Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (III)

Liebe Jenny,

entschuldige, dass meine Antwort eine Weile auf sich warten ließ. Es war ein in vielerlei Hinsicht intensiver Monat, in dem unter anderem mein Debütroman erschienen ist. Heute und morgen Abend werde ich in der Schweiz daraus lesen. Aber noch ist Vormittag, ich sitze am Flughafengate und warte auf das Boarding meines Fluges nach Zürich. Seit über drei Jahren bin ich nicht mehr geflogen. Ich fühle mich fremd und ein wenig deplatziert, mir fehlt die Routine.

Mir gegenüber: ein älteres Paar. Sie sitzt sehr gerade, eine winzige rote Handtasche auf dem Schoß, er öffnet umständlich die Verpackung eines Sandwiches, betrachtet es skeptisch, bevor er hineinbeißt. Daneben eine fünfköpfige Familie, wohl auf dem Weg in den Urlaub. So viel Gepäck – bunte Rucksäcke und Rollkoffer, an den Griffen jeweils ein Sticker mit dem Logo der Fluggesellschaft. Ein Maxi-Cosi, darin anstelle eines Kindes ein Plüschtiger, Wasser im Tetra Pak, braungefleckte Bananen. Ich beobachte die Eltern, sie sind unentwegt beschäftigt, reden leise miteinander, füttern, navigieren. Wie gelingt es ihnen, den Überblick zu behalten? Ich muss daran denken, wie ich vorhin, bevor ich aufbrach, im letzten Moment noch daran dachte, meinen Pass mitzunehmen.

Angestoßen durch deinen Brief habe ich noch einmal darüber nachgedacht, wer unter welchen Voraussetzungen über Mutterschaft schreiben kann oder darf. Wenn du in dem Zusammenhang von unqualifizierten Meinungen sprichst, habe ich das Bild eines männlichen Autors vor Augen, eines Gustave Flaubert oder Thomas Mann. Ist es ihnen vorzuwerfen, wenn sie Mütter zu den Protagonistinnen ihrer Texte machen? Wäre es weniger unqualifiziert, wenn ich es täte, als kinderlose Frau, der die Thematik im Grunde doch ebenso fremd ist? Oder bin ich ihr automatisch näher, allein schon, weil sich weiblich gelesenen Personen die Frage nach dem Kinderwunsch unweigerlich und drängender stellt?

Sicher ist die Abwesenheit einer Erfahrung in gewisser Weise auch eine Erfahrung. Ich denke, dass der Motor des Schreibens, so pathetisch es klingen mag, oft Sehnsucht ist. Die Sehnsucht danach, in fremde Lebens- und Gefühlswelten einzutauchen, schreibend Erfahrungen zu machen, die nicht Teil der eigenen Wirklichkeit sind. Für mich kommt es jedenfalls nicht in Frage, ausschließlich über persönliche Erlebnisse zu schreiben. Das wäre ja schrecklich. Das Ende der Imagination und – wenn ich von mir ausgehe – auch jedes schöpferischen Impulses.

Gerade kam die Durchsage, dass das Boarding nun beginnt. Es wird also Zeit, diesen Brief zu beenden, meinen vorerst letzten. Unser Austausch hat mir viel Freude gemacht und ich bin gespannt, welchen Abschluss du für ihn finden wirst.

Liebe, luftige Grüße
Katharina

 

Liebe Katharina.

Zuallererst: herzlichen Glückwunsch zur Erscheinung deines Buches. Ich kann mir vorstellen, wie aufregend das für dich ist, und wünsche dir ganz viel Spaß mit den Lesungen und allem, was so ansteht. Ich freue mich schon, es zu lesen.

Wir sind nun schon fast einen Monat unterwegs und ich blicke am frühen Morgen aus der Bustür, mein Partner schläft heute aus, mein Kind sitzt auf dem umgedrehten Fahrersitz und hört ‘Was Ist Was’. Gelegentlich ruft er mir etwas zu laut, wegen der Kopfhörer, Informationen zu: “Bäume sind die größten Lebewesen der Welt.” Wir sind in Meteora. Hier blickt man auf wundersame Felsformationen. Ich freue mich, später hindurch zu spazieren.

Bei deiner Beschreibung über die mehrköpfige Familie musste ich ein wenig schmunzeln, denn auch mir entgeht das ständige in Bewegung sein nicht, wenn ich Familien mit mehr als einem Kind sehe. Unsere sehr netten Campingnachbarn hier haben zwei Kinder, 7 Monate und 3 Jahre. Niedlichste Kinder, aber ich vermisse die Zeit nicht. Ich habe mich gefreut, das kleine Baby zu halten, und kann ihm zusehen, wie man Feuer zusehen kann, aber ich bin dennoch froh, wenn ich es zurückgeben kann, wenn es quengelt. Ich habe die Zeit sehr genossen, als mein Kind so klein war, als es frisch auf die Welt kam, als es propere 12 Monate alt war, stets gesund und meist sonnig. Es war immer unkompliziert mit ihm. Und doch: ich denke bis heute, dass ich nicht die Mutter bin, die alles locker wegsteckt oder gar an weitere Kinder denkt. Wir sind mit einem Kind sehr froh über die Abwechslung an Freizeit und Kindzeit, froh und ausgelastet. Häufig stellen Freunde und Fremde (!) die Frage, ob wir nicht mehr Kinder wollen. Entgeistert schüttele ich dann den Kopf in dem Wissen, dass unnütze Sätze folgen können: “Ein Kind ist wie kein Kind, wenn man zwei Kinder hat!” oder “Dann können sie so schön spielen.”

Mmh, ich bin mir nun doch wieder unsicher, ob ich den Begriff der unqualifizierten Kommentare gut finde. Oder doch – irgendwie schon. Ich würde ihn aber nicht auf ein Geschlecht beziehen. Ich denke, so ein Kommentar kann auch von einer Mutter kommen, einem Vater, einer Person, die keine Kinder hat. Ich meine einfach verallgemeinernde, stigmatisierende, unsensible Kommentare, reproduzierende Vorstellungen, Machtpositionen, die sich immer wieder selbst bestärken. Das alles kann zu nervigen Beschreibungen in Büchern führen, die wiederum andere vielleicht gar nicht nerven, aber mich wütend machen oder verletzen. Ich weiß nicht, ob man als Cis-Frau ohne Kinder dem Komplex Mutterschaft automatisch näher ist. Klar, man hat mit hoher Wahrscheinlichkeit sich überschneidende Themen wie Uterus, Sozialisation, gesellschaftliche Vorstellungen, die sich einschreiben, aber doch ist jede*r Zugang anders verflochten. Ich denke auf sensible und vorsichtige, mal wütende, manchmal undurchdachte und dann wieder höchst ausdifferenzierte Weise erarbeitet man sich einen ambivalenten Zugang zur Welt. Sich alle Welten auszudenken, schützt nicht vor Fehltritten und Fehlern, die für die einen unmöglich sind und für die anderen genau richtig. Vielleicht ist das ok.

Die Sonne steht jetzt über diesem merkwürdig schönen Berg. Wir frühstücken jetzt. Für mich war der Briefwechsel eine spannende Erfahrung, die mich außerdem an meine Brieffreundschaften von einst erinnert hat.

Herzliche Grüße und hoffentlich bis bald,
Jenny