mein Name ist Clemens Böckmann und ich lebe und arbeite als Autor und Herausgeber in Leipzig. Seit 2020 schreibe ich auf dem Blog Other Writers Need to Concentrate (other-writers.de). Das Blog wurde gegründet, um auf die Schwierigkeiten künstlerischen Arbeitens als Eltern/Mutter/Vater aufmerksam zu machen. Anfang des Jahres wurde eine neue Reihe etabliert: In Briefwechseln unterhalten sich Autor:innen der other-writers mit anderen Autor:innen über ihre Situation, ihren Umgang mit den Herausforderungen von Care-Arbeit und, womöglich, zum Austausch möglicher Gegenstrategien. Es gibt keine spezifische Festlegung der Themen. Worüber gesprochen bzw. geschrieben wird, liegt vollständig bei den entsprechenden Autor:innen. Wenn du daran Interesse hast, würde ich gerne mit dir einen Briefwechsel beginnen.
Franziska Opel (geb. 1984, in Hamburg lebend) ist Künstlerin und seit 2020 Mutter. Opel nutzt Zeichen und Sprache als visuelle Elemente, mittels derer sie das Benannte decodiert, verschiebt und modifiziert. Innerhalb ihrer multimedialen Installationen kommt den häufig mit großer Makellosigkeit eingebrachten und verarbeiten Materialien eine besonders wichtige Rolle zu. Das jeweilige Objekt wird hierdurch fetischisiert, Macht- und Genderkonstrukte werden vorgeführt und in Frage gestellt.
Franziska Opels Arbeit „MOTHER“ erschien im Jahr 2021 als Jahresgabe für den Hamburger Kunstverein. Das Multiple besteht aus sechs Anstecknadeln, die das Wort „MOTHER“ Buchstabe für Buchstabe zeigen. Die Pinnadeln referenzieren Clubinsignien, Ehrenzeichen, Orden oder Medaillen und damit Erkennungs- und Statussymbole, die herkömmlicherweise einem vorwiegend männlich besetzten Kontext entstammen. Artig, stolz und wohlorganisiert stecken die mit geometrisch strengen Glyphen versehenen Nadeln in jenem blauen Denim-Baumwollstoff, der ursprünglich in der Arbeiterkleidung der Unterschicht verarbeitet, über einen kurzen Zeitraum als Mittel der Provokation und des Protests genutzt wurde und nun die omnipräsente und angepasste Uniform eines etwas informelleren Alltags darstellt. Die spitzen, offenen Enden der Anstecknadeln bergen die Gefahr, sich zu verletzen. Gleichzeitig bietet sich dem Betrachter hier die Möglichkeit, die Bedeutung des ursprünglich Gegebenen durch das Entfernen oder Austauschen einzelner Pins zu verändern und eine erneute Kontextverschiebung vorzunehmen.
In den Kontext des Weiblichen, der Mutterschaft transferiert, wirbelt Opels Multiple eine Vielzahl von Gedanken, Assoziationen und Fragen auf: Wie steht es mit der Anerkennung? Wofür genau? Reicht die Anerkennung oder geht es eigentlich um Handfesteres? Sind die Pins Insignien oder Schmuckstücke? Bestimmt die geschlechtliche Identität des Tragenden jene Zuordnung? Wer verleiht die Auszeichnungen? Wer bringt sie an? Das gab es historisch doch bereits, die im Orden sichtbar gemachte Würdigung von gänzlich auf das Muttersein reduzierten Frauen … Kennzeichnen die Anstecknadeln ein Positivum oder einen Makel? Wie öffentlich möchte ich meine Mutterschaft überhaupt handhaben? Wer ist Mitglied in meinem Club? Ist es die Mutter selbst, die sich an den offenen Spitzen der Anstecknadeln verletzt? Oder sind es jene, die am Begriff hantieren?