Sounds Different: Daniella Strasfogel

An einem nasskalten Sonntagmorgen: Ein Theater am Ufer der Spree. Seine große schwarze Bühne, im Zuschauerraum steigen die Sitzreihen steil auf.
Kinder, Familien, die sich gegenseitig begrüßen und den Zuschauerraum mit Lachen, Rennen und Aufregung füllen. Kindliche Fragen, die in die Stille geworfen werden und in der grellen Atmosphäre der Neonröhren widerhallen.
Kinder, Familien, die aufgeregt ihre Plätze auswählen – vor allem in den vorderen Reihen. Und dann einige Einzelpersonen, die es vorziehen, sich weiter oben niederzulassen, oder noch zögern, sich hinzusetzen.
Viele junge Zuschauer plötzlich schuhfrei, hüpfend.
Klappsitze öffnen und schließen sich, klappern im Rhythmus der ungeduldigen Beinchen. Snacks werden aus Rucksäcken geholt, Papier und Plastik rascheln.
„Ich habe Durst!“
„Hunger!!“
„Wann fängt’s an?“
„Mir ist laaaaangweilig…“
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Sounds Different: Malika Alaoui

An einem dunklen Berliner Nachmittag empfängt mich Malika Alaoui in ihrem Wohnzimmer. Auf dem Tisch stehen Obst und Kaffee, auf dem Arm trägt sie ein achtmonatiges Kind, das mich aus großen dunklen Augen mustert. In ihrem Blick entdecke ich die typische Erschöpfung der ersten Jahre des Mutterseins und der (sehr) schlechten Nächte. In ihm nehme ich auch einen neuen Ausdruck wahr, den ich von ihr nicht kenne. Entspannung? Reifung? Bewusstsein? Wahrscheinlich alles zusammen.
Die Bühne, das Musikmachen und die musikalische Zusammenarbeit mit anderen Musiker:innen sind seit ihrer frühesten Kindheit ein zentraler Bestandteil von Malikas Leben. Wenn sie mir von ihrem Werdegang erzählt, habe ich das Gefühl, ein Bühnenwunder vor mir zu haben; jemanden, der nicht leben kann, ohne Musik und Emotionen mit dem Publikum zu teilen. Sie ist in erster Linie Sängerin, aber auch Tänzerin, Songwriterin und Projektinitiatorin und interessiert sich für alle Formen der darstellenden Kunst. „Selbst in Zeiten von Covid und Lockdown“, erzählt sie mir mit leuchtenden Augen, „habe ich es geschafft, wenigstens ein paar Mal aufzutreten.“

Bevor sie Mutter wurde, hetzte Malika Alaoui von einem Konzert zum nächsten, von der Berliner Jazzszene gefragt, aber auch von zahlreichen Weltmusik- und Zirkusprojekten, Masterclasses, und dies europa- und weltweit. Wie sieht es heute aus? Sie und ihr Lebensgefährte haben die Entscheidung getroffen, ihr Kind nicht vor seinem ersten Geburtstag in die Kita zu schicken. Malika erinnert sich daran, dass sie sich vor der Geburt überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hatte und dass sie, als das Kind da war, weder Zeit noch Energie hatte, sich mit der Frage zu beschäftigen. „Außerdem hätte ich ihn nicht jeden Tag in die Betreuung geben können „, fügt sie hinzu. Wir waren ja in Corona-Zeiten; auch dies habe sie nicht dazu besonders ermutigt. „Ich habe mich trotzdem dafür entschieden, während dieser Zeit nichts von meinen künstlerischen Verpflichtungen abzusagen“, sagt sie weiter. Hut ab!, denke ich. Sie erzählt weiter, dass sie sogar regelmäßig – mit ihrem Säugling im Publikum – auf der Bühne stehen und weiterhin an Aufnahmen mitarbeiten konnte. „Ich hatte vor, wenn ich ein Kind bekommen würde, es vollständig in mein musikalisches Leben zu integrieren, und deshalb war ich gerührt, als ich sah, dass es gut funktioniert“, sagt sie und schaukelt sanft ihr Baby.

Erstmal klingt es ziemlich gut, wie sich bei ihr alles einpendelt, denke ich nicht ohne Neid – denn ich empfand dieses erste Jahr damals wie ein einziges Chaos. Dennoch ist die Musikbranche noch nicht sensibilisiert für diese Fragen. Die Betreuung von Künstler:innen, die mit einem Kind oder Säugling auf Tournee gehen, ist nach wie vor rudimentär oder schlecht organisiert, Kinderbetreuung wird kaum bzw. gar nicht finanziell unterstützt. Es liegt an den Künstler:innen, zu kämpfen und von Fall zu Fall bessere Bedingungen einzufordern, wie Malika es macht, auch auf die Gefahr hin, die Arbeitsatmosphäre mit bestimmten Kulturstätten oder Institutionen zu verschlechtern. Malika sagt noch, sie sei froh, einen Partner zu haben, der sich engagiert und ihre beruflichen Anforderungen versteht. Auch wenn sie die Hauptlast der Betreuung des Kindes trägt, konnte sie dank seiner Hilfe und Begleitung auf Tourneen ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Am schlimmsten ist der Schlafmangel. Bis vor kurzem wachte ihr Baby nachts unzählige Male auf. Und auch die Tage sind kurz. Malika nutzt jede freie Sekunde, um zu proben, zu singen, Aufnahmen zu machen und berufliche E-Mails zu beantworten. Eine Stunde hier, zwei Stunden dort. Nachdem das Baby ins Bett gebracht wurde, sitzt sie noch lange an den Aufnahmen, die sie fertigstellen muss. Mit oder ohne Konzentration, mit oder ohne Muse, es ist hier egal, die kostbare Zeit muss genutzt werden. Manchmal frustriert sie das Gefühl, ihrem künstlerischen Anspruch nicht hundertprozentig gerecht werden zu können. Teufelskreis der Überforderung… Letztens hat sie festgestellt, dass sie für sich selbst so gut wie keine Erholungszeit nimmt.

Ja, das wird sich alles wieder einrenken. Wenn es älter werden wird, wird dieses kleine Kind mit dem intensiven Blick selbstständiger werden und seine Eltern werden nach und nach ihr eigenes Leben wieder in den Griff bekommen. Malika Alaoui wird wieder persönliche Projekte initiieren und mit anderen Künstler:innen zusammenarbeiten können. Sie wird wieder mit oder ohne ihren Sohn auf Tournee gehen und weiterhin ihre Karriere als Bühnenfrau verfolgen. Aber sind diese schwierigen ersten Elternschaftsjahre ein unabwendbares Schicksal? Ich kann nicht anders, als zu hoffen, dass den Müttern und Vätern nach uns während ihres Starts in das Elternleben von der Musikszene mehr Unterstützung und mehr Verständnis zuteilwird. Für unsere Entfaltung, die unserer Kinder und die unserer Kunst.

Mehr zur Arbeit von Malika Alaoui unter www.malika-alaoui.com. Hörempfehlung: Auszug aus ihrer Performance „NOW“.

Sounds Different: Und was macht die Musik?

Oh la barbe!!, wie man bei mir in Frankreich sagen würde. Wieder einmal um die Zukunft zittern, um unsere Gesundheit oder die unserer Kinder … Wieder einmal überlegen, welchen Sinn es hat, weiterhin eine brotlose Kunst zu praktizieren, in einer Welt, in der Kultur nicht als Grundbedürfnis eingestuft wird, sondern als „systemirrelevant“ … Gerade jetzt, wo wir von einer rasanten Pandemiewelle heimgesucht werden und wir uns erneut von beruflicher Unsicherheit oder einer weiteren Verlangsamung unserer Aktivitäten bedroht fühlen, mag es lächerlich erscheinen, über unser Eltern- und Künstler:innendasein und alle damit verbundenen gesellschaftlichen und beruflichen Fragen nachzudenken. Und doch …
Nie schien es wichtiger, den zwiespältigen Platz, den unsere Gesellschaft der Familie einräumt, zu hinterfragen als in diesen Zeiten der Pandemie. Eine Familie zu gründen gleicht heute dem Leistungssport, so wenig offen ist die Arbeitswelt, so wenig auf die zeitlichen Bedürfnisse von Eltern und Kindern zugeschnitten. Ganz zu schweigen von unseren künstlerischen Berufen, in denen es ein Balanceakt ist, Kreativität, Karriere und Kindererziehung in Einklang zu bringen.
Die Auswirkungen der Gesundheitsmaßnahmen auf Eltern und Kinder waren und sind noch enorm, sowohl in beruflicher als auch in wirtschaftlicher, psychischer und erzieherischer Hinsicht. Größtenteils weil die kreativen Berufe mehr denn je von Prekarität bedroht sind und eine absolute Notsituation sie nur noch mehr schwächen konnte. Aber wenn man der Gesundheitskrise, die wir seit zwei Jahren durchmachen, einen Vorteil abgewinnen kann, dann ist es vielleicht die Tatsache, dass wir uns heute gezwungen sehen, nach Lösungen zu suchen, um unser Leben als Künstler:innen und Eltern zu verbessern.
Und die gute Nachricht ist, dass sich die Dinge ändern. Langsam, aber sicher. Musikerinnen und Musiker aus allen Bereichen nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie laden das Thema Elternschaft in ihre Werke ein. Sie fordern mehr Raum und Aufmerksamkeit für ihre Kinder. Wir werden ihnen hier regelmäßig in dieser Kolumne begegnen und sie über ihr Leben, ihre Visionen, ihre Schwierigkeiten und ihre Lösungen sprechen lassen.
Wir sehen uns hier im Dezember für einen ersten Einblick in die zeitgenössische Musik- und Elternrealität. Bleibt gesund!