Nun bin ich hier, in meiner Eineinhalb-Zimmer-Wohnung, Reichsstraße, Hinterhaus. Bin nicht mehr jung und frisch getrennt. Reich war ich noch nie. Die gute Nachricht: Ich mache jetzt nur noch eine Woche lang das, was ich sonst täglich getan hätte, ohne Pause, ohne Unterlass: HAUSHALTSLISTE MIT DARIN VERFLOCHTENEM DAUERAPPELL AN MICH ALS MAMA, WAS, WENNGLEICH VIELSTIMMIG, NICHT ZUR PROSAISCHEN VERARBEITUNG TAUGT. Danach habe ich eine Woche frei, in der ich meiner vormals gedrosselten, selbstständigen Tätigkeit als Videoproducerin wieder stärker nachgehe. Die Pandemie wird die Gleichberechtigung um Jahre zurückwerfen, las ich damals in einer Zeitung, und heute: Die jüngsten Errungenschaften weiblicher Emanzipation sind leider… Ach – wenn ich nur einmal wieder meinen Kaffee trinken und apathisch aus dem Fenster sehen darf! Ab wann sagt man eigentlich DAMALS? Am Beginn von Woche Zwei, die die Kinder bei ihrem Vater verbringen, in der Drei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock, im Übrigen Vorderhaus, lasse ich mir Zeit, sodass der Rückstau meiner Erinnerung allmählich in den Verarbeitungsmodus übergeht. Dann denke ich an den Ausflug DAMALS, aufs Tempelhofer Feld, wo die Freiheit plötzlich wieder aufblitzte und so schmerzlich alles Vergessene verriet.
Als wir zu viert aus dem Bus stiegen, nieselte es. Ich ging stur vorneweg, am Corona-Impfzentrum vorbei. Auf dem Weg durch das Biotop in der Mitte vom Feld wurde aus dem Niesel Regen, doch beharrlich zwang ich den Buggy weiter, durch Pfützen, Erdlöcher und Geröll. Es fühlte sich fantastisch an: echter Widerstand, gegen den man kämpft! Es schien, das Meer sei nicht mehr weit, feucht war die Luft und salzig von den Tränen, die der Wind in die Augen trieb. So hatte meine eigene Mutter mich einst an der Nordsee durch den Regen gepeitscht. EINST. Ein anderes DAMALS. Kein Restaurant weit und breit, keine Wärme, kein Klo. Nur das Grau am Himmel, ein endloser Strand und die Meeresbrandung. Tom versuchte zu intervenieren, jedoch verhalten. „Es fängt an zu regnen.“ „Wir sollten vielleicht zurück.“ „Zum Glückt habt ihr zwei eure Regenhosen an.“ Ich ignorierte alle Appelle zur Umkehr von hinter mir und behielt ausnahmsweise Recht. Der Regen legte sich. Für Fritz gab es eine Flugzeugruine, für Elli Rollerskates. Und für uns alle die HISTORISCHE Start- und Landebahn. In Wahrheit hängen ja alle Zeiten zusammen. Es war noch immer bitterkalt, ein eisiger Ostwind wehte, der Winter wie der Lockdown zogen sich wie zähes Kaugummi.
Auszug aus einem längeren Text