Termine 2024

Do., 21.03.24, 16 Uhr
Leipziger Buchmesse, Neues Messegelände, Halle 5, Stand B504
Gespräch über Autor*innenschaft und Elternschaft mit Katharina Bendixen, Moderation: Sven J. Olsson (VS in ver.di)

Fr., 22.03.24, 15 Uhr
Buchhandlung Hugendubel, Petersstr. 12-14
other writers need to concentrate – unsere Anthologie im Gespräch mit Sebastian Schmidt und Sebastian Weirauch, Moderation: Sibylla Vričić Hausmann

Sa., 23.03.24, 10.20 Uhr
Leipziger Buchmesse, Neues Messegelände, Congress Center Leipzig, Saal 1
„Bekommen Sie bloß kein Kind, sonst werden Sie nie wieder ein Buch schreiben“ – Tischgesprächsrunde über Schreiben & Elternschaft mit Katharina Bendixen im Rahmen der Leipziger Autor*innenrunde

Sa., 23.03.24, 15 Uhr
Leipziger Buchmesse, Neues Messegelände, Halle 5, Stand C101
„Solidarität & Sorge“ – offenes Get Together für other writers und Interessierte – Gespräche, Kaffee, Sekt und Kennenlernen unseres Netzwerks

Do., 28.03.24, 18.30 Uhr
Flensburg, Isa Café & Eis
„Elternschaft in den Künsten“ – Lesung aus unserer Anthologie mit Sibylla Vricic Hausmann und der Musikerin Sarah Weiß, im Rahmen der Lesereihe „Transit“

Wenn ich groß bin, will ich aber nicht so eine Arbeit wie du!

Jedes Mal, wenn wir an einem schönen Haus vorbeilaufen, sagt meine Tochter, wie schön es sein müsse, darin zu wohnen.

Sie haben bestimmt ein Kamin darin und eine schöne Aussicht.
Ich rate ihr: Dann musst du eben Ärztin oder Anwältin werden, dann kannst du dir so ein Haus kaufen. Ich weiß, dass sie weder Ärztin noch Anwältin werden will, sie findet beides
schrecklich.

Nee, Ärztin werde ich nicht, ich werde Anwältin.

Dann musst du Jura studieren und viele Gesetzestexte auswendig kennen und viel lernen.

Jura? Was ist das? Nee, ich will lieber so eine Arbeit wie Tante.

Tante hat die Stelle auch nur durch Zufall bekommen, sie hat etwas ganz anderes studiert.

Echt?

Ja, sie hat eigentlich Übersetzen studiert. Chinesisch und Arabisch.

Das wusste ich gar nicht. Egal, ich will aber in so einer Firma arbeiten wie Tante. Das Gefühl, nicht gerade ein Vorbild für das eigene Kind zu sein, was die Berufswahl anging, traf mich diesmal etwas härter. Ich stelle mir, vor wie mein hochsensibles Kind später in einem Konzern arbeiten und so tun wird, als sei sie zufrieden mit ihrem Leben. Gleich zwei mittellose durchgeknallte Eltern zu haben, muss schon eine Bürde sein. Ich konnte wenigstens auf eine wohlhabende Familienzeit in meinen ersten acht Jahren zurückschauen
mit Kindermädchen, Urlaub, Villa am Strand, Hochzeiten, riesigen Familienfesten, Liebe von allen Seiten – aber sie? Eine Mietwohnung nach der anderen. Urlaub? In elf Jahren zweimal. Das ist bescheiden. Wir besuchten eben mehr Freunde oder gingen auf Festivals mit ihr. Aber sie tut mir leid, irgendwie. Nicht nur wegen Corona, nicht nur wegen ihren durchgeknallten Eltern, nicht nur wegen ihrer chronischen Krankheit, nicht nur wegen ihrem
Dasein als Einzelkind, nicht nur wegen dem Ausbleiben einer Einladung zu einer Hochzeit in elf Jahren, nicht nur weil das Treffen mit Freundinnen die Ausnahme statt die Regel ist. Diese Kindheit ist so anders als meine eigene, dass es mir schwer fällt, sie als schön zu empfinden. Ich werde meinen Job trotzdem nicht wechseln. Jedes Mal, wenn ich sage: Ich habe eine gute Nachricht, fragt sie, hast du einen Job bekommen? Habe ich ihr meine Existenzangst vererbt? Wie oft fragte ich mich, ob unsere bescheidene Behausung der Grund sei, warum sie keine Freundin nach Hause einlädt.
Nach neun Tagen Quarantäne musste ich mit ihr in die Klinik. Als wir nach drei Tagen nach Hause durften, sagte sie, sie wolle lieber in der Klinik bleiben, einfach mal was anderes sehen. Urlaub in der Kinderklinik sozusagen.
Diese triste Kindheit von mittellosen Eltern, was wird sie mit ihr anstellen? Werden diese Kinder uns eines Tages als zu offen und egozentrisch und sich selbst als konservativ bezeichnen? Werden sie ein Kredit aufnehmen, um auf einer Privatuni zu studieren? Die Kinder der 68er wurden ja die größten Spießer, sagt man, vielleicht wird meine Tochter ja in einer Bank arbeiten, um immer Geld um sich zu haben und die Kontrolle darüber. Wenn auf
Menschen kein Verlass ist, muss es wenigstens aufs Geld sein. Wird sie auf ihre innere Stimme hören, die vielleicht gerne etwas ganz anderes gemacht hätte, etwas nicht wirklich Lukratives? Wie bringt man Kindern bei, dass Geld nicht glücklich, aber vielleicht etwas
sorgloser macht?

confession

vertrauen darauf dass sich etwas verschiebt sich in zellen die körper bilden jeden tag verschiebendes zusammenlegt diesen körper zu bilden und dass zellen aus dem körper fallen und (vielleicht ich) neue körper bilden vertrauen darauf dass die zellen (dieses und außerhalb dieses körpers) wissen wo sie die stoffe finden dass und sie sich verschieben etwas bilden können dass sie aus teilchen (vielleicht ich) leerer als luft und licht bestehen vertrauen darauf dass (und wo)

Trans it!

Babes, hört mir genau zu. Ich weiß, für viele ist es nichts neues, für einige ist es nervig, für manche bedeutet es Tod und für zu viele bedeutet es Gewalt! Die Künstlerin faulenz*A singt „Schule ist ein Gewaltraum“, ich stimme mehr als zu. Institutionen sind Gewalträume.

Mein siebenjähriges Kind erzählte mir vor einigen Tagen von einer Schulhofdiskussion. Er wurde gefragt, ob er schwul sei oder schwul und behindert, weil: wer schwul ist, sei behindert, und schwul sei ein Schimpfwort. Er fragte sicherheitshalber nochmal nach: „Mama, du hast doch gesagt, schwul ist kein Schimpfwort, sondern wenn ein Mann in einen Mann verknallt ist?“ Ich versuche umständlich zu bestätigen und ihm alles gut, aber einfach zu erklären. Das gelingt mir immer nur mäßig, aber wir sprechen. Wir sprechen über seinen behinderten Opa, über seine bisschen behinderte Mutter, über den guten Freund von Opa, der schwul und behindert ist, über meine Freund*innen, die schwul oder behindert oder lesbisch oder transident sind, und ich verfalle in meine Vereinfachung und sage, manche Leute sind „altmodisch“ und denken, ein Mann müsse als Mann mit Pimmel geboren sein und für immer männlich bleiben und eine Frau lieben, die als Frau mit Vulva und Gebärmutter geboren ist, und zusammen müssen sie dann die Keimzelle des Faschismus bilden: die Kleinfamilie. Dann flippe ich aus und rufe: „Manche Leute sind einfach scheiße.“ Mein Kind ist schon wieder beim nächsten Thema, diese neue Pokémon-Karte, die fake sei, aber trotzdem schön, und er könne damit jetzt auch angeben und nicht nur sein Freund. Ich komme gar nicht hinterher mit meinen moralisierenden aufklärenden Einordnungen („… aber du musst doch nicht angeben und wofür angeben …“). Ich höre auf zu sprechen und beiße wütend in sein restliches Schulbrot. SCHWULBROT denke ich und daran, dass ich neulich gerne alle Eltern auf dem Schulhof mit „MOINSEN IHR HURENSÖHNE“ begrüßt hätte, denn das Wort kam nun auch im zweiten Halbjahr der ersten Klasse auf. Ebenso wie Bastard („Was ist das? Bastard?“ – „Du bist ein Bastard.“) und ficken, und auch wenn wir heute Morgen am Frühstückstisch über den Versprecher „In Fickenwerder gibt es auch ein Freibad“ lachen mussten, bin ich nicht nur wütend. Ich bin so traurig über diese andauernden Debatten über misogyne Tiraden, über homophobe Äußerungen, über die Gewalt, die queere Menschen erfahren müssen, über ihre Narben und blauen Flecken, ihren Tod und über die Menschen, die das alles für frühsexualisierte Indoktrinierung halten, wenn man Kindern (und sich selbst) ein nichtbinäres Weltbild (oder Menschenbild) zu vermitteln versucht. Dabei hören die sorgenvollen MÄNNER UND FRAUEN „Ich habe ein Bordell, und der Name meiner Liebsten ist Layla, sie ist hübscher, jünger, geiler“ auf ihrem 46. Geburtstag oder lesen „In stillen Nächten“ von Lindemann. Dann lieber Katja Krasavice, die selbstbestimmt reiten möchte wie im Märchen als Schneeflittchen „Doch anstatt in ein’ Apfel beiß ich in die Eier rein.“

Babes, worauf ich eigentlich hinauswollte:

Einmal habe ich in der Kita gearbeitet und ein Junge zog seine rosa Glitzerschuhe an. Der Erzieher sagte ihm, dass er davon schwul würde. Ich fiel gradezu in Ohnmacht und ihm dann ins Wort.

Einmal hat eine Kollegin zu mir gesagt, dass Männer wie Männer erzogen werden sollten und nicht wie Frauen.

Meine Mutter hat zu mir gesagt, ich solle sportlich sein und wie ein Junge herumlaufen, aber nicht lesbisch sein, das wäre schmutzig, und auch nicht wie eine Hure aussehen.

Es gibt Mädchen- und Jungenecken in Kindertagesstätten.

Die Jungs spielen Fußball und die Mädchen spielen Pferd.

Die Jungs tragen keine Kleider (vielleicht in eurer Bubble oder mal zum Spaß), die Jungs müssen hart sein, nicht weinen. Die Mädchen sind lieb und tragen rosa. Sie dürfen zart sein.

Ganz tief in dir drin – überleg mal, was ziehst du deinem Kind an? Warum? Was spielt dein Kind? Warum? Was spielst du mit deinem Kind? Warum? Was erzählst du deinem Kind für Märchen? Warum? Wird immer die Scheiße mit der Prinzessin und dem Retter erzählt? Warum?

Babes, was ich eigentlich sagen will, wer eine offene Welt möchte, solidarisch sein möchte mit den Menschen, die queer sind, die Kämpfe kämpfen, von denen wir nicht mal ahnen können, wie sie sich anfühlen (ja, mit wir meine ich natürlich mich, relativ hetero, Cis, und die anderen aus diesen Polen des Spektrums), der transidenten Menschen ein sicheres Umfeld bieten möchte, der homosexuellen Menschen ihre Angst nehmen möchte, der muss sich stets befragen, in Frage stellen, man kann das mit diesen Regenbogenflaggen machen, wenn man das will, und es ist ein Anfang, aber man muss es im Alltag mitdenken, man muss mit dem eigenen Kind sprechen, Verantwortung übernehmen, muss sich selbst analysieren und kennen, muss lieben und zuhören und vertrauen, denn dann beginnt Transit.

literaturwettbewerbe sind gesellschaftliche luftlöcher

-chor der pflegenden autor*innen*-

 

was mache ich,

wenn ich genommen werde

nicht, wenn ich gewinne, denn

wie überhaupt teilnehmen

 

meist mache ich fehler

beim lesen beim schreiben beim sprechen

bin nervös nicht wegen dem text,

(ach, der text!) hier geht es um teilhabe

konkret: überhaupt präsent sein

(warum geht es nicht auch digital?)

 

to do list vor dem auftritt:

nochmal anrufen & erklären

das einführen der sonde

die pillen der therapeutentermin

(nicht vergessen!)

bis ich alles erledigt habe

ist der auftritt vorbei

 

um mich (von der mental load)

abzulenken baue ich

luftschlösser schicke

bewerbungen zu wettbewerben

aber: was mache ich

wenn ich genommen werde

 

*pflegende autor*innen bezeichnet menschen, die neben ihrer autorenschaft andere versorgen

 

Other Writers trifft Café Entropy: Sibylla Vričić Hausmann, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

In dieser Hinsicht recht unreif, liebe ich die süßen Verführungen der Cafés. Eis, Kuchen, Waffeln, Palatschinken – letztes Jahr im Spreewald habe ich Hefeplinsen entdeckt. Ein Traum! (Ein beliebter Ausspruch von E.s ehemaliger
Grundschullehrerin, der mir wohl für immer im Kopf herumgeistern wird, um meinen Tinnitus zu übertönen … im Traum, im Traum!) Von daher passen meine Kinder und ich, was Cafés angeht, gut zusammen. Meist würde ich zwar, in ihrem Beisein, gerne noch etwas länger am Cafétisch ausharren als sie. Doch entspannt alleine dasitzen und stundenlang lesen oder arbeiten: Das klappt bei mir auch nicht. Dafür strengen mich öffentliche Räume zu sehr an.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du ein Kind / Kinder hast?

Vielleicht könnte man sagen, dass mir durch das Kinderhaben bewusster geworden ist, was es heißt, sein Geld mit einem Knochenjob zu verdienen. Servicekraft im Café gehört definitiv zu den Knochenjobs. In der Mutterrolle in Cafés gehen gefällt mir, weil ich mich dann in der Service-Kette nicht ganz am oberen, nutznießenden Ende befinde. Immerhin kümmere ich mich noch um meine Kinder – da bin ich weniger beschämt. Denn Bezahlen gilt, finde ich, nur bedingt.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?

Wir bekommen mehr allgemeine Aufmerksamkeit, verbrauchen mehr Servietten, ich muss über Softdrinks diskutieren und mich manchmal für einen Rest Eis oder Kuchen hergeben. Wenn ich mir nur einen Espresso geleistet habe, freut mich das natürlich.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

 

Es geht mir sehr gut,

sagt eine Infografik in der ZEIT. Ich bin ein dunkel- oder blasser blauer Punkt auf dem Gehaltsvergleichsstadtplan. Dunkelblau ist Premium, rot gefährlich. Wo ich wohne, da wird richtig Geld verdient – und ich darf mich im Blaupunkt-Gutverdiener-Glückshormone-Kiez so fühlen als ob. Und will nicht daran denken, ob mein Irgendwieverdienen ein echtes Supertollverdienen vom noblen Dunkelblau zu Mainstreamblau verwässert hat. Will nur daran erinnern, dass auch über hundertmarkscheinblauer Lebensstandardvisualisierung seit Wochen grauer Himmel dominiert.

Das mit den azuren Werten dürfte meinem schulanfängeralten Sohn gefallen. Und mich fragen, was meine Lieblingsfarbe sei. Und, sobald ich Antwort gegeben hätte, sagen: Ich weiß. Orange. Oder Orange bis Gelb. Wie bei den Apfelsinen, die er nicht isst, doch deren Saft er trinkt. So ein Orange dringt auch in unser Leben. Die Tulpen, die dort in Vasen stehen, wo ich gerade schreibe (und wo ich meist gerade schreibe, wenn auch verquer), weisen orange Töne auf. Und orange Punkte gehen in die Klasse meines Großen (der das „Konzept“ von Armut theoretisch kennt), und orange Punkte betreuen meinen Kleinen in der Kita. Und rote Punkte sitzen an den Kassen in den Supermärkten, und orange Fahrzeuge holen all die Hüllen ab, die wir ständig ablegen, nicht brauchen für unsere Metamorphosen vom Gleichen zum Selben. „Aber Orange!“, würde der Kleine hingerissen schreien, mit einer Handvoll Silben für Orangewerte plädieren. „Wo ist Müllauto, wo ist Kehrmaschine?“ (in Gutverdiener-Hochdeutsch übersetzt). Und ich kann oft nur sagen: Weiß nicht, hat sich im Blauen verloren. Wollen wir was malen? Am besten alles rosa. Mit orangen Sommersprossen.

„Tochter*Sohn“ schreiben / „Mutter*Vater“ schreiben

Mein Vater gratuliert mir zu meinem Video anlässlich des Lesens um den Dresdner Lyrikpreis. Er schreibt: „Gut gemacht, mein Sohn!“ Und ich frage mich seit langem einmal wieder, was er damit eigentlich meint? Und wen? Ich komme auf irgendwas von früher, etwas sehr Sohnhaftes, auf Dinge am Anfang meines Lebens, etwas bereits Vergangenes. Eine Verbindung, bei der ich Angst habe, dass sie auch zwischen mir und meinen Kindern irgendwann vergeht.
Ich kann die Frage nicht beantworten, wann ich eigentlich meiner Meinung nach aufgehört habe, richtig Sohn zu sein (für den väterlichen Teil). Vielleicht mit der Geburt meiner Kinder, für die sich mein Vater, also ihr Großvater, bis heute nicht sonderlich interessiert. Mit der Geburt seiner Enkel, als Großvater in Theorie, für die ihm noch mehr die Vorstellungskraft zu einer Rolle fehlt als für mich und meine Geschwister? Vielleicht habe ich mein Sohn-Sein abgegeben an meine eigenen Kinder, zusammen mit der Hoffnung, selbst Vater zu bleiben, ein Großvater zu werden, vielleicht.
Und ich wundere mich kurz über das Fehlen der Erkenntnis, über eine augenscheinliche Einseitigkeit des Verlustes, zumindest aber über die feste und doch traurige Behauptung, dass ich immer noch vollständig Sohn sei. Dabei enden unsere wenigen Gespräche seit vielen Jahren in etwas anderem als einer Übereinkunft oder einer Idee, die von einer Vater- oder Sohn-Person getragen wird.
Selten ist man machtloser als im Tochter- oder Sohn-Sein. Der Bezeichnung, der Nennung. Wir alle haben das Gefühl, in den Filmen, die wir schauen, den Büchern, in denen sich jemand von seinem Kind-Sein losspricht, freischreit, dass sie*er dies vergeblich tut. Die Biologie ist ein Steinchen, das als Totschlaghammer funktioniert, für viele ein Metallschloss mit Bolzen. Nur in wenigen Beziehungen glauben wir mehr an Biologie als hier.
Zurück zur Nachricht. Hinzu kommt, dass die Rolle als Vater für ihn ganz ausschließlich im Guten funktioniert. Immer muss man sich vor einem Stolz ducken, ein Ruhm sein ohne späteren Verdienst. Ich bin ihm nicht böse, es mangelt mir nur inzwischen selbst an Willen. Und der Resignation vor der Abwesenheit einer Abstufung dieses einen Begriffs: Vater. Weniger gibt es nicht, allein schon aus Schutz. Ich stelle mir eine Umbenennung durch meine Kinder von „Vater“ zu etwas anderem vor. Grauenhaft, ein zementierter Vorgarten als Gefühl. Es mangelt uns an Sprache aus Rücksicht.
Was bleibt, sind Versuche. Ich schreibe „Va“ im Versuch, zu entsagen, in Nuancen zu entsohnen. Es fehlt eine Alternative, eine Abstufung, in der Dinge wie Präsenz, Gegenseitigkeit, Zuneigung und Zeit Berücksichtigung finden, auch wenn sie verletzen. Denn es würden in anderen Fällen, nicht dem meinen, auch bösere Dinge eingehen.
„Retav!“, „Vraet!“. Auf beiden Seiten. „Onsh!“, „Nosh!“. Mir fehlt ein Wort für „Sohn“, das die dunkle Aufregung ausdrückt, in die ich im Bemühen um Beziehung manchmal gerate.

Sorgearbeiten

nach Eduardo C. Corral

Sorge in Rotphasen messen, Staulängen.
Namen finden für Sorge: Kindernamen. Kosenamen.
Beim Versuch, Sorge mit Zucker zu füttern, ihn unten wieder hinausrieseln sehen.
Wie Sorge auf dem Dach des Haltestellenhäuschens sitzt und den Bus durchwinkt, auf den du wartest, Mehltüten und Flaschenmilch in beiden Händen!
Im Fitnessstudio statt Step-Aerobics die 5 Kilo-Sorge stemmen.
DIY fürs Wochenende: Aus Hausstaub und Hornschüppchen Sorgenbecher formen.
Sorge, wie sie aus Unterarmen quillt, die vielleicht nie vernarben.
Sorge zum Kummerbund binden.
Die Mundwinkel von Sorge mit Pfeilern abstützen.
Im einen Moment sträubt Sorge sich gegen das Streicheln, im nächsten schnurrt sie dir wieder ums Knie.
Mit dem Rohrstock auf die Sorge-Piñata eindreschen, bis sie Süßigkeiten bricht.
Ein paar Sprühstöße Eau de Souci auftragen: elektrisch-staubiger Gestank nach warmem Polyestertextil.
Auch auf Englisch care und worry kollabieren: Carry deine Sorge.
Sorge strickt eine Balaklava, raurechts, ohne Aussparungen für Augen, Mund.
Sorge zu Hirn, wie Hitze zu Pop-Corn.
Den Gummi an deinem Handgelenk schnalzen lassen, damit die Sorge ausfällt.
Bevor du dir eine Sorge anschaffst, mach dir klar, wie viele Sorgen jedes Jahr zu Ferienbeginn unter Autobahnbrücken ausgesetzt werden.

Wenn ein Mensch bilingual sagt …

Wenn ein Mensch bilingual sagt, kann vieles mitschwingen, unter anderem sein Bildungsgrad. Doch wenn man einfach zweisprachig sagt, schwingt auch noch viel mit, zum Beispiel der Eindruck von Exklusivität. Uuuh, zweisprachig, das sind nicht viele, das ist etwas Besonderes. Man kann sich bewusst machen, dass es umgekehrt ist: Menschen, die nur eine Sprache können, sind global gesehen in der Minderheit. Über die Hälfte der Weltbevölkerung spricht zwei oder mehr Sprachen. Das ist die Norm. Die ändert sich nicht, nur weil die eigene Umgebung sie vielleicht verzerrt.
Der Mensch kann problemlos zwei oder mehr Sprachen lernen. Es ist nicht schwerer, als eine zu lernen, und es führt auch nicht zu besonderen Herausforderungen oder Verzögerungen oder gar Komplikationen in der Sprachentwicklung.
Doch es ranken sich Mythen um den Spracherwerb. Und diese Mythen sind auch abhängig vom Ansehen einer Sprache in einer Gesellschaft. In Deutschland werden Eltern, deren Kinder Englisch und Deutsch lernen, seltener mit diesen Mythen konfrontiert als Eltern, deren Kinder neben Deutsch auch Albanisch oder Arabisch oder Aramäisch lernen.
Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch genießen Ansehen. Zweisprachigkeit ist dort positiv besetzt. Türkisch, Farsi oder Tamil genießen weniger Ansehen und Zweisprachigkeit führt da tendenziell zu Problemen. Mit dem Spracherwerb, mit der Integration, mit der Identität. Sprachen werden nicht als gleichwertig betrachtet. Obwohl jede einzelne wunderbar funktioniert, wenn es darum geht, dass die Sprechenden miteinander kommunizieren. Die Sprachen erfüllen ihre Aufgabe alle gleich gut. Dennoch wird die eine gerne als nützlicher und wertvoller betrachtet als die andere. Doch was sie mit einem Menschen machen und was ein Mensch mit ihnen macht, ist ziemlich ähnlich.
Wenn wir es nicht mal schaffen, Sprachen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, wie sollen wir das mit den Menschen hinkriegen?