Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (I)

Liebe Jenny,

ab und zu, wenn meine Wohnung mir zu eng wird, arbeite ich um die Ecke im portugiesischen Café. Das Café – mein Fenster zur Welt, das in den letzten Monaten zeitweise auf Bildschirmgröße geschrumpft ist. Am liebsten sitze ich an dem wackligen kleinen Tisch mit dem Rücken zur Wand und unverstelltem Blick in den Raum hinein, wo ich mir einbilden kann, zu beobachten, ohne beobachtet zu werden, unter Menschen zu sein und trotzdem für mich.

Gerade kam ein Vater mit seiner Tochter herein. Bezeichnend, oder, dass ich ihn gleich so nenne: Vater. Ohne es zu wollen, habe ich ihn bereits in eine Schublade gesteckt, wie ich auch die anderen Gäste automatisch kategorisiere, anhand ihres Alters, ihres Auftretens, der Dinge, die sie bei sich haben: die Studierenden mit ihren Vorlesungsskripten, die Hundebesitzer:innen, die Tourist:innen, die Rentner:innen und diejenigen, die hier arbeiten, zumindest so tun als ob. Die Arbeitenden (meist um die dreißig, mit Laptops und Kopfhörern) sind am zahlreichsten vertreten an diesem Morgen, neben der größeren Gruppe der Eltern, der ich auch den Mann mit Kind instinktiv zugeordnet habe.

Mittlerweile hat er sich an den Nebentisch gesetzt. Ist noch dabei, die Jacke ausziehen, als seine Tochter die Vase auf dem Tisch umstößt. Eine Kellnerin kommt, wischt die Wasserlache auf, der Vater entschuldigt sich, während das Kind, das vielleicht zwei oder drei Jahre alt ist, vergeblich versucht, aufs Sofa zu klettern. Er hebt es hoch, eilt dann zur Selbstbedienungstheke, trägt Milchkaffee, Orangensaft, einen Teller mit zwei Croissants darauf. Die Kellnerin ruft: sie müsse bitte noch seinen Impfnachweis sehen. Schließlich sitzt er endlich, nimmt das Croissant vom Teller und will hineinbeißen; da erst scheint ihm wieder einzufallen, dass er noch immer seine Maske trägt. Die Tochter steht inzwischen auf dem Sofa und macht sich an der Stehlampe daneben zu schaffen. Der Vater springt erneut auf, stößt sich das Knie an der Tischkante, ein Telefon klingelt, es ist seins, er zieht es aus der Hosentasche, greift mit der anderen Hand den Arm des Kindes, das nicht von der Lampe lassen will und zu weinen beginnt.

Eine Momentaufnahme, fünf Minuten maximal. Eine Viertelstunde später verlassen die beiden das Café und ich merke, wie eine unterschwellige Anspannung von mir abfällt. Wenn es gut läuft, kann ich jetzt eine oder zwei Stunden konzentriert arbeiten, wenn es sehr gut läuft, komme ich in einen „Flow“, bei dem ich alles andere ausblende, mich ganz in dem, was ich tue, verliere. Ich frage mich, wann der Vater einen solchen Zustand des Versunkenseins zuletzt erlebt hat. Kennt er diese Zustände überhaupt noch oder ist er nicht vielmehr, selbst wenn seine Tochter gerade nicht in der Nähe ist, in einem Modus ständiger Alarmbereitschaft? Neben vielen positiven Vorstellungen von Elternschaft ist das eine meiner präsentesten Befürchtungen: dass die Momente kreativer Versenkung mit Kind immer seltener würden, die temporäre Selbstvergessenheit, die ich zum Schreiben brauche, sich nicht mehr herstellen lässt.

Wie war das bei dir? Hat deine künstlerische Arbeit sich durch die Mutterschaft verändert, und wenn ja: auf welche Weise, positiv oder negativ?

Ich freue mich, von dir zu lesen, und grüße dich,
Katharina

 

Liebe Katharina,
eine schöne Momentaufnahme. Ich musste natürlich ein bisschen lachen trotz und wegen dieses Beispiels: der stets verzweifelte Versuch, eine eigentlich alltägliche, per se nicht herausfordernde Situation zu meistern. Einkaufen. Etwas essen. Putzen. Sich unterhalten. Einen Satz zu Ende sprechen. Aufs Klo gehen. Arbeiten.
Einkaufen: ich verlasse das Haus und schaffe es irgendwie, an Schlüssel, Portemonnaie, Handy und Einkaufsliste zu denken, während ich mein fünfjähriges Kind fünfzehn Mal darauf hinweise, dass es seine Schuhe anziehen soll, während es mir von diversen Pokémon-Figuren erzählt, die es von seinen Freunden kennen gelernt hat. „Evoli gehört zu den Pokémon, die die meisten Entwicklungen haben: Aquana, Blitza, Flamara, Nachtara, Psiana, Glaziola, Folipurba, Feelinara. Welcher möchtest du sein?“ Im Laden versuche ich, den Einkauf zusammen zu denken, wo ist die Einkaufsliste, was koche ich, was essen alle, was ist gesund, was schmeckt mir, was mache ich für das nächste Ausstellungsprojekt, welcher Pokémon möchte ich sein, kaufe ich ihm nun den Joghurt mit Spielzeug oder verfällt mein Kind dann einmal mehr der kapitalistischen Verwertungslogik, was mache ich eigentlich, wenn er mit Markenklamotten anfängt, was mache ich, wenn er Bänker wird, bewerte ich mein Kind, Blumenkohlgratin, ja, lecker, nein, heute kein Spielzeugjoghurt. Es schaut mich verzweifelt an: „WARUM?“ Ich rede diffus über Konsum, Kapitalismus, Welt, Spielzeug … an der Kasse werde ich laut: „NEIN, einfach NEIN.“ Ich schleppe den Einkauf heim, mein Kind ist enttäuscht: „Du bist die strengste Mama der Welt.“ – Ich antworte, dass ich gerne Psiana wäre. Wenn ich alleine einkaufen gehe, meide ich andere Eltern mit Kind. Ich finde sie anstrengend und nervig.
Auch im Café. Dieser Vater hätte mir vielleicht ein bisschen leid getan, aber er hätte mich auch gestresst. Das Kind hätte ich mir weggewünscht. Ich fühle mich etwas schlecht, während ich das hier so aufschreibe. Wenn ich ohne mein Kind unterwegs bin, kann ich mich ganz gut abgrenzen. Ich habe das Glück, dass mein Partner und ich uns gut reinteilen. Bei ihm weiß ich unser Kind in Sicherheit, in Geduld, in Liebe. Das ist eine große Erleichterung.

Um in diesen Fluss des Arbeitens zu kommen musste ich, glaube ich, schon üben, aber das musste ich nach dem Studium ohnehin. Das Arbeiten an meinen Projekten steht mit so viel Druck in der Warteschlange, dass es keinen Ausweg gibt, als das irgendwie möglich zu machen, neben Lohnjob und Elternschaft. Ich frage mich manchmal selbst, wie ich es schaffe / mache / organisiere. Meine Zeit für die künstlerische Arbeit ist durch die Mutterschaft schon strikter geregelt, doch ich habe das Gefühl, es tut mir ganz gut. Diese klare Regelung von Arbeit und Feierabend. Doch in längere Gedankenketten zu kommen, Zusammenhänge zu erfassen, ruhiges Arbeiten, konzentriertes Denken, doch … irgendwie fällt mir das schwer. Doch vielleicht schon immer? Vielleicht färbt das auch meine Arbeit. Ist das gut? Schlecht? Dann kommen die Zweifel.

Woran zweifelst du? Wie ordnest du Elternschaft ein und vor allen Dingen die Rolle der Mutter?

Liebe Grüße aus Hamburg,
Jenny