Mütter, die gehen (I)

Ich bin 38, Mutter von drei Kindern und gegangen. 2015 verließ ich unser Haus auf dem Land, um im 50 km entfernten Ort ein künstlerisches Studium, zu beginnen.
Die darauf folgende Zeit war geprägt von Gewissensbissen, Vorwürfen, Unverständnis und – unfassbarer Entfaltung. Eine nicht gekannte Freiheit, mit der ich nach und nach lernte, umzugehen und sie zu nutzen.
Zunächst pendelte ich an den Montagen hin, freitags zurück, um die Wochenenden im Haus mit meinen Kindern und meinem Partner zu verbringen. Nachdem wir unsere Paarbeziehung ein halbes Jahr später beendeten, entschied ich mich auszuziehen und meinen Lebensmittelpunkt in den Studienort zu verlagern. Meine Kinder holte ich alle zwei Wochen an den Wochenenden sowie in der Hälfte der Ferien zu mir. Ich weiß nicht mehr, wie wir das im Detail organisiert haben – ich hatte anfangs nur ein WG-Zimmer, erst später zwei, – aber es ging. Und ich würde es wieder so machen. Heute lebe ich mit meinen Kindern im Wochenwechsel in Leipzig. Wir sind glücklich. Uns geht es gut. Und währenddessen sind wir in regelmäßigen Austausch über das Modell, welches wir leben.
Als Mutter zu gehen ist ein sensibles und schwieriges Thema, umso wichtiger, endlich in einen offenen Dialog darüber zu kommen, zu diskutieren, zu debattieren. Nicht jeder Frau ist es vergönnt, frei und bei vollem Bewusstsein für sich selbst zu entscheiden: Ja, ich will ein Kind, jetzt, in diesem Lebensabschnitt, mit genau dieser Person und mit allem, was dazu gehört. Abgesehen davon ist es bei der Entscheidung für ein Leben mit Kindern schlichtweg unmöglich, jegliche Konsequenzen mitzudenken. Auch wenn einige meiner Mitmenschen behaupten, dass ihnen das nicht passieren könnte. Nein. So etwas lässt sich nicht kontrollieren, geschweige denn vorausschauend kalkulieren. Du entscheidest dich für ein Kind, als Frau, als weiblich sozialisiertes Wesen, als Mutter, ja. Aber welchen Einschnitt es im Detail in die Beziehung zum anderen Elternteil bedeutet, wie sich diese Entscheidung tatsächlich auf dein Leben auswirkt, anfühlt, wie und ob du damit umgehst, das kann nicht mit einem Das hättest du vorher wissen müssen. abgetan werden.
Du hast dich doch dafür entschieden! Ja, wofür eigentlich?
Da musst du jetzt eben durch. Ach ja? Muss ich das?
Da musst du jetzt Verantwortung übernehmen! Ja, mache ich. Habe ich. Auf meine Art und Weise.
Und zwar indem ich als Mutter offen kommuniziere, dass ich mit der klassischen Kleinfamilie nicht mehr einverstanden bin, nachdem ich es mehrere Jahre probiert habe. Dass es mich krank macht, in einem Haus auf dem Dorf mit Mann und Kindern zu leben, ohne unter unserem Dach weitere Formen von Zusammenleben und Gemeinschaft erfahren zu dürfen.
Sei doch einfach mal glücklich!
Du solltest dankbar sein.
Aha. Sagen mir Menschen, die weder in meiner Situation noch in meiner Haut stecken.
Ja, richtig, ich brauche zum Glücklichsein mehr als meine Mutterschaft.
Und ja, bin ich. Dankbar dafür, dass ich noch mehr vom Leben erfahren möchte als Muttersein und Teilzeitjob.
Bis ich das erkannte und im nächsten Schritt den Mut hatte, das zu kommunizieren, vor meinem Partner und seiner Familie, die in unmittelbarer Nähe wohnte, schließlich auch vor mir selbst und der Gesellschaft, verging viel Zeit. Jahrelang wusste ich lediglich, es stimmt etwas nicht, das ist nicht das Leben, was ich leben möchte. Ich sehnte mich nach geistigen und körperlichen Freiräumen, nach einer anderen Aufgabe, aber vor allem nach Austausch und Verständnis für meine Gefühle und Gedanken als Mutter und Mensch.
Ich habe meine Kinder nicht zurückgelassen. Ich habe mich dafür entschieden, nicht mehr mit meinem Partner und in dieser Familie zu leben. Aber ich habe mich nie gegen meine Kinder entschieden. Mit der daraus entstehenden Reihe Mütter, die gehen möchte ich in einen Dialog kommen mit Frauen, die Ähnliches in ihren Biografien schreiben und darüber berichten, lesen, hören, wie es ist als Mutter, den Schritt zu gehen, aus der klassischen Kleinfamilie herauszutreten, ohne die Hauptfürsorge für die gemeinsamen Kinder mitzunehmen.

Ein Beitrag aus der Reihe Mütter, die gehen.