es ist dienstagabend, und ich weiß es so genau, weil ich die tage zähle, jeden tag benenne, schon früh morgens, bevor ich aufstehe, zumindest es versuche, denn dank eines meniskusriss‘ bin ich langsam unterwegs, sehr langsam, schritte bedeuten anstrengung, und ich zähle die tage, bis ich wieder laufen kann, denn manchmal steckt auch angst in ihnen, dass doch nochmal etwas reißen könnte, und dabei mag ich ja risse, siri hustvedts »risse aushalten«, darum ginge es im leben,
und also bin ich auch froh, dass die kinder zu hause sind, sie mit mir sind, sie unser wohn- und esszimmer sukzessive in ein meer aus bücher- und papierstapeln verwandeln und ich sie hin- und herdirigieren kann, bücher und zeitungen von einem eck ins andere gebracht, gelesen und weggelegt werden und sie all das tatsächlich auch noch mitmachen, und manchmal habe ich aber auch sorge, dass marc uwe klings känguru nun bei uns eingezogen ist, schlimmer noch: der heimliche kapitän unseres papierschiffs wird und es richtung kommunismus dirigiert und wir in all dem immer mehr verwachsen, und benni will wissen, wie genau das mit dem kommunismus sei, und ich hake nach, ob er schon mal von marx gehört hätte, und er schüttelt den kopf, und ich schüttele den kopf, überlege, in welcher »home-schooling-einheit« (was für ein wort) das platz finden könnte, während ich versuche, an meinem neuen projekt zu schreiben oder eine day by day-collage für mein logbuch klebe, ein logbuch, das eigentlich alle vier von uns machen wollten, aber nur ich bin noch an bord, naja, und wahrscheinlich das känguru, zumindest kichert es ständig im raum, auch als juli vom woyzeck als lektüreaufgabe erzählt und ich eine alte reclam-ausgabe aus dem regal ziehe (von meinem vater noch, was er wahrscheinlich gar nicht weiß), ende der 60er, und ich muss lächeln, als ich seine einträge zu marie sehe, und auch juli lächelt, und ich denke, wie ich all das in meinem kopf sortieren, wie ich weiterschreiben soll, hier: zwischen känguru und seinem »mein, dein, alles bürgerliche kategorien«, woyzecks verzweiflung und der freundlichen mail-erläuterung der englischlehrerin, dass die kinder jetzt kanada im unterricht also zu hause behandeln würden, und wer mag, könnte auch »anne with an e« als serie ansehen, das wäre eine gute ergänzung, und ich weiß erst gar nicht, um was es geht, bis ich verstehe, dass es anne of green gables ist, anne, mit der ich lesend versteckt meine frühe jugend verbracht habe, und staunend nehme ich wahr, wer sich hier alles bei uns auf der couch einfindet, fiktiv, nichtfiktiv, von entschleunigung kann überhaupt nicht mehr die rede sein, es ist jede menge los, anne with an e neben dem känguru und woyzeck und marie und manchmal auch noch nathan der weise, von meinen frauenfiguren, von alice ganz zu schweigen, und in meinem kopf sirrt und surrt textmaterial, kaum noch zeitfenster zum schreiben, nur noch das papiermeer, auf dem ich mit meinen kindern segle, und bis jetzt ist es (meistens) – bei all den traurigkeiten und ängsten dieser tage – auch eine wirklich schöne gemeinsame zeit, mit alten und neuen text-fundstücken, die wir mehr als sonst teilen, einander erzählen, in denen wir uns manchmal auch verstecken, sodass uns keiner sieht. und auch das ist gut.