaus verändert Schröder während des Fotografierens auch die Beziehung zu ihren Kindern: Während des Arbeitens sieht sie sich nicht vorrangig in der Rolle der Mutter der Dargestellten. Von außen auf ihre in den verschiedensten Szenerien agierenden Kinder blickend, betrachtet sie diese als Schlüssel zu einer Vielzahl mehrschichtiger, offener Bilder.
Linn Schröders Arbeit „Ich denke auch Familienbilder“ wurde während der letzten Monate als Teil der Ausstellung “Family Affairs” in den Hamburger Deichtorhallen präsentiert.
Ein Großteil der im Kontext der Serie „Ich denke auch Familienbilder“ entstandenen Fotografien findet sich außerdem in der kürzlich bei Hartmann books erschienenen gleichnamigen Publikation.

Other Artists: Ivonne Thein

Ivonne Thein (geb. 1979 in Meiningen) studierte Fotografie und Video in Dortmund und Freie Kunst in Melbourne. In ihren multimedialen Arbeiten thematisiert sie den Wandel unseres traditionellen Körperbildes im digitalen Zeitalter und Posthumanismus, bestehende Geschlechterrollen und den Status der Frau in einer durch patriarchale Strukturen geprägten Gesellschaft. Sie bedient sich hierfür verschiedenster Medien – Thein fertigt Videos und Fotografien, sie arbeitet skulptural wie auch installativ und nutzt computerbasierter Techniken.
Als Schlüsselerlebnis hinsichtlich des im Kunstbetrieb verbreiteten Mangels an Akzeptanz gegenüber Künstlerinnen* mit Kind(ern) empfand Ivonne Thein die Äußerung eines Kurators, der während ihrer Schwangerschaft meinte feststellen zu müssen, dass sie es auf Grund der bevorstehenden Mutterschaft zukünftig schwer haben würde, als Künstlerin weiterhin erfolgreich zu sein. Diese Begebenheit führte dazu, dass Thein beschloß, offensiv mit ihrer Mutterschaft umzugehen und sich auch künstlerisch mit dem gesellschaftlichen Status von Müttern wie auch im Besonderen mit ihrem Stand im Kunstbetrieb auseinanderzusetzen – in eben jenem Kontext sind Theins Arbeiten „7 steps to become a good mother“ (2018) und „the self and the other“ (2019) entstanden.
In der Videoarbeit 7 steps to become a good mother and remain a good artist thematisiert Ivonne Thein die Wandlung der „Künstlerin“ in eine „Künstlerin mit Kind“. In den überspitzten und als „humorvolle Anleitung, dieser neuen Rolle der Künstlerin mit Kind als Künstlerin zu begegnen“ zu verstehenden Videosequenzen findet sowohl die von Ängsten durchdrungene Seite der Künstlerin als Mutter wie auch die mit Vorurteilen hantierende Seite der oftmals noch im traditionellen Rollendenken verhafteten Kunstwelt ihren Widerhall. Thein zitiert, modifiziert und reagiert auf Äußerungen bekannter Künstlerkolleg*innen, gängige Phrasen und ungeschriebene Branchengesetze – sie spiegelt eine zwischen Rollenstereotypen, Produktionsdruck, Sehnsüchten und Härten mäandernde Welt, in der Künstlerinnen in höheren Karrieresphären nach wie vor unterrepräsentiert sind und Mutterschaft als ein zum Manko des weiblichen Geschlechts hinzukommender Makel gilt.
Ivonne Thein ist seit 2021 Mitglied im Saloon Berlin, einem Netzwerk für Frauen im Kunstbetrieb.

Other Artists: Vanessa Gageos

 
Vanessa Gageos (geb. 1989 in Bukarest, Rumänien) studierte in Bern, Basel und Berlin u. a. Sound Arts, Contemporary Arts Practice sowie Raumstrategien. Sie bezeichnet sich selbst als multi-, inter- und transdisziplinär arbeitende Künstlerin. Ihre Arbeiten operieren in den verschiedensten medialen Kontexten, sie vermitteln audio-visuelle wie haptische ästhetische Erfahrungen und verknüpfen diese mit naturwissenschaftlich oder philosophisch orientierten Fragestellungen und Ansätzen.
Die 2020 entstandene Videoarbeit „conditio creatrix“ ist eine sehr persönliche Arbeit, die Gageos in ihrer Doppelrolle als Künstlerin und Mutter zeigt: Vanessa Gageos konzipiert, schreibt und liest, während sie zeitgleich ihr Kind stillt, beruhigt, unterhält. Sie ist tatsächlich beides während jener Aufnahmen, Mutter und Künstlerin, mal der einen, mal der anderen Sphäre mehr Aufmerksamkeit schenkend, müde, erfüllt, bemüht, hin und wieder ein wenig scheiternd im Einen oder Anderen. – Gageos möchte hier ein Neben- und Miteinander jener zwei oft wettstreitenden und sich wechselseitig torpedierenden Welten verwirklichen, deren gemeinsamer Wesenskern durch das Schöpfende oder Schöpferische wie auch durch konzentrierte Zuwendung gebildet wird.
Wie die meisten anderen Künstlerinnen in gleicher Situation beschäftigt auch Vanessa Gageos die Sorge, wie, einhergehend mit ihrer Mutterschaft, ein Weiterbestehen in voller Akzeptanz im Kunstbetrieb realisiert werden kann. Gleichzeitig forciert sie einen konstruktiven Umgang mit Künstler*innenelternschaft – und bezieht sich hierbei sowohl auf die unmittelbar Beteiligten wie auch auf unbeteiligtere Dritte: Gageos will Elternschaft als Quell einzigartiger und tiefer Erfahrungen wahrgenommen sehen, die u. a. auch das künstlerische Arbeiten prägen und bereichern können.

Other Artists: Clara Pistner

Clara Pistner (geb. 1996 in Nürnberg) studiert seit 2017 an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Sie arbeitet mit den Medien Video, Performance, Rauminstallation, Bildhauerei, Malerei, Film, Text und Zeichnung.

Clara Pistner interessiert sich für ihr individuell Wahrgenommenes, Erfahrenes, Gespürtes und Gedachtes. Dem Objektiven sowie dessen Anspruch und Möglichkeiten kritisch gegenüberstehend, sieht sich Pistner unbedingt dem Subjektiven verpflichtet – dies im Besonderen auch in Bezug auf ihr, nicht als bloße Rolle, sondern als Teil ihrer Identität begriffenes Künstlerinnentum.
Entsprechend natürlich erschien es ihr, sich mit aufgekommener Schwangerschaft mit eben jener und allen damit einhergehenden Empfindungen und Reflexionen auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang entwickelte Pistner über den gesamten Verlauf ihrer Schwangerschaft hinweg eine Vielzahl verschiedener Zeichnungsserien und Malereien, die sowohl die körperlichen und mentalen Veränderungen und Bedürfnisse der Schwangeren wie auch eine eingehende Beschäftigung mit dem Themenfeld Mutterschaft in diesem frühen, der Geburt vorangestellten Zustand reflektieren.

„ohne Titel, rote Serie von Aquarellen:
schnelle Aquarelle, schnelle Gefühle, schnell aufs Blatt bringen
Körperzustände Veränderungen
konkret aber rätselhaft
Aquarelle entstehen, bei der Entstehung, durch die Entstehung, die Entstehung verstehend.“

„,Selbstportrait mit Baby im Bauch‘:
ich völlig zerflossen, abstrakt, wo fange ich an, wo ende ich? Wo höre ich auf, wo fängst du an? Du jetzt ganz konkret, immer spürbar, eindeutig da. In meinem Zentrum, im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit. Nimmst mein Bewusstsein mehr ein, als ich selbst. Was bin ich? Du bist.“

Other Artists: Pitt Sauerwein

Pitt Sauerwein wurde in Wien geboren, verbrachte fünf Jahre mit ihren Eltern in den USA und wuchs schließlich in Hamburg auf, wo sie von 1992 bis 1999 bei B. J. Blume an der Hochschule für bildende Künste studierte. Von 2000 bis 2002 studierte Sauerwein im Rahmen eines DAAD-Postgraduiertenstipendiums an der Film- und Schauspielschule UNATC in Bukarest, Rumänien – einem Land, das sie, insbesondere seiner Unperfektheit wegen, künstlerisch sehr stimulierte und zur Kulisse vieler ihrer Werke werden sollte.
Pitt Sauerwein wurde bereits zu Beginn ihres Studiums in Hamburg Mutter – diese als starken Einschnitt empfundene Erfahrung brachte sie dazu, ihr fotografisches Schaffen wie auch ihr Wirken als Künstlerin neu zu denken und auszurichten. Die eigene Lebenswirklichkeit berücksichtigend, zeichnete sich ihr künstlerisches Werk in der Folge durch die Arbeit mit fotografischen Inszenierungen aus, in denen sie sich selbst mit ihrer Familie oder ihren Freunden in ausgewählten Settings abbildete. Die zwischen (vermeintlichem) Dokumentarismus und inszeniertem Happening oder auch Reenactment mäandernden Aufnahmen, durchgehend analog und mit einer Mittelformatkamera realisiert, widmen sich den Lücken zwischen allzu perfekt erscheinenden Familien-Werbewelten und missglückteren privaten Schnappschüssen. Mit großer Sorgfalt konzipiert und ausgestattet und an etwas rauhen, mittlerweile in vielen Fällen verschwundenen oder der Gentrifizierung zum Opfer gefallenen Orten realisiert, verwandeln Sauerweins Bildwelten die reale Welt in Kulissen des Privaten. Pitt Sauerweins oft seriell angelegte Fotografien reflektieren das eigene Erleben, die eng mit jenem verquickte Vorstellung davon, wie ein bestimmter Moment tatsächlich gewesen sein könnte, und bringen, ironisch wie gedankenverloren, Rollenbild und Rollenfragen in Bewegung. Innerhalb der knallig bunten, häufig etwas skurril oder absurd anmutenden Inszenierungen ist Sauerwein „Touristin in ihrer eigenen Realität“ und damit immer Zweierlei: sie ist gleichermaßen Objekt wie Subjekt, Fotografin und Modell, Regisseurin und Ausführende, Beobachtende und Erlebende. Mittels des auf der Mehrzahl ihrer Fotografien sichtbaren Kabelfernauslösers ihrer Kamera erlaubt sie sich somit einen stetigen, pulsierenden Wechsel der eigenen Perspektive. Zudem entwickelt sie, qua jener unbedingt Autorschaft vermittelnden Doppelrolle, eine besondere Form der ästhetischen Souveränität: Pitt Sauerwein erlangt Deutungshoheit – in Bezug auf sich selbst in jener so fragilen wie angreifbaren Position als Künstlerin mit Kind.

Viele der fotografischen Inszenierungen von Pitt Sauerwein finden sich in der im Kerber Verlag erschienenen Publikation „Pitt Sauerwein – Private Tourism“.

Other Artists: Maternal Fantasies

Maternal Fantasies, “Love and Labor. Intimacy and Isolation. Care and Survival. A performance between mothers and children in a state of lockdown”, Online-Performance, 2020

 

Maternal Fantasies ist eine interdisziplinäre Gruppe internationaler Künstlerinnen und Kulturproduzentinnen aus Berlin. Mittels integrativer, gemeinschaftsorientierter und performativer Experimente setzt sich die 2018 gegründete Gruppe in theoretischen wie praktischen Arbeiten mit Mutterschaft(en) und Politiken der Fürsorge in der Kunst auseinander. Das Spektrum ihrer Projekte reicht vom Schreiben autobiografischer Antworten auf klassische feministische Texte bis hin zur Entwicklung von Performances unter Verwendung von Kinderspielen – ihre multimediale Kunstpraxis bevorzugt inklusive, gemeinschaftsorientierte Experimente als Alternativen zu traditionellen Strukturen der Kunstproduktion. Das Grundanliegen der Gruppe besteht darin, die Gleichwertigkeit von Care-Arbeit gegenüber jeglicher anderen Arbeit einzufordern, um damit ein hierarchieloses Nebeneinander von u. a. Care- und Kreativprozessen zu ermöglichen. Maternal Fantasies besteht darauf, die herkömmlicherweise geforderte Trennung von Sorgearbeit und künstlerischem Schaffen aufzuheben und dadurch Mutterschaft(en) als legitime Facette von Künstlerinnenidentitäten zu etablieren.

In ihrer 2020 während der ersten Corona-Lockdown-Phase entstandenen Online-Performance „Love and Labor. Intimacy and Isolation. Care and Survival. A performance between mothers and children in a state of lockdown“ erklärt Maternal Fantasies die heimischen Küchen ihrer Mitglieder zu Schauplätzen des bildnerischen Sorgens und verspielten Reflektierens: Gemeinsam mit ihren Kindern schälen die Künstlerinnen Gemüse, sie spüren und äußern sich, sie spielen, teilen Empfindungen und trennen die helle und dunkle Wäsche … Vor dem Hintergrund des coronabedingt erzwungenen Rückzugs in die häusliche Isolation, inklusive der dortigen 24/7-Care-and-Care-Work-Akkumulation, versteht Maternal Fantasies „Love and Labor“ als Versuch, mothering nicht als festschreibende Identität oder gar nur physische Kategorie, sondern als dargebrachte Zeit, Aufmerksamkeit und Fürsorge zu begreifen. In diesem Sinne verstehen die Künstlerinnen mothering als Ausdruck der symbiotischen gegenseitigen Abhängigkeit, als Grundlage, Beziehungen zu gestalten und ein Leben zu ermöglichen, das die sorgende Koexistenz von Menschen, Pflanzen, Tieren und anderen Lebewesen, neben der Sorge für unseren Planeten einschließt.

Die Online-Performance ist noch bis zum 07.03.2021 Teil des digitalen Filmprogramms „Acting from the Middle of Somewhere“ der alpha nova & galerie futura.

Am 18.02.21 werden Maternal Fantasies, neben den anderen Finalisten der „floating university residency“, im Rahmen einer öffentlichen Jurysitzung ihr neues Projekt „Pflegen-Reime-Feigen. On Caring Coexistences as Urban Practice“ vorstellen.

Maternal Fantasies sind Aino El Solh, Hanne Klaas, Isabell Spengler, Lena Chen, Magdalena Kallenberger, Maicyra Leao und Mikala Hyldig Dal.

Other Artists: Annegret Soltau

 

Annegret Soltau wurde 1946 als uneheliches Kind eines unbekannt bleibenden Vaters in Lüneburg geboren. Von den Dorfbewohnern der Umgebung als Wechselbalg bezeichnet, wuchs sie bei ihrer Großmutter auf. In den frühen Sechzigerjahren verließ Annegret Soltau die Provinz, um schließlich in Hamburg und später in Wien Bildende Kunst zu studieren.
Bereits 1975 löste Annegret Soltau sich von traditionelleren Techniken und entwickelte die Verfahren der Fotoübernähung, Fotovernähung und Fotoradierung. Inhaltlich fußt Annegret Soltaus künstlerische Arbeit seit jeher auf der ständigen Auseinandersetzung mit dem Selbst, in seinen polar erscheinenden wie auch nach Einheit strebenden Teilelementen Körper und Geist und dessen Verknüpfungen und Relationen. Die ihr Werk bestimmenden Themen sind Generationsfolgen, das Alter, Gewalt, das Bild des Körpers und die Suche nach den eigenen Wurzeln.
1978 brachte Annegret Soltau eine Tochter, 1980 einen Sohn zur Welt. Bereits zu Beginn ihrer ersten Schwangerschaft war sie sich der Bedrohung, die ein Kind für ihre Arbeit als Künstlerin darstellen würde, in besonderem Maße bewußt – war es doch zu jener Zeit so, dass die Entscheidung für ein Kind beinahe unweigerlich dazu führte, dass man sich aus dem aktiven Künstlerinnenleben zurückzog, und Mutterschaft somit auch mit dem Verlust des eigenen künstlerischen Wirkens gleichzusetzen war.
In Video-Performances, Fotoarbeiten und großen Tableaus widmete sich Soltau den Schwangerschaften, Geburten und dem Aufwachsen der Kinder in Bezug zu ihrer eigenen Person und der Gesellschaft. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Problematik Kunst/Kinder beschäftigte Annegret Soltau über viele Jahre und wurde für sie zu einem existenziellen Thema.
Das künstlerische Werk Annegret Soltaus polarisiert: Obwohl ihre Arbeiten immer wieder skandalisiert und verboten wurden, wurde Soltau mit einer Vielzahl bedeutender Preise und Stipendien wie u. a. dem Stipendium der Villa Massimo in Rom, dem Maria-Sybilla-Merian-Preis oder dem Johann-Heinrich-Merck-Preis ausgezeichnet.

Other Artists: Sandra Krause Gomez & Christoph Medicus

Im September 2020 zeigte das Künstlerhaus Dortmund die Ausstellung „Künstlereltern – von und über“, die sich damit auseinandersetzte, ob und wie sich künstlerisches Arbeiten mit einsetzender Elternschaft verändert.
Neben vielen weiteren Künstler*innen haben auch Sandra Krause Gomez und Christoph Medicus (Berlin) an der Ausstellung teilgenommen und hierfür eine gemeinsame Arbeit entwickelt und vorgestellt:

„Künstlereltern zu sein bedeutet die Konfrontation verschiedener Systeme unentrinnbar auszuhalten. Was als Paar noch spannende Auseinandersetzung mit dem Anderen ist, wird als Eltern unter erhöhtem Alltagsdruck oft genug zum Kampf. Mit dem, was man ist, war und sein will, muss man gemeinsam Eltern und einzeln Künstler sein – ein Widerspruch wie ein Pulverfass, ein Wechselspiel im Ringen um Verhältnismäßigkeit.
Für die Ausstellung ‚Künstlereltern – von und über‘ hatten wir als ‚Künstlermutter‘ und als ‚Künstlervater‘ den erstmaligen Anlass eine gemeinsame Arbeit zu zeigen.
Unzählige Male hatten wir uns als Künstlerin und Künstler gegenseitig unterstützt und auf Ideen gebracht. Zu einer gemeinsam konzipierten und umgesetzten Arbeit ist es allerdings nie gekommen. Zu groß erschienen uns die Unterschiede in künstlerischen Interessen und Strategien. Ratlos waren wir zunächst angesichts der Aufgabe. Die Kurzfristigkeit der Anfrage und Zeitmangel erhöhten den Stress und mündeten in unproduktivem Streit.
Ein Konglomerat ist per Definition ein Gemisch aus sehr Verschiedenartigem. Unsere Installation ‚Konglomerat (That’s non of your business)‘ vermischt unsere unterschiedlichen künstlerischen Positionen. Die Auswahl der eigenen Arbeiten hat jeweils der andere vorgenommen. Sie bedient sich vorhandener Arbeiten und schichtet sie neu zusammen. Gefundene Plastikobjekte mit aus Holz gedrechselten Ergänzungen der Serie ‚Oil of yours can come and go (hug, suck, fuck, tuck, plug, …) yourselfs. (Schwarzgold)‘ stehen auf architektonischen Holzskulpturen in Form von Doppel-T-Trägern der Arbeit ‚D-T Progression‘. Im Gegenzug hängen drei Kartonabwicklungen der Arbeit ‚Tafeln‘ vor einer riesigen farbigen Zeichnung aus ‚Creating pressures on public authorities and private bodies. (Gegenfrottage)‘.
Eine gemeinsame gestalterische Entscheidung gab es dann doch: Die Rückbesinnung auf unseren momentanen ‚Mutter-Vater-Kind-Status‘ als Kleinfamilie durch die Auswahl von genau drei ‚Tafeln‘ und eine an drei Figuren erinnernde Hängung.“