Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (II)

Liebe Jenny,

sehr eindrücklich, deine Schilderung der Szene im Supermarkt. Man spürt, dass du Situationen wie diese gut kennst, während ich, als ich den Vater mit seiner Tochter im Café beschrieb, lediglich passive Beobachterin war. Selbstironie, Überforderung, Wut – ich kann mir vorstellen, dass der Grat zwischen alldem häufig schmal ist. Du schreibst, dass du erleichtert bist, dein Kind zumindest bei deinem Partner gut aufgehoben zu wissen. Bist du da nicht ziemlich streng mit dir? Ich könnte mir vorstellen, dass er umgekehrt ganz ähnlich denkt. Woher kommen diese hohen Ansprüche an dich, was meinst du? Bist du in Bereichen, die nicht deine Mutterschaft betreffen – in deiner Kunst etwa –, genauso selbstkritisch?

Eine klare Trennung von Zeit mit Kind, Lohnarbeit und kreativer Arbeit ist sicher sinnvoll. Ich bemühe mich auch immer wieder darum (wobei in meinem Fall die Zeit mit Kind wegfällt). Und obwohl die Brotjobs oft viel Energie rauben: Ich denke, generell tut mir der Ausgleich ganz gut. Nicht wenige meiner Texte sind unter Druck entstanden. In Phasen, in denen besonders viel zu tun war, unterwegs oder zwischen zwei Terminen. Wenn ich zu viel Raum zum Reflektieren habe, tendiere ich dazu, zu verstummen. Zuletzt habe ich das während eines Aufenthaltsstipendiums gemerkt. Einige Wochen ohne anderweitige Verpflichtungen, nur zum Schreiben – ein Idealzustand, dachte ich. In wollte jeden Tag mit einem Spaziergang beginnen, um meine Ideen in Ruhe zu entwickeln und zu sortieren, bevor ich mich an den Schreibtisch setzte. Es funktionierte nicht. In der ersten Zeit meines Aufenthalts schrieb ich keine einzige brauchbare Zeile. Außerdem (und das war noch viel schlimmer) verlor ich die Freude an meinem Projekt. Die Euphorie verflog, meine Zweifel wuchsen. Ich hatte den Text verworfen, noch bevor ich mit dem Schreiben begonnen hatte.

Aber – ich merke, wie ich abschweife. Dass ich es hinauszögere, eine Frage zu beantworten, die du gestellt hast. Wahrscheinlich, weil sie mir zu groß, zu gewichtig erscheint: Wie betrachte ich Elternschaft und die Rolle der Mutter? Ich bin unsicher, ob es mir zusteht, mich dazu zu äußern, da ich selbst ja nicht in dieser Rolle bin. Und da ist noch etwas, das mich in dem Zusammenhang umtreibt: Wie kann ich über Mutterschaft schreiben, als kinderlose Frau? Wenn Mutterfiguren bislang in meinen Texten vorkamen, dann nur in kürzeren Erzählungen, als Randfiguren. Das Ausloten der psychologischen Tiefen und Ambivalenzen der Mutterschaft habe ich mir nie zugetraut; es käme mir auf gewisse Weise auch anmaßend vor. Natürlich kann ich die Gefühlswelten von Müttern imaginieren, aber reicht das, um glaubhaft darüber zu schreiben? Ich habe da meine Zweifel (nach denen du außerdem gefragt hattest, aber eine Aufzählung würde den Rahmen dieses Briefes wohl sprengen).

Daher belasse ich es vorerst hierbei.

Liebe Grüße
Katharina

 

Liebe Katharina,

draußen scheint nach grauen, nassen, kalten Wochen seit Tagen die Sonne. Das tut so gut und mein Herz hüpft sich durch den Vormittag. Ich habe einen Schokoladenkuchen für den Kindergartenabschied gebacken und bin froh, dass es mir gelungen ist. Backen finde ich schwierig, denn ich halte mich ungerne an Rezepte, was beim Backen aber nötig ist. Nun liege ich auf der Couch und antworte dir im Schlafanzug mit Herzmuster. Ich staune so oft über den Schwall an Eindrücken, der mich stets umgibt.

Überall dauernd diese Eindrücke, ich kann mich oft nicht davon abgrenzen und frage mich dann, wie es anderen damit geht. Das künstlerische Arbeiten sowie das Schreiben helfen mir dann dabei, diese Eindrücke irgendwo abzustellen. Da sehe ich einen Widerspruch: Einerseits macht eine klare Trennung zwischen Lohnarbeit und künstlerischer Arbeit Sinn, wie ich es anfangs schrieb, aber andererseits kann man es auch oft so gut dazwischen packen: einen Gedanken, einen Vergleich, ein gefundenes Objekt. Ich kann deine Beschreibung über das Aufenthaltsstipendiums gut nachvollziehen. Wenn man kann, soll man, dann muss es auch klappen … irgendwie ganz schön viel Druck auf so einem Aufenthaltsstipendium, finde ich grade. Ich möchte es nicht verallgemeinern, natürlich helfen diese Möglichkeiten auch oft, manchmal kommen sie aber auch einem impulsiven Arbeiten in die Quere.

Ja, vielleicht war es eine merkwürdige Frage von mir, wie du die Rolle der Mutter betrachtest. Irgendwie konstruiert und viel zu groß. Andererseits denke ich, steht es jedem Menschen zu, sich zu äußern. Und wenn es fragend ist oder selbstreflexiv sowieso – ich muss da immer an das Buch „Mutterschaft“ von Sheila Heti denken, die ein ganzes Buch über dieses Thema geschrieben hat, ohne Mutter zu sein. Und gerade das fand ich so faszinierend daran, wie präsent dieses Thema für viele Frauen ist ohne, dass sie Kinder haben oder sogar selbst noch Kinder sind. Ich glaube sogar, dass es wichtig ist, dass sich Personen mit Kindern und Personen ohne Kinder austauschen, auch in der Literatur. Hättest du denn Lust darüber zu schreiben? Ich bin natürlich auch schon genervt gewesen von „unqualifizierten Meinungen“ (diese zu verfassen … davor hat man als Autor*in ja immer Angst), aber andererseits half es mir auch darüber zu reflektieren, wie ich Dinge vor / während / nach der Schwangerschaft gesehen habe.

Banales Beispiel:

Vor Schwangerschaft: Was sind das für sinnlose Hunde?
In Schwangerschaft: Mein Kind wird das nie gucken.
Nach Schwangerschaft: Paw Patrol. Fünf Welpen in Polizei-/Feuerwehr-/Weltrettungsoutfits regieren unseren Alltag.
Plötzlich: Mmh, vielleicht ist diese Serie deutlich feministischer als ALLES, was ICH als Kind geguckt habe.

Findest du, man sollte nur darüber schreiben, was man auch erlebt hat? Beziehungsweise, hat man nicht auch Dinge erlebt, in dem diese abwesend waren? Die Abwesenheit von bestimmten Erfahrungen ist ja auch irgendwie eine Erfahrung.

Abschließend noch … wahrscheinlich bin ich oft streng mit mir, aber manchmal auch gar nicht. Das gilt tatsächlich für meine Rolle als Mutter und auch als Künstlerin. Da bin ich sehr ambivalent. Doch, dass ich froh bin, mein Kind bei meinem Partner gut aufgehoben zu wissen, damit meine ich eher: ich bin froh, dass ich mir die Sorgearbeit teilen kann, dass der Vater meines Kindes präsent und aktiv und gesund ist. Das ist für mich nicht selbstverständlich. Da habe ich mich undeutlich ausgedrückt.

Bis ganz bald, ich freue mich auf deinen nächsten Brief.

Herzliche Grüße
Jenny