Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (II)

Liebe Jenny,

sehr eindrücklich, deine Schilderung der Szene im Supermarkt. Man spürt, dass du Situationen wie diese gut kennst, während ich, als ich den Vater mit seiner Tochter im Café beschrieb, lediglich passive Beobachterin war. Selbstironie, Überforderung, Wut – ich kann mir vorstellen, dass der Grat zwischen alldem häufig schmal ist. Du schreibst, dass du erleichtert bist, dein Kind zumindest bei deinem Partner gut aufgehoben zu wissen. Bist du da nicht ziemlich streng mit dir? Ich könnte mir vorstellen, dass er umgekehrt ganz ähnlich denkt. Woher kommen diese hohen Ansprüche an dich, was meinst du? Bist du in Bereichen, die nicht deine Mutterschaft betreffen – in deiner Kunst etwa –, genauso selbstkritisch?

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Marble ASMR Healing

30.000 Jahre – so lange ist es in etwa her, dass Menschen in der Chauvet-Höhle, gelegen in der Nähe einer französischen Kleinstadt im Flusstal der Ardèche, Höhlenmalereien und Ritzzeichnungen von Auerochsen, Pferden und Nashörnern hinterließen. Ich bin mit Werner Herzogs 2011 veröffentlichtem Film „Die Höhle der vergessenen Träume“ dort gewesen, etwas spät also – aber wenn wir von Zehntausenden von Jahren sprechen, ist das ja nur der Bruchteil eines Augenblicks. Und seitdem stelle ich mir die Frage, welches Thema man wohl bearbeiten und welches Medium man wohl verwenden müsste, um einer ähnlich fernen Zukunft etwas über uns zu erzählen. Immerhin konnte die Chauvet-Höhle nur derart gut erhalten aufgefunden werden, weil der ursprüngliche Eingang durch eine herabfallende Felswand abrupt verschlossen wurde – und ich wäre ungern dabei, wenn Erdrutsch meinen Laptop unter sich begräbt.
Natürlich stelle ich mir diese Fragen nur im Umfeld meiner eigenen Träume, denn tagsüber beschäftigen uns die Auswirkungen der wiederkehrenden Notbetreuungsansagen unserer Kita – und was könnte jemand ohne Systemrelevanz der Zukunft schon mitzuteilen haben? In der Pandemie hat sich das Ritual eingestellt, dass wir abends vor dem Sandmännchen eine Folge des YouTube-Kanals „Marble ASMR Healing“ schauen, auf dem jemand aus handelsüblichen DUPLO-Bausteinen Murmelbahnen errichtet. Die Kinder sind ganz verrückt danach – aber jedes Mal, wenn so ein Video läuft, fällt mein Blick auf die Kiste mit unseren eigenen DUPLO-Steinen, und ich frage mich, warum wir sie nicht einfach noch einmal hervorholen und unsere eigene Bahn errichten.
Natürlich ist es wenig sinnvoll zu spekulieren, was man der Zukunft hinterlassen sollte. Und doch – so habe ich es jedenfalls verstanden – markieren die Darstellungen in der Chauvet-Höhle in etwa jenen Zeitpunkt, als es dem Homo sapiens gelang, dem Neandertaler ein Schnippchen zu schlagen. Als die Vorfahren des modernen Menschen begannen, über Bilderfolgen miteinander zu kommunizieren.

Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (I)

Liebe Jenny,

ab und zu, wenn meine Wohnung mir zu eng wird, arbeite ich um die Ecke im portugiesischen Café. Das Café – mein Fenster zur Welt, das in den letzten Monaten zeitweise auf Bildschirmgröße geschrumpft ist. Am liebsten sitze ich an dem wackligen kleinen Tisch mit dem Rücken zur Wand und unverstelltem Blick in den Raum hinein, wo ich mir einbilden kann, zu beobachten, ohne beobachtet zu werden, unter Menschen zu sein und trotzdem für mich.

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Haltet euch bereit (III): Junges Gemüse

Illustration: Caroline Winkler

Sie schafft es nicht, das Gemüse auswachsen zu lassen. Ihr Mann ist stolz auf die von ihm angelegten Beete, die winzigen grünen Tomaten; die Salatköpfe, noch zu schwach, um zu schmecken; auf die Gurken, die an kleine Finger erinnern. Das Gemüse ist unschuldig und von ihnen abhängig.
Nachts geht sie hinaus, mit einer Taschenlampe. Sie legt die Lampe im Gras ab, greift mit beiden Händen nach Unreifem, stopft es sich in den Mund. Nur notdürftig reibt sie die Erde vom Gemüse.
Ihr Mann freut sich auf den selbstgezogenen Salat zum gegrill-ten Steak. Aber am nächsten Tag sagt sie ihm, dass erneut die Schnecken die ganze Ernte vernichtet haben.
Die Schnecken?
Ja, sagt sie, oder die Kinder.
Er sieht auf ihren flachen, mittlerweile vierzigjährigen Bauch, dann betrachtet er wieder die Glut auf dem Grill. Welche Kinder, fragt er, die der Nachbarn?

Haltet Euch bereit ist ein Gemeinschaftsprojekt von Franziska Gerstenberg (Text) und Caroline Winkler (Illustration), das aus rund 20 gemeinsamen Arbeiten besteht. Other Writers Need to Concentrate publiziert eine Auswahl.

Søndervig, Nordsøvej 137

Das Emblem auf dem kleinen Ofen prangend:
Eichhörnchen im Lorbeerkranz Hinter der
Glasscheibe wärmt uns das Zeichen unserer
Zerstörungslust Hitzewellen schwärmen bis
ins Kinderzimmer aus Wir schwitzen unser
Nachtprogramm: Monströse Flammenzungen
die Flyer des Naturkräfteparks verschlingen
Doch Luftzüge später ist da nur ein Rauschen
Ein Aschefilm mit Voice-Over-Kommentar
Die bevorstehende Trennung von Rücken
und Couch mit leisem Schmatzen unterlegt

Take Care: Dima Sehwail & Sara Ehsan (III)

Liebe Dima,

vor der Jugendsprache und ihren Auswirkungen auf die Literatur habe ich keine Angst. Sprache ist etwas Lebendiges und war schon immer in ständigem Veränderungs- und Anpassungsmodus, wie die Pflanzen, die sich auch an ihre Umgebung anpassen, das Organische an ihr liebe ich sehr. Es ist natürlich Geschmacksache, aber gerade Jugendliche brauchen Sprache als Abgrenzung zu den langweiligen deprimierenden Erwachsenen, die sie nicht werden wollen. Ich kann mich erinnern, dass ich als Jugendliche auch gerne für damalige Zeiten provokative Wörter wie „geil“ benutzt habe, es hatte etwas Anrüchig-Sexuelles, sodass man komisch angeschaut wurde, doch diese Bedeutungsebene ist im heutigen Verständnis völlig verschwunden.

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Same Work But Different: Julia Weber

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch?
Julia Weber: Ja. Die Vermengung ist unter anderem ein Buch über Mutterschaft, auch meine Mutterschaft, aber auch über die Kunst, meine Kunst und wie diese zwei von der Gesellschaft sehr getrennt gehaltenen Angelegenheiten in einem, meinem Leben ihren Platz finden können.

Hatte deine Mutterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit?
Julia Weber. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, die dahin flossen. In denen ich am Morgen und bei drei Tassen Kaffee darüber nachgedacht habe, was noch passieren könnte. Diese fliessende Zeit im Schreiben gibt es nicht mehr, seit ich Kinder habe. Es gibt das Einteilen. Das Raum schaffen für die Kunst. Das Kinder betreuen und Kinder lieben. Das randvolle, gute Leben.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?
Julia Weber: Die Belegexemplare habe ich im Verlag abgeholt, mit meiner Tochter Romy, die zwei ist und auch sehr schnell, sie hat alle anderen Bücher des Verlages aus den Regalen genommen und hineingebissen.

Wenn Dich vor der Kita oder vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in Deinem neuen Buch geht – wie würdest Du es beschreiben?
Julia Weber: Um das Erkämpfen der Weichheit. Um Weiblichkeit. Um Traurigkeit. Um die Augenblicke des Glücks und wie alles das mit der Kunst und dem Mutter- und Menschsein zusammenhängt.

Stehst Du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?
Julia Weber: Heinz Helle und ich haben es so legen können, dass mein Buch im Frühling erscheint und seines im Herbst. So kann ich an Lesungen gehen und er bleibt bei den Kindern und er geht dann im Herbst, während ich zu Hause bin. Wenn es sich überschneidet, dann müssen wir organisieren, die Kinder mitnehmen, Eltern oder Freunde anfragen.

Auf welches Stipendium hast Du Dich nicht beworben, weil Du Kinder hast?
Julia Weber: Auf alle, ausser ein Stipendium am LCB am Wannsee, bei dem ich mich sehr willkommen gefühlt habe mit meinen Kindern (meine ältere Tochter Nelly hat manchmal auf Zahnstocher aufgespiesste Melonenstücke ins Büro des LCBs gebracht), und Heinz Helle hat sich bei der Villa Massimo in Rom beworben, dort gehen wir nun von Juli bis September hin.

Der Roman „Die Vermengung“ erschien im April 2022 im Limmat Verlag.

Take Care: Dima Sehwail & Sara Ehsan (II)

Liebe Dima,

du sprichst viele schöne Dinge an wie die Muttersprache, die arabische Musik. Ich habe schon immer Musik aus der ganzen Welt gehört und liebe die traditionelle iranische Musik und glaube, dass meiner Tochter weitergegeben zu haben, obwohl sie die klassisch-europäische Musik lieber hört. Sie findet die Art des Gesangs bei uns lustig und befremdlich, wie ich auch als Kind. Ich hoffe, du wirst weiterhin arabische Musik hören, mit oder ohne Kinder, und ihnen auch arabische Geschichten vorlesen. Sie werden es dir vielleicht danken und es zu schätzen wissen, wenn sie groß sind.

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