Mein Vater gratuliert mir zu meinem Video anlässlich des Lesens um den Dresdner Lyrikpreis. Er schreibt: „Gut gemacht, mein Sohn!“ Und ich frage mich seit langem einmal wieder, was er damit eigentlich meint? Und wen? Ich komme auf irgendwas von früher, etwas sehr Sohnhaftes, auf Dinge am Anfang meines Lebens, etwas bereits Vergangenes. Eine Verbindung, bei der ich Angst habe, dass sie auch zwischen mir und meinen Kindern irgendwann vergeht.
Ich kann die Frage nicht beantworten, wann ich eigentlich meiner Meinung nach aufgehört habe, richtig Sohn zu sein (für den väterlichen Teil). Vielleicht mit der Geburt meiner Kinder, für die sich mein Vater, also ihr Großvater, bis heute nicht sonderlich interessiert. Mit der Geburt seiner Enkel, als Großvater in Theorie, für die ihm noch mehr die Vorstellungskraft zu einer Rolle fehlt als für mich und meine Geschwister? Vielleicht habe ich mein Sohn-Sein abgegeben an meine eigenen Kinder, zusammen mit der Hoffnung, selbst Vater zu bleiben, ein Großvater zu werden, vielleicht.
Und ich wundere mich kurz über das Fehlen der Erkenntnis, über eine augenscheinliche Einseitigkeit des Verlustes, zumindest aber über die feste und doch traurige Behauptung, dass ich immer noch vollständig Sohn sei. Dabei enden unsere wenigen Gespräche seit vielen Jahren in etwas anderem als einer Übereinkunft oder einer Idee, die von einer Vater- oder Sohn-Person getragen wird.
Selten ist man machtloser als im Tochter- oder Sohn-Sein. Der Bezeichnung, der Nennung. Wir alle haben das Gefühl, in den Filmen, die wir schauen, den Büchern, in denen sich jemand von seinem Kind-Sein losspricht, freischreit, dass sie*er dies vergeblich tut. Die Biologie ist ein Steinchen, das als Totschlaghammer funktioniert, für viele ein Metallschloss mit Bolzen. Nur in wenigen Beziehungen glauben wir mehr an Biologie als hier.
Zurück zur Nachricht. Hinzu kommt, dass die Rolle als Vater für ihn ganz ausschließlich im Guten funktioniert. Immer muss man sich vor einem Stolz ducken, ein Ruhm sein ohne späteren Verdienst. Ich bin ihm nicht böse, es mangelt mir nur inzwischen selbst an Willen. Und der Resignation vor der Abwesenheit einer Abstufung dieses einen Begriffs: Vater. Weniger gibt es nicht, allein schon aus Schutz. Ich stelle mir eine Umbenennung durch meine Kinder von „Vater“ zu etwas anderem vor. Grauenhaft, ein zementierter Vorgarten als Gefühl. Es mangelt uns an Sprache aus Rücksicht.
Was bleibt, sind Versuche. Ich schreibe „Va“ im Versuch, zu entsagen, in Nuancen zu entsohnen. Es fehlt eine Alternative, eine Abstufung, in der Dinge wie Präsenz, Gegenseitigkeit, Zuneigung und Zeit Berücksichtigung finden, auch wenn sie verletzen. Denn es würden in anderen Fällen, nicht dem meinen, auch bösere Dinge eingehen.
„Retav!“, „Vraet!“. Auf beiden Seiten. „Onsh!“, „Nosh!“. Mir fehlt ein Wort für „Sohn“, das die dunkle Aufregung ausdrückt, in die ich im Bemühen um Beziehung manchmal gerate.