Take Care: Martina Hefter & Sibylla Vričić Hausmann (II)

Liebe Martina,

ich habe mich so gefreut, deinen Brief zu erhalten! Ich schätze deine eher positive, optimistische Perspektive auf das Care-Thema sehr und finde es wichtig, dass wir uns hier im Blog über gelungene Modelle der schriftstellerischen Mutterschaft oder des mütterlichen Schriftstellerinnentums austauschen. (Du siehst schon, mir fällt es auch schwer, die richtige Bezeichnung zu finden. Am liebsten mag ich momentan die offene englische Wendung „Writing with Care“.) Das ist es ja, worum es am Ende geht. Zu zeigen, dass Kinder aufziehen und künstlerisch arbeiten sich nicht gegenseitig verbieten, sondern dass diese Kombination verbreitet ist und zudem wunderschön und konstruktiv sein kann. Für Personen jeglichen Geschlechts. Dass das aber durch äußere Strukturen wahrgenommen, unterstützt und gefördert werden muss. Das Lebensglück von vielen kleinen und großen Menschen hängt schließlich daran. Dass deine Kinder dir sagen, sie hatten eine glückliche Kindheit, ist wunderbar! Ein größeres, tolleres Kompliment kann ich mir als Mutter (oder Elternteil) kaum vorstellen. Und auch du hast dich selbst „glücklich“ gemacht, indem du die Kunst parallel zur Mutterschaft mit vollem Ernst betrieben hast. Natürlich wäre es auch für die Kinder falsch gewesen, hättest du dir „ihnen zuliebe“, einer vermeintlichen „Stabilität“ zuliebe, einen Job gesucht. Es wäre falsch gewesen, weil es dir dann schlecht gegangen wäre. Bei mir selbst fällt mir ja immer wieder auf, wieviel zugewandter und kreativer ich im Umgang mit meinen Kindern bin, wenn es mir gut geht.

Stark finde ich auch, dass es für dich sogar ein Ansporn war, dass es in deinem Umfeld kaum Autorinnen mit Kindern gab. Ich glaube, du hattest/ihr hattet wirklich so eine anarchische Kraft, im Schreiben und beim Thema Kinder einen ganz eigenen Weg zu gehen … Das ist sowieso die beste Voraussetzung für eine gelungene Elternschaft. Bei mir war es so, dass ich erst, nachdem ich mich nach und nach von Erwartungen freigemacht hatte, die an mich gestellt wurden, als Mutter (nicht nur als Mutter) wohl und kompetent gefühlt habe. Mir fiel das nicht ganz so leicht. Ich weiß nicht genau, warum. Ich denke, ich habe in der Phase, in der ich mein erstes Kind bekam, mit 31, immer noch stark nach Halt und Orientierung in der so-called „Erwachsenenwelt“ gesucht. Ich war mir damals einigermaßen sicher, dass ich mich nicht traue, als Autorin zu leben. Als ich schwanger wurde, war ich in Mostar (Bosnien und Herzegowina), hatte mich in einen „Mostarci“ verliebt. Ich glaubte damals, ich würde nie wieder nach Deutschland zurückkehren.

Schwangerschaft und Geburt verliefen gut. Aber danach verebbten meine beruflichen und privaten Kontakte. Meine von einer deutschen Stiftung finanzierte Arbeit an einem Mostarer Theater lief aus, Elterngeld bekam ich nicht, nur Kindergeld. Mein Mann arbeitete als Kellner in Schichten, war damit unzufrieden. Ich war sehr viel allein mit dem Kind. Nach dem ersten Jahr waren meine Nerven zerrüttet. Ich schlug vor, dass wir nach Deutschland ziehen. Dass es nach Leipzig ging, war eher eine Idee meines Mannes, die DLL-Bewerbung lief nebenbei, neben Bewerbungen für Jobs. Dann nahm ich es trotzdem auf, das Studium. Unser Sohn war 3, gerade in den Kindergarten gekommen. Ich stellte fest (als hätte ich es immer gewusst, habe ich ja wahrscheinlich auch), dass ich mein Leben nach dem Wunsch, mich literarisch auszudrücken, ausrichten möchte und kann. Diese Entscheidung betraf dann ja gleich zwei andere Menschen mit. Die Begeisterung meines Mannes hielt sich in Grenzen. Nicht nur, dass das materiell eben schwierig war und mich das weniger belastete als ihn – es entfremdete uns auch als Paar ein Stück weit voneinander. Zudem waren wir damals noch neu in der Stadt und hatten kein Netz guter Freund*innen. Du hast vollkommen Recht damit, dass es auch an solchen Dingen liegt, wie gut sich Autor*innenschaft und Elternschaft miteinander verbinden lassen. Beim zweiten Kind war vieles schon leichter. Eine Art „Grundkonflikt der Lebensweisen“ wirkt sich aber bis heute auf unser Familienleben aus. Dieser Konflikt ist einer der Gründe, warum wir nicht mehr zusammen leben und die Kinder im Wechselmodell betreuen.

Meinst du, wir ähneln uns darin, dass die Struktur, die Mutterschaft mit sich bringt, uns als Autorinnen geholfen hat? Bei uns beiden war es jedenfalls das DLL-Studium in Verbindung mit dem Kind, das das ernsthafte Schreiben hervorgebracht hat. (Hier ein Zitat von Christine de Pizan, mit einem Augenzwinkern: „Ihr Frauen jedoch, die ihr im Stande der Ehe lebt, seid nicht traurig darüber, in so hohem Maße Euren Männern unterworfen zu sein, denn häufig ist der Zustand der Freiheit nicht von Vorteil für den Menschen, wie es der Engel Gottes auch Esra kundtat, als er sprach: Jene, die allein nach ihrem Willen handelten, verfielen der Sünde, verachteten Unseren Herrn und schmähten die Gerechten; dies gereichte ihnen zum Verhängnis.“ Übertragen auf die Autorinnenschaft und Mutterschaft hieße das: Eine gewisse Freiheitseinschränkung kann mehr Produktivität erzeugen. Bei mir war es vielleicht auch so, dass meinen Lebenswünschen eine gewisse Reihenfolge auferlegt war. Nachdem ich ein Kind hatte, war ich bereit für den nächsten Schritt oder Wunsch („ein Buch“)) … Und nun empfinde ich die Existenz meiner Tochter, die noch klein ist, als Ansporn, mein Schreiben noch umfassender und radikaler zu verfolgen. Ein bisschen ist es ein Gefühl des Ankommens. Ein Ankommen unter schwierigen Bedingungen, Hagel und Sturm.

Dass momentan so viel über Mutterschaft geschrieben wird, finde ich gut. Es gilt, mit Tabus zu brechen, auch wenn nicht jedes Wort, das eine*r dazu verliert, der Weisheit letzter Schluss ist. Es ist zum Beispiel hart, wenn eine schreibt, dass sie ihre Mutterschaft bereut. Könnte sie nicht genauso schreiben: „Ich bereue, in diese patriarchalische, kapitalistische Welt hineingeboren worden zu sein, ich bereue, dass ich lebe“ (ein Affront in die andere Richtung, also gegenüber der eigenen Mutter)? Ich glaube eigentlich daran, dass diese Welt sich wandelt. Dass neue Perspektiven auch neue Richtungen vorgeben, dass sich Strukturen verändern lassen. Ist es heute nicht leichter, Schreiben und Care miteinander zu verbinden? Weil es ein (wenn auch kleines) öffentliches Interesse am Thema Autor*innenschaft und Elternschaft gibt? Und sich die eine oder andere Stiftung inzwischen überlegt, Stipendien speziell für Eltern auszuschreiben? Oder bin ich naiv und wir erleben nur eine ewige Abfolge von Fort- und Rückschritten und im Grunde ändert sich nichts? Was unterscheidet denn die heutige Situation von Autorinnen mit Kindern von der vor 20 Jahren? Hast du dich damals darüber geärgert, dass der Betrieb kaum Fördermöglichkeiten für Leute mit Kindern bereitstellt? Hast du dich mit der „Books or Babies – aha, du willst Babies!“-Einstellung konfrontiert gefühlt? (Die wird ja meist sehr subtil vermittelt.) Und – neben dem berauschenden Gefühl des Abenteuers und der Abgrenzung durchs Kinderkriegen – hattest du damals auch Vorbilder, Autorinnen, denen die damals seltene Kombi gelang?

Deine Sibylla

 

Liebe Sibylla,

danke für deinen so ehrlichen Brief! Er hat mir nochmal klar gemacht, wie viel eben doch von den äußeren Lebensumständen abhängt, von der Situation, besser, den Situationen, in denen sich die Beteiligten befinden. Die Umstände, die du mir erzählst über die Zeit mit eurem ersten Kind – die Geburt in Mostar, der Umzug nach Deutschland, die unterschiedlichen Erwartungen deines Partners und dir –, sie erscheinen mir, gemessen an meinen eigenen Erfahrungen, geradezu abenteuerlich, ich stelle mir das Ganze schon auch als einen Kraftakt vor. Und ringt mir so was Komisches ab wie: Bewunderung. Als ob es einen Wettbewerb gäbe über die Umstände, in den wir Kinder bekommen, das ist ja eigentlich ganz blöd. Aber vielleicht kann ich sagen, es macht mich auch irgendwie hoffnungsfroh, deinen Bericht zu lesen, weil es am Ende doch zu so viel Gutem geführt hat. Du hast einen unglaublich guten Gedichtband veröffentlicht, hast deinen Weg als Autorin gefunden. Das sage ich jetzt nicht, um im Nachhinein alle Schwierigkeiten klein zu reden, sondern weil ich immer wieder fasziniert davon bin, wie sich künstlerisches Arbeiten seinen Weg bahnt, unbeirrt, wie eine Pflanze manchmal sogar durch Asphalt bricht. Das hört sich kitschig an, ist aber tatsächlich ein Gedanke oder eher Gefühl, den oder das ich oft habe, auch im Zusammenhang mit meinem eigenen Arbeiten. Oft denke ich, wenn ich an mein künstlerisches Arbeiten denke: Es ist schon ganz schön viel, was ich geschafft habe, aber eigentlich habe ich gar nicht so viel getan.

Aber klar ist diese Haltung auch ein Stück weit zu weltabgewandt vielleicht, weil sie politische, gesellschaftliche Zusammenhänge außer Acht lässt. Diese muss man schon mit im Blick haben. Insofern, ja, du hast Recht, es ist gut, dass die Themen “Care”, “Mutterschaft”, “Elternschaft” nun Themen sind, über die öffentlich gesprochen und geschrieben wird, dass Situationen geschildert, Forderungen gestellt werden. Gerade die Frage der Autor*innenförderung finde ich wichtig – Aufenthaltsstipendien z.B. sind in ihrer jetzigen Form nach wie vor als Förderpraxis für Eltern ungeeignet. Ich habe 2006 das New York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds bekommen (nichts, wofür man sich bewerben kann, man bekommt es wie eine Art Preis) und es direkt am Telefon nicht angenommen, weil meine Kinder gerade neu in der Schule bzw. im Kindergarten waren und mein Mann damals erste gesundheitliche Beeinträchtigungen hatte. Ein Jahr später bekam ich, als neuen Versuch, das London-Stipendium derselben Institution (eine sehr nette Geste), was ich auch annahm. Aber auch nach London konnte ich nicht fahren, weil mein Mann inzwischen seine Diagnose mit Multipler Sklerose bekommen hatte. Dass ich nicht nach London ging, stieß dann doch auf Unverständnis und verärgerte einige Leute, und damals hatte ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Drei Monate London, wer schlägt sowas aus? Aber ich hatte das Bedürfnis nach Ruhe, ich wollte einfach nicht weg aus unserem Garten, weg von den Kindern, von meinem Mann, meinem Freundeskreis – damals galt so eine Haltung in Literaturkreisen als rückständig, das bekam ich durchaus vermittelt.

Wieviel sich inzwischen geändert hat für schreibende Autor*innen, kann ich gar nicht einschätzen, für mich hört es sich an, als wäre es sogar schwieriger geworden, vor allem in finanzieller Hinsicht – das habe ich ja in meinem ersten Brief an dich schon ein wenig dargelegt, dass mit der Einführung von Hartz IV und des Elterngeldes gerade Geringverdiener schlechter wegkommen, und das betrifft nicht nur Eltern, die in der Kunst arbeiteten.

Generell sehe ich in der Debatte um Elternschaft und Schreiben auch Aspekte, die ich kritisch betrachte, z.B. kommen – wie ich es wahrnehme – eigentlich nur junge Eltern mit kleinen Kindern vor. Bei den Beteiligten des Care/Rage-Kongresses gab es eigentlich kaum ältere Beteiligte mit erwachsenen Kindern. Man hört ja nicht auf, Kinder zu haben, nur weil die Kinder groß sind, ich glaub, das schrieb ich auch schon, und die Aspekte des Kinderhabens für mich als Autorin sind jetzt ganz andere: Was kann ich denn eigentlich schreiben, wenn ich weiß, meine Kinder lesen meine Bücher auch? Inwieweit bin ich künstlerisch frei? Inwieweit habe ich gesellschaftliche Konventionen darüber, was ich als Frau gerade mit Familie, schreiben kann, unbewusst übernommen?

Das betrifft natürlich alle Verwandtschaftsverhältnisse oder auch enge Freundschaften. Sylvia Plath veröffentlichte “The Bell Jar” unter Pseudonym, weil sie ihre Mutter vor dem autobiografisch basierten Text schützen wollte – oder sich selbst vor dem Lesen der Mutter.

Und auch das sind keineswegs private Fragen. Denn es verhandelt, was wir – gerade als Frauen – gelernt haben, schreiben zu dürfen. Dass Frauen, die z.B. über “Regretting Motherhood” schreiben, die Frage gestellt bekommen, ob sie keine Angst davor haben, dass ihre Kinder das lesen werden, zeigt das ja sehr deutlich.

Aber noch zu deinen letzten beiden Fragen: Tatsächlich bin ich der glücklichen Lage sagen zu können, dass ich mich von Seiten des Literaturbetriebs fast immer willkommen und unterstützt fühlte mit meinen Kindern. Dass es damals alle toll fanden, wenn ich z.B. zur Buchmesse mit dickem Bauch und Kinderwagen aufkreuzte. Ich hatte vielleicht auch das Glück, mit den Verlegern meiner ersten Bücher selbst auf begeisterte und sehr engagierte Familienväter zu treffen. Das hätte eben auch ganz anders kommen können. Ebenso am DLL, man richtete mir da sogar einen Stillraum ein. Und in Daniela Seel, meiner Verlegerin bei kookbooks und inzwischen selbst Mutter, fand ich ja sowieso eine umfassende Unterstützerin meiner Arbeit. Aber ich will natürlich damit die bestehenden Probleme nicht kleinreden.

Vorbilder in Form schreibender Frauen mit Kindern, nein, die hatte ich nie. Es gab ja auch kaum Autor*innen mit Kindern, und wenn, dann waren sie, wie Sylvia Plath, nicht so wirklich geeignet. So sah mein Selbstbild überhaupt nicht aus.

Ich kenne aber viele Frauen im Tanz, die auch Kinder haben. Auch viele Balletttänzerinnen haben Kinder, das ist gar nichts Ungewöhnliches. Sicher war das früher noch anders. Babys im Ballettsaal sind überhaupt keine Seltenheit, die liegen dann halt in einer Ecke und es schaut immer mal jemand vorbei. Oder auch Kleinkinder, die dann oft und gern mittanzen. Das Thema wird zumindest in der Tanzszene, in der ich mich bewege, meinem Empfinden nach unverkrampfter angegangen, obwohl es natürlich auch in der Theaterwelt schwer ist, z.B. lange Proben bis in den späten Abend mit Kindern zu vereinbaren. Vielleicht sieht es für mich aber auch nur so aus, dass es dort anders ist, weil sich darüber nicht so viele Leute schriftlich äußern. Das (schriftliche) Nachdenken über die Aspekte der Kunstausübung gibt es ja eigentlich nur in der Literatur. In der darstellenden Kunst muss und will man halt trainieren und proben, das nimmt einen großen Teil der Zeit ein, und dann schaut man womöglich eher pragmatisch, wie es sich machen lässt mit Kindern. Kann sein, dass ich diesen Pragmatismus etwas übernommen habe.

Vielleicht wäre das ja ein guter Ansatzpunkt für die Diskussion um Care-Arbeit in der Literatur, dass man pragmatisch Lösungsmöglichkeiten entwickelt, aufzeigt, bespricht? Oder meinst du, man muss es auch auf einer ideellen, geistigen Ebene noch mehr durchdringen? (Ich frage nicht rhetorisch)

Liebe Grüße,

Deine Martina