Variation für gute Tage

Ich stelle den heißen Tee neben den Laptop und starte den Timer. 30 Minuten habe ich Zeit.

Solange machst du Mittagsschlaf. Solange übt deine Schwester Klavier.

Mit langen Pausen zwischen den einzelnen Noten spielt sie ein Stück namens Orgelklang.

A-E-C-E-G-A-C-A-G-H. In endloser Wiederholungsschleife.

Du hast dich an die Tonfolge gewöhnt.

Brauchst sie wie meine Hand, damit du einschläfst.

Jetzt habe ich nur noch 28 Minuten.

Ich weiß doch, wie knapp die Zeit ist.

Weshalb mache ich auch erst Tee, bevor ich zu schreiben beginne?

A-E-C-E-G-A-C-A-G-H.

In der Musik ist die Variation die Veränderung eines Themas.

In der Variation ist es erlaubt, Rhythmus und Melodie zu verändern.

Töne hinzuzufügen. Akkorde umzudeuten und zu ersetzen.

A-E-C-E-G-A-C-A-G-H.

Aber Variationen sind etwas für gute Tage. Für Variationen braucht man Mut.

Schritte tapsen in Richtung Musik. Eigentlich habe ich noch 17 Minuten.

Ich warte auf Geschrei. Aber als ich komme, sitzt du unter dem E-Piano.

Andächtig hörst du deiner Schwester und der neuen Tonfolge zu:

A-C-A-G-E-C-A-G-A-H.

 

„Kommt ihr noch kurz ohne mich zurecht?“ – Nicken.

Ich setze mich zurück an den Schreibtisch.

Der Tee ist noch warm.