Take Care: Martina Hefter & Sibylla Vričić Hausmann (I)

Liebe Sibylla,

wir haben schon so lang vor, uns über Schreiben und Kinder austauschen – ach nein, das ist falsch ausgedrückt. Wie sag ich eigentlich dazu – Schreiben mit Kindern? Oder Schreiben als Eltern? Weil meine beiden Töchter schon erwachsen sind (20 und 22 Jahre alt), scheine ich kein Gefühl mehr für einen passenden Begriff zu haben. Irgendwie denke ich bei “Schreiben mit Kindern” immer an kleine Kinder. Der Begriff “Kind” hat ja diese beiden Bedeutungen, einmal das (kleine) Kind, einmal – in einem übertragenen Sinn – die Verwandtschaftsbezeichnung. Meine Mutter sagt manchmal zu mir, dass ich immer noch ihr Kind sei. Da hat sie irgendwie recht. Auf das Schreiben mit erwachsenen Kindern kommen wir ja vielleicht noch später zu sprechen. Zuerst erzähle ich dir aber was aus der Perspektive von früher, als ich Mutter wurde bzw. als ich kleine Kinder hatte.

Als ich zum ersten Mal schwanger wurde, hatte ich gerade das zweite Semester am DLL hinter mir. Als ich dort anfing, war ich weit davon entfernt, Kinder zu wollen, ich wollte mich ins Studium und ins Schreiben stürzen, beides war was ganz Neues für mich. Ich kam aber mit der vielen freien, unstrukturierten Zeit im Studium nicht zurecht und schrieb kaum. Ich hatte zwar ein paar Jobs, aber verglichen mit meinem früheren Leben, das aus Proben, Tanzen und Kurse leiten bestand, war das einfach sehr viel Zeit, die ich nicht füllen konnte. Ich war sowieso nie jemand, die länger als zwei Stunden an einem Text schreibt. Das Schreiben war mir damals zwar wichtig, aber ich würde sagen, ich habe es nicht mit ganzem Herzen verfolgt. Natürlich war es dann nicht wegen dieser Unstrukturiertheit, dass ich nach dem Ende des zweiten Semesters ziemlich plötzlich dachte, dass ich doch ein Kind, oder Kinder, haben will – der Wunsch war eben einfach da, ich habe gar nicht groß und lang darüber nachgedacht, ebenso wenig mein Freund, mein jetziger Ehemann.

Damals kam‘s mir toll, verrückt, anarchistisch vor, ein Kind zu bekommen und Kinder zu haben, vielleicht gerade auch, weil in der Literatur und in meinem Umfeld damals kaum Frauen mit Kindern präsent waren. Etwas wirklich Verwegenes, das letzte echte Abenteuer. Das sehe ich auch heute noch so. Das würde mich sehr interessieren, ob dir das auch so geht, unter dem Aspekt betrachtet, dass es jetzt ja viele jüngere Autorinnen mit Kindern gibt. Da ist eventuell der Aspekt des Außergewöhnlichen gar nicht mehr so präsent?

In die Zeit der Schwangerschaften und Babys fiel der Anfang meines – wie soll ich das sagen – ernsthaften? Schreibens. Ich habe meinen ersten Roman geschrieben, da war ich mit dem zweiten Kind schwanger und meine erste Tochter war etwas über ein Jahr alt.

Mutterschaft und Schwangerschaft haben mein Schreiben immer befeuert, aber nicht, weil ich so innig mütterlich war, und ich habe auch nie über diese Themen geschrieben. Ich komme einfach erst dann richtig in die Gänge, wenn sehr viel zu tun ist. Dann arbeite ich konzentriert und zielgerichtet. Ich hatte damals auch weniger Zeit zum Nachdenken darüber, was ich schreibe bzw. geschrieben habe, das empfinde ich für mein Schreiben generell als förderlich. Damals tendierte ich dazu, alles von vornherein als misslungen oder ein Schreibvorhaben als ungeeignet zu empfinden.

Natürlich gab‘s auch mal stressige Momente. Und dass es so gut klappte mit dem Schreiben als Mutter, sehe ich nicht als “Leistung” von mir an. Es war auch viel Zufall oder Glück im Spiel, der richtige Vater, die richtigen Freunde, die richtige Wohnung usw. Und die gesellschaftlichen und politischen Umstände waren damals im Vergleich zu heute günstiger, zum Beispiel gab es noch nicht das Elterngeld, das für Leute mit wenig Verdienst ja sehr ungünstig ist, sondern das sogenannte Erziehungsgeld, das deutlich höher ausfiel, gerade wenn man wenig verdiente. Zusammen mit Vorschuss, Stipendien und Kindergeld konnten wir davon sehr gut leben – aber natürlich, es war immer klar, dass das eine fragile Stabilität ist.

Ich glaube, egal ob man Kinder hat oder nicht, als Künstler*in gleich welcher Sparte hält man jede finanzielle und auch existenzielle Unsicherheit aus, bzw. nimmt sie vielleicht als nicht so bedrohend wahr. Sonst würde man das, was man macht, nicht machen. Diejenigen, die die Unsicherheit nicht aushalten, machen über kurz oder lang was anderes, das sehe ich immer wieder, gerade, wenn Kinder kommen. Wenn du als Künstler*in Kinder bekommst, wird dir ja gleich noch viel öfter gesagt, dass es jetzt aber besser Schluss sein sollte mit der Kunst. Weil Kinder stabile finanzielle Verhältnisse brauchen, damit sie sich gut entwickeln. Auch ich hatte manchmal Momente, wo ich diesbezüglich ein schlechtes Gewissen bekam. Aber wenn ich meine Kunst aufgegeben und mir einen Job gesucht hätte, wäre ich unglücklich und depressiv geworden, und das wäre für meine Kinder nun wirklich nicht gut gewesen.

Tatsächlich glaube ich an eine bestimmte Verfasstheit, die bei allen gleich ist, die als Künstler*in arbeiten – negativ betrachtet könnte man es Ausblenden von Lebensrealitäten nennen, aber ich sehe es eigentlich immer als Fähigkeit. Das heißt nicht, dass ich nicht auch für eine Verbesserung der oft prekären Situation in der Kunst wäre, im Gegenteil. Aber ich sehe es in einer neoliberalen Gesellschaft auch als Akt der Selbstbestimmung und auch der globalen Sorge um die Zustände der Erde allgemein, wenn ich sage, ich muss nicht 3000 im Monat verdienen und mir eine schicke Eigentumswohnung leisten, die jede Menge Ressourcen verschwendet zum Beispiel. Meine Töchter sagen mir sehr oft (ohne dass ich danach gefragt hätte), was für eine glückliche Kindheit sie hatten.

Da bin ich dann immer ganz beruhigt, weil ich – das gebe ich jetzt auch wieder zu – natürlich immer mal kleine Zweifel hatte und habe, ob ich das alles richtig mache bzw. gemacht habe.

Wie geht es dir mit all diesen Aspekten, liebe Sibylla?