Other Writers trifft Café Entropy: Delphine de Stoutz (und Mathilde Ramadier) im Würgeengel, Berlin
Wann war das?
An einem Freitag im September, glaube ich.
Was haben wir dort gemacht?
Eine Auszeit zwischen zwei wichtigen Dingen. Ein möglicher Ort zum Warten.
Es war damals nicht geplant.
Nein.
Worüber haben wir gesprochen?
Du hast mir die üblichen Fragen gestellt, über die Schule, meine Freundinnen, ob ich Hunger habe.
Dann hast du aufgehört, mir zu antworten.
Danach suchte ich die Worte tief in meinem Hals, wie ein Aufstoßen im Magen, ich musste sie nach oben bringen.
Ich erinnere mich an eine erdrückende Stille, eingebettet in den Lärm des Gläserklirrens und der Gespräche der anderen Gäste.
Ich weiß noch, dass ich mir sagte: „Jetzt ist es soweit.“
Wie habe ich reagiert?
Zuerst hast du nichts gesagt. Dann hast du einen Schluck von deiner Schorle genommen und mich, ohne mich anzusehen, gefragt, warum ich mich ausgerechnet dafür entschieden habe, ein Junge zu sein. Warum es mir nicht mehr gefiel, zwischen den Geschlechtern zu leben. Dass du nicht wüsstest, wie man mit Jungen umgeht, dass du nie einen Jungen gewollt hast und dass das kein leeres Gerede wäre.
Hat dich das verletzt?
Nein. Seltsamerweise verstand ich es.
Dann habe ich dich angeschaut.
Und was hast du gesehen?
Dass du deine Haltung korrigiert hattest, dass du gerade standst, dass deine Haarsträhne hinter dein Ohr geschoben war und nicht mehr vor deinem Auge hing, dass du seit 12 Jahren vor mir standst und ich dich nicht sah. Ich sah, dass ich dich erkannte.
In diesem Café lernten wir uns endlich kennen.
Ja.
Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du Kinder hast?
Bis ich Kinder hatte, war ich leidenschaftlich verliebt in Cafés. Ich besuche Cafés am liebsten allein. Ich beobachte und beobachte mich selbst, sammle Gedanken, verwandle andere Gäste in potenzielle fiktionale Figuren und erfinde auch für mich selbst Rollen. Dann kamen die Kinder und die Cafés wurden zum Ort der Blicke, die auf mich und meinen allzu lauten und ungeschickten Nachwuchs gerichtet waren. Ich versuchte zwar, mich in angeblich geeignete Orte, die Eltern-Kind-Cafés, zu flüchten, aber das war noch schlimmer, denn dort wurde ich nicht nur beobachtet, sondern auch verurteilt, genauso wie ich andere verurteilte. Was hatte ich in die Vesperdose gepackt, war es gesund genug? War mein Kind schuld an dem blauen Auge des kleinen Rotschopfs, der gerade meinen koffein-, laktose- und genussfreien Kaffee für 5 Euro verschüttet hatte? Jede Minute, die ich in diesen übelriechenden und ohrenbetäubenden Räumen verbrachte, war eine Tortur. Und es war ganz natürlich, dass ich nicht mehr in Cafés ging, zumindest nicht mit meinen Kindern.
Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?
Jetzt, da meine Kinder größer sind, beginne ich wieder, mit ihnen ins „Bistro“ zu gehen, wie man in Frankreich sagt. Denn in der Tat ist es für mich in Frankreich einfacher oder natürlicher als in Berlin, mit ihnen ins Café zu gehen. Ich genieße diese Momente, in denen wir uns Zeit nehmen, um Bilanz zu ziehen, ohne Druck oder besondere Erwartungen. Im Café schützt uns der Lärm der anderen, und oft lösen sich dort die Zungen, um ein wenig von sich selbst zu erzählen.
Aus dem Französischen von Barbara Peveling.
Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.
Take Care: Simone Scharbert & Christine Zureich (II)
Die Kartoffel
Take Care: Simone Scharbert & Christine Zureich (I)
Take Care: Clemens Böckmann & Sarah Diehl (III)
Liebe Sarah,
als ich letzte Woche deinen Brief zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich doch ziemlich umgeworfen. Die letzten sechs Monate gab es bei mir sehr grundlegende Veränderungen und vieles, wovon du schreibst, tanzt geradezu vor meinen Augen.
Die Beziehung zur Mutter von meinem Kind wurde beendet. Wir wohnen nach wie vor sehr nah beieinander und die Aufteilung und Absprachen funktionieren jetzt besser als zuvor. Es ist für uns beide eine Herausforderung, aber die Trennung hat dazu geführt, die Aufteilung der Sorge-Arbeit mit dem Kind klarer zu strukturieren. Dadurch gelingt es gerade besser, die Ebenen zu trennen, und Probleme, die es als Paar gab, können wir mit Abstand und in Abstand zu unserem Alltag klären, besprechen, vertagen, aushalten oder aufarbeiten. Viele Versuche, vorher Sorge-Arbeit so klar zu benennen und aufzuteilen, haben leider nicht geklappt. Erst jetzt, in der Distanz und in der Bestimmung klarer Zuständigkeiten und Grenzen, gelingt es uns viel besser, die unterschiedlichen Ebenen von Konflikten und Aushandlungen zu trennen.
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geh aus mein herz und werde irreal
im traum vom permanenten playdoTM. doch:
dieses vermissen hat sad to say nichts irreales
mein aufziehen. immer wieder stolpern
hin und her
jemand sollte dieses herumreißen dokumentieren:
ich?
sonntagabend kommt zu schnell aber so ist der deal
der kleineren regenrinne
saugen leerer kinderzimmer und im sommer
die sonne schießt kompromisse in euren room
geh aus mein herz und werde irreal
ich möcht einen morgen erreichen
ein ziel allein im dauerhaften lego
real: es fällt ein staub aufs raumschiff
die tiere aus gummi das glas mit irgendwas abgenagtem
entferne t9. tippe iwas und mache irreal:
die hoffnung, der glaube
an den text und eine abgekaute flucht
wenn ich mich morgen mit allen mir zur verfügung
stehenden mitteln in den tag reiße
Das Gedicht erschien in dem Band so stelle ich mir den gesang von erst kürzlich mutierten finken vor (parasitenpresse 2022).
Take Care: Clemens Böckmann & Sarah Diehl (II)
Liebe Sarah,
Danke für deine Antwort.
Ich will versuchen ein paar Sachen zu sammeln:
Warum ich gerade dich ausgesucht habe? Weil ich mich gefragt habe, ob sich dein Verhältnis zu Elternschaft im Laufe der Jahre nochmal verändert hat? Und weil ich mich – natürlich auch in Anlehnung an „Die Uhr, die nicht tickt“ – gefragt habe, wie sich manche, sehr persönliche Entscheidungen im Laufe der Jahre verhalten. Gleichzeitig schrecke ich davor zurück, gesellschaftliche Zusammenhänge auf persönliche Entscheidungen herunter zu brechen. Nichts gilt es mehr zu verteidigen (wohl eher erstmals zu erkämpfen), dass alle ihr Leben so leben können, wie sie es für richtig halten. Und ein zentrales Moment bleibt dabei wohl die Entscheidungen der anderen zu akzeptieren.
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Haltet euch bereit (IV): Kampfläufer
Wenn das Kind Kampfläufer sagt, meint es nicht den Vogel. Ein Kampfläufer ist ein Angriffsfahrzeug, das sich auf beinähnlichen Pylonen fortbewegt. Pylonen sind Säulen oder Stützen. Der bekannteste und gefürchtetste Kampfläufer ist der AT-AT, das steht für Allterrain-Angriffstransporter. Der AT-AT wird auch Imperialer Läufer genannt, weil er vom Galaktischen Imperium eingesetzt wird, sagt das Kind.
Das Kind kennt sich aus. Es sagt: Durch die vier Beine kann sich der stark gepanzerte AT-AT auf nahezu jeglichem Gelände fortbewegen. Der Kampfläufer transportiert in seinem Inneren ganze Truppenverbände. Die Bordwaffen bringen allen Feinden Tod und Vernichtung.
Ich liebe das Kind. Es hat neun Monate in mir gewohnt und neun Jahre mit mir zusammen in einer Wohnung. Als ich schwanger war, bin ich viel hinausgefahren aus dieser Wohnung. Beim Spazierengehen habe ich stundenlang Tiere beobachtet, die Hand auf den Bauch gelegt, geatmet. Ich habe Ausschau gehalten nach seltenen Vögeln, obwohl es meist nur Spatzen gab.
Zu beiden Seiten des Kopfes sind Blasterkanonen mittlerer Reichweite montiert, welche sich 360 Grad drehen lassen sowie bis zu 20 Grad geschwenkt werden können. Gespeist aus einem Fusionsreaktor kann der Antriebsmotor den Walker auf eine Geschwindigkeit von 60 km/h beschleunigen. Zum ersten Mal kamen die Prototypen des AT-AT während der Klonkriege in der Schlacht von Jabiim im Jahr 21 VSY zum Einsatz. Sagt das Kind.
Das Kind ist mir fremd, sehr fremd.
Haltet Euch bereit ist ein Gemeinschaftsprojekt von Franziska Gerstenberg (Text) und Caroline Winkler (Illustration), das aus rund 20 gemeinsamen Arbeiten besteht. Other Writers Need to Concentrate publiziert eine Auswahl.