Rarely Asked Questions: Maria-Christina Piwowarski

Was macht Elternschaft zu einem literarisch interessanten Thema?
Maria-Christina Piwowarski: Mutterschaft und autofiktionales Schreiben – das ist seit einiger Zeit meine liebste literarische Kombination. Ein Schreiben, das ohne die Krücke der Fiktion auskommt, das aus dem persönlichen (Er)Leben erzählt und trotzdem eindeutig Literatur ist. Hier sind beeindruckende Texte übers Eltern- und vor allem übers Muttersein zu finden, die erfreulich oft auch die (Un)Vereinbarkeit von Kindern und dem Literaturbetrieb thematisieren.

Stehen schreibende Väter vor anderen Problemen als schreibende Mütter?
Maria-Christina Piwowarski: So wie Männer meines Erachtens nach grundsätzlich vor weniger gesellschaftlichen Problemen stehen, wenn sie sich öffentlich äußern, also angreifbar machen – ja. Zumindest erlebe ich, dass der Rechtfertigungsdruck bei schreibenden Müttern ganz andere Dimensionen annimmt. Nicht nur die Frage, wo denn das arme Kind während einer abendlichen Lesung sei, müssen wohl mehr Mütter als Väter beantworten. Es herrscht auch immer noch das Vorurteil, schreibende Mütter würden damit ein wenig Selbstfindung während ihrer Elternzeit betreiben. Während schreibende Väter ja in bester Tradition ihr Genie beweisen. Es sind mittlerweile ganze Anthologien darüber erschienen, in denen Schriftstellerinnen berichten, welche Hürden sie überwinden müssen, um ihre Arbeit zu tun – gerade weil sie vielleicht so hürdenlos erscheint. Schriftstellerinnen, die ebenfalls Mütter sind, bekommen hier noch einmal extra Gegenwind. Während man sich bei schreibenden Vätern maximal Gedanken macht, ob sie denn hoffentlich ein abschließbares Arbeitszimmer haben und möglichst wenig gestört werden, wird schreibenden Müttern noch immer noch gern die literarische Relevanz abgesprochen.

Hast Du Dich aufgrund Deiner Elternschaft im Literaturbetrieb schon einmal diskriminiert gefühlt?
Maria-Christina Piwowarski: Als Buchhändlerin muss ich sagen, dass ich auch den kompletten Einzelhandel enorm familienunfreundlich finde. Der Literaturbetrieb hört ja nicht an den Verlagstüren auf. Nur wegen meiner grandios verständnisvollen Kolleg*innen konnte ich zum Beispiel viele Frühschichten machen und dann pünktlich zum Ende von Kita und Hort zu Hause sein. Wenn Kita und Schule geschlossen hatten und ich die Kinder mit zur Arbeit bringen konnte, war ich meistens dankbar, dass das überhaupt geht. Wobei … diese beschissene Dankbarkeit ist vielleicht eher ein Dilemma. Egal wo, im Café, in der Warteschlange, wenn man seine Kinder mitnimmt, um seinen Job zu tun – da ist immer dieser Drang, sich für vermeintlich störende Kinder zu entschuldigen, dieser elterliche Druck, keine besonderen Umstände zu machen und der besonders mütterliche Druck, auf keinen Fall über diese Mehrbelastung zu klagen. Jahrelang waren alle Abendtermine, alle Lesungen und Veranstaltungen ein enormer familiärer Balanceakt, obwohl ich beim zweiten Kind nicht mehr alleinerziehend war. Und dann die Pandemie! Was für ein Desaster für alle Eltern! Geblieben ist mir davon, dass ich darüber reden will. Dass ich es leid bin, mich für alles dreimal so sehr anstrengen und zerteilen zu müssen, und jahrelang dachte, ich dürfte nicht darüber sprechen, wie unendlich zehrend das Elternsein ist, weil ich die Kinder ja selbst wollte. (Der Dank für diese Erkenntnis geht übrigens an Mareice Kaiser und ihr Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“.) Die große Befreiung kommt für mich zu spät. Ich bin von außen nicht mehr zwangsläufig und sofort als Mutter erkennbar. Ich bin sogar manchmal regelrecht frei in meiner Zeiteinteilung, unsere Kinder kommen auch mal einen Nachmittag allein zurecht. Aber die Solidarität bleibt. Und das Interesse. Und die Forderung nach echter gesellschaftlicher Unterstützung für Eltern.

Maria-Christina Piwowarski leitet seit 2015 die Buchhandlung ocelot. Ihre Kinder kamen 2003 und 2010 zur Welt.