Take Care: Slata Roschal & Nora Zapf (III)

Und der plötzliche Säuglingstod und der bellende Husten beim falschen Krupp, Hand-Mund-Fuß-Krankheit und Magen-Darm und nächtliche Fieberkrämpfe. Ich habe keine Angst vor dem Tod gehabt, bevor mein Sohn zur Welt kam, jetzt denke ich jeden Tag daran, dass ihm etwas zustoßen könnte, im Schlaf, im Spiel, nach einer Impfung, ohne eine Impfung, im Stuhlkreis, auf dem Pausenhof, beim Mittagessen im Hort, auf zahlreiche, wahrscheinliche Weisen, er hat sich in den letzten Jahren mehrmals einen Zahn gebrochen, die Hand aufgeschlitzt, einmal stand er morgens auf mit einer Wunde auf dem Gesicht und wusste nicht, was und wie. Und, wie zynisch es auch klingen mag, seit ich ein Kind habe, ist mir bewusst, dass frühe Abtreibung ein Recht für alle sein sollte, nicht, weil ich es bereue, sondern weil ich jetzt weiß, welche Arbeit ein Kind bedeutet, welche Angst, und dass es möglich sein muss, sich dieser riesigen Verantwortung zu entziehen.

Slata, 13.04.22

 

Auf jeden Fall! Das sollte jede unbedingt selbst entscheiden. Zum Beispiel bei diesem Krieg: die schrecklichen Bilder, habe Sorge vor allem um die Kinder, jemand muss sich um sie kümmern. Das sind viele Jahre Verantwortung, die nicht abzugeben ist. Habe Sorge, so viele Unbegleitete. Um mein eigenes Leben geht es nicht, ich hatte ja meine Zeit. Es geht um nächste Generationen, was wir ihnen angetan haben mit unserem Nichtstun und unserem Verhalten (sein). Ich schäme mich. In einem Gedicht von Monika Rinck heißt es, Kinder zu haben, bedeutet erpressbarer zu sein, sie hat recht. Ich stelle mir eine Polonaise vor: wenn ich die letzte in der Schlange bin, kann ich ja loslassen jederzeit und woanders weitertanzen oder aufhören damit, ich bin nicht verantwortlich für Schlange und Tanz, beides kann auch bei mir enden. Auch: eine Freiheit. Aber wenn ich jemand hinter mir die Hand gegeben habe, das gilt natürlich nicht nur für Kinder, aber auf jeden Fall für sie, dann, lasse ich los, bricht die Schlange, stoppt das Wogen, kann die Nächste nicht mehr aufschließen zu den anderen Tanzenden. Oder wenn das Leben eine Geiselnahme wäre: entschiede ich nur für mich, ist es okay aufzuhören, entschiede ich aber über einen anderen Menschen mit, kommt Ethik ins Spiel? Ob Kinder, die auf die Welt kommen, was mit Philosophie zu tun haben kann ((viele lächeln jetzt sicher)), albern eigentlich der Gedanke, aber hat nicht alles mit Philosophie zu tun, vor allem der Übergang vom Nichtleben ins Leben? Siri Hustvedt schreibt über die Plazenta als drittes Gehirn, das die Frage nach mind und body ganz neu gestellt wird, schaut man sich diese Konstellation an: wo fängt ein Bewusstsein, ein Körper an, wo hört der andere auf? Und egal, wie lange die beiden „sich unterhalten“? Wenn ich aufmerksam bin, dachte ich, möchte ich so viel anderes wahrnehmen, zum Beispiel, wie sich Sprache entwickelt von ganz vorn, erst Einwort, dann Mehrwort etc, wie sich auch, so traurig es ist, so bald ein Begriff von Besitz bildet, – banales Konzept! – am Spielplatz schallt von allen Sandburgen: „meins!“ Es ist eine Art Training von Anfang an, ein trauriges Spiel, was gehört dir. Wie viel lerne ich über Gesellschaften an diesem Ort, dem wenigen Platz zum Spielen in einer Großstadt, den ich vorher überhaupt nie bemerkt habe, außer um eine Abkürzung durch Straßenzüge zu schlüpfen…

Nora, 19.4.22

 

Oh ja, dabei werden Mütter und Väter zu keinen besseren Menschen, und die machtgierigsten, hinterlistigsten Frauen, denen ich je begegnet bin, waren die im Elternrat einer Kita. Überhaupt will ich nichts mehr mit mütterlichem, selbstverständlichem Ehrenamt zu tun haben, mit unvergüteter, unprofessioneller Arbeit, sie bereitete mir immer Unbehagen, bin froh jetzt, seit mein Sohn zur Schule geht, dass der Wettkampf um die besten, teuersten, ökologischsten Sandschaufeln vorbei ist. Nehme mir vor, für jede öffentliche Regung Honorare zu verlangen, nie das Wort Care-Arbeit zu verwenden, es ist mir zu künstlich, zu stilisiert im Verhältnis zu den innigsten Umwälzungen, die es bezeichnen soll.

Slata, 23.4.22