Die Vogeltränke

Seit der Kontaktsperre wegen des Corona-Virus‘ gibt es ein Thema, das mich fast mehr noch als die Krankheit an sich beschäftigt: Zum Spielen mit den Kindern ist uns, von kurzen Streifzügen durch den Volkspark einmal abgesehen, nur ein kleines zubetoniertes Viereck im Hof geblieben – dass zwei Autos rund ein Viertel der Fläche blockieren, sei hier nur am Rande erwähnt. Eine Nachbarin sorgt sich seit Jahren um die Vogelschicksale in unserer Umgebung, behängt die dürren Äste einer Forsythie ganzjährig mit zu vielen Meisenknödeln und füllt Futter in ein kleines Vogelhäuschen. Zusätzlich tauscht sie täglich das Wasser in einem mit zwei faustgroßen Steinen beschwerten Untersetzer für Blumentöpfe. Die Kinder lieben es, Sand in diese provisorische Vogeltränke zu schütten, sie umzustürzen oder mit einer verräterischen Spur verlorenen Wassers über den Hof zu zerren. Um die Lage zu entspannen, hat der zweite, handwerklich ungleich begabtere Familienvater in unserem Haus – er ist auf Kurzarbeit wie ich – eine Halterung an der Hofmauer befestigt, unerreichbar für die Kinder. Die Vögel, sie könnten so glücklich sein – wäre da nicht die Nachbarin, die nicht müde wird, die Tränke immer wieder zurück auf den Boden zu stellen, und uns mit kühler Begrüßung im Hausflur zu verstehen gibt, dass sie nicht toleriert, wenn wir über den Standort dieser für das Federvieh überlebenswichtigen Einrichtung bestimmen.
Wenn ich mich gerade nicht mit der Vogeltränke oder dem auf diese oder andere Weise das Leben einschränkenden Virus beschäftige, dann arbeite ich an meinem Roman. Und manchmal, nach einem halben Tag mit den Kindern, an dem ich unentwegt auf die Uhr gesehen habe, ob meine Freundin nicht endlich nach Hause kommt, nach einer Auseinandersetzung mit ihr, wann ich wieder zu Hause zu sein habe, und nach einem überstürzten Aufbruch in das kleine Büro, das wir gerade als Homeoffice bezeichnen; wenn ich also endlich am Rechner sitze und endlich die Zeit habe, das zu schreiben, wovon mich das ach so arge Leben momentan noch ein Stück mehr abhält, dann weiß ich gar nichts mehr von dem Text, dann denke ich an den Hinterhof, von dem ich mich wie oft schon fortgewünscht habe, und frage mich, wo die Vogeltränke wohl gerade steht.