Some Work But Different: Slata Roschal

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch?

Im Mittelpunkt steht – unter anderem – das Thema Mutterschaft, und ich könnte keine überzeugende Ich-Perspektive dazu entwerfen, wenn ich selber kein Kind hätte. Das ist mir auch wichtig, über das zu schreiben, womit ich mich auskenne, nicht mit gekünstelten, angelesenen Plots zu arbeiten (wobei das Buch natürlich ein literarisches Ereignis ist, nicht mehr und nicht weniger, weder autobiografisch noch ‒ wie man es heute sagt ‒ autofiktional). Auch stammen viele Figuren und Szenen aus dem Kita- und Schulalltag mit anderen Eltern, es war auch ein wenig gemein, da die Erzählerin gar nicht gut auf andere Mütter zu sprechen ist.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?

Tatsächlich lief es ziemlich pragmatisch ab, ich war bei einer Residenz, kam ein-zwei Wochen später zuhause an, prüfte alles (das Grün des Schutzumschlags fand ich super, das Rosa darunter eher weniger), las das Buch einmal von Anfang bis Ende durch (es ist ein ganz gutes Zeichen, wenn man Spaß hat beim Lesen des eigenen Textes), und das war es. Aber ich habe davor auch nicht meinen Geburtstag gefeiert, es war zu viel los und ich tue mich generell schwer damit, mich zu freuen, wenn ich es muss, also nicht spontan.

Auf welches Stipendium hast du dich nicht beworben, weil du Kinder hast?

Auf fast alle Residenzstipendien im Ausland, die an teure Flüge und lange Reisezeiten gebunden sind, bewerbe ich mich nicht, obwohl ich natürlich gern mal in Helsinki oder Istanbul schreiben würde; neulich hatte ich eins nebenan in Frankreich und dieses ständige Hin- und Herreisen war ätzend. Auch fällt meist alles weg, was länger als einen Monat dauert, wobei ich jetzt versuche, meinen Sohn in den Ferienzeiten mitzunehmen, zu pendeln und mich auf unangenehme Diskussionen mit den Residenzleitern gefasst zu machen. Und ich kann nicht einfach so umziehen, weil es woanders bessere Arbeitsstipendien gibt, die sind ja meist an den Wohnort gebunden. Mit der Zeit nehme ich es aber immer mehr als ein strukturelles Problem und weniger als meine private Einschränkung wahr (ein Kind zu haben, ist eigentlich mehr als normal, es ist gut und wichtig), und das ändern allmählich solche Initiativen wie die other writers.

Slata Roschals zweiter Roman Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten erschien im Februar 2024 bei Ullstein/Claassen.

 

 

Take Care: Slata Roschal & Nora Zapf (III)

Und der plötzliche Säuglingstod und der bellende Husten beim falschen Krupp, Hand-Mund-Fuß-Krankheit und Magen-Darm und nächtliche Fieberkrämpfe. Ich habe keine Angst vor dem Tod gehabt, bevor mein Sohn zur Welt kam, jetzt denke ich jeden Tag daran, dass ihm etwas zustoßen könnte, im Schlaf, im Spiel, nach einer Impfung, ohne eine Impfung, im Stuhlkreis, auf dem Pausenhof, beim Mittagessen im Hort, auf zahlreiche, wahrscheinliche Weisen, er hat sich in den letzten Jahren mehrmals einen Zahn gebrochen, die Hand aufgeschlitzt, einmal stand er morgens auf mit einer Wunde auf dem Gesicht und wusste nicht, was und wie. Und, wie zynisch es auch klingen mag, seit ich ein Kind habe, ist mir bewusst, dass frühe Abtreibung ein Recht für alle sein sollte, nicht, weil ich es bereue, sondern weil ich jetzt weiß, welche Arbeit ein Kind bedeutet, welche Angst, und dass es möglich sein muss, sich dieser riesigen Verantwortung zu entziehen.

Slata, 13.04.22

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Take Care: Slata Roschal & Nora Zapf (I)

Mütter im Briefwechsel, das klingt seltsam, schon fast ein Oxymoron, also vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Mutter und Tochter, die wiederum Mutter geworden, also um Mütter, die nicht im mütterlichen Verhältnis zueinanderstehen, selbst dann. Mütter haben wenig Zeit füreinander, weil sie überhaupt wenig Zeit haben oder genug beschäftigt sind damit, alles andere einigermaßen zu schaffen, es bilden sich ab und zu pragmatische Bekanntschaften auf Spielplätzen, über die Krippe, die Kita, den Hort, um die Freundschaften des eigenen Kindes zu pflegen, Babysitter zu organisieren, Erfahrungen, Beschwerden auszutauschen, aber dass Mütter einfach so einander schreiben …
Es ist schon surreal, was wir da machen.

Slata, 15.02.22

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Für einen Monat weg …

Für einen Monat weg, einen ganzen, das erste Mal seit zehn Jahren, seit ich schwanger, hatte noch nie eine ganze Wohnung für mich allein, drei Zimmer und sechs Betten, in jedem Bett fünf Mal schlafen, staubsaugen höchstens ab und zu, Müll rausbringen, aber sonst nichts, wirklich gar nichts, wenn ich alles schaffe, was ich will, schreibe ich hier einen Roman zu Ende und einen Lyrikband und beginne einen neuen und habe alle Notizen und Entwürfe sortiert und sieben Bücher gelesen. Ich wache auf, wann ich will, gehe schlafen, wann ich möchte, um die gleiche Zeit wie sonst zwar, aber mit einem anderen Gefühl, ich sitze den ganzen Tag vor dem Laptop, an einem eigenen Tisch, schaue auf die Berge und trinke Bier und schleiche abends raus, wenn der Kühlschrank leer wird, der Wein hier ist schlecht, aber das Bier, das ist ganz in Ordnung, die Flaschen stapeln sich in der Küche. In der Apotheke eine Duftkerze für sechzehn Euro, umgerechnet, Sandalwood Macadamia, im Lebensmittelladen eine Gesichtsmaske Nivea, Grüner Tee, ich schäme mich, weil es mir gut geht, überlege, früher abzureisen, den Koffer zu packen, reiße mich zusammen, gehe nochmal die Textentwürfe durch. Am letzten Freitag dann gedeckter Tisch und Kerze, Kinderfrüchtetee ohne künstliches Aroma, belegte Brote, geschnittene Pflaumen, Äpfel, und ich dusche zum dritten Mal und ziehe mich um wie für einen Empfang oder eine Trauerfeier. Wenn sie schon auf dem Weg, dann, bei einem Unfall, diese Straßen hier, bergauf, bergab, verrückte Überholer in den Kurven, oder einfach Müdigkeit und Kurzschlaf, oder, oder, und ich sitze hier in der Küche und spüre, dass etwas passiert sein könnte, bin ich dann schuld daran und meine verflixte Residenz und das Talent, ständig allen Umstände zu bereiten, Gefahren, lebensbedrohliche Gefahren zu verursachen vielleicht …

Ein Beitrag aus der Reihe Und wenn ich falle? – Texte über Trennungen.

Same Work But Different: Slata Roschal

Welchen Einfluss hatte deine Mutterschaft auf die alltägliche Schreibarbeit?
Slata Roschal: Einen Text aus dem Buch, „Die Entdeckung Amerikas“ habe ich zum Beispiel bei einer Konferenz in Boston geschrieben. Während der Vorträge tat ich so, als würde ich mitschreiben, und abends saß ich in meinem Zimmer in einem Studentenwohnheim und schrieb weiter, so habe ich von Amerika nur die Uni und das Wohnheim gesehen. Meine Lieblingstexte entstehen auf Reisen zu irgendwelchen formalen Tagungen, in Hotelzimmern, da habe ich einen Anlass, alleine zu sein, es ist eine kostbare Zeit.

Wenn dich vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest Du es beschreiben?
Slata Roschal: Es geht viel ums Sterben, um Ängste und Einsamkeit. Meine Bekanntschaften teilen sich eigentlich in zwei Kategorien auf: Die erste – Eltern aus der Kita, Schule oder aus dem Hort – interessieren sich kaum für Bücher, höchstens, wenn ich sage, dass ich Preisgeld erhalten habe. Und die zweite – andere Autoren – interessieren sich meist nicht für Kinder und alles, was damit zusammenhängt. Es sind parallele Welten, und in einer Art Code-Switching wechsle ich Themen, Motivationen, fast die Sprachen selbst.

Gibst du das Buch deinem Kind zu lesen? Warum (nicht)?
Slata Roschal: Mein Sohn (9) weiß mittlerweile, dass ich Bücher schreibe, er hat sie nicht gelesen, weil es genug andere spannende Sachen zu tun gibt, was ich total verstehen kann. Mir gefällt es, dass er offen protestiert, wenn es langweilig wird. Wenn er groß genug ist, wird es wiederum nicht pädagogisch sein, aus meiner Sicht, alles in Schwarz, Tod und Trauer, so ein Buch würde ich ihm nicht kaufen.

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?
Slata Roschal: Total, weil der entscheidende Punkt ist: Ein Baby wächst heran zu einem erwachsenen Organismus, zieht als selbständiges Wesen in die Welt hinaus, gerät in immer mehr Bezüge, die nichts mehr mit dem elterlichen Körper zu tun haben, und wenn einem Buch immer noch ein Autor hinterherläuft, unangenehme Fragen oder Rezensionen abzuwenden versucht, ergibt es keinen Sinn.

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?
Slata Roschal: Mein Traum ist es gerade, ein Arbeitsstipendium zu bekommen, das für ein Jahr reicht – einfach genug Geld zu haben, um an eigenen Texten zu schreiben, und die ersten paar Monate keine Bewerbungen parallel zu verfassen, es muss grandios sein.

Das Gedicht stammt aus dem Band wir tauschen ansichten und ängste wie weiche warme tiere aus, erschienen bei Hochroth München, Herbst 2021.

Ein abgeschminktes Gesicht zu sehen stimmt mich traurig …

Ein abgeschminktes Gesicht zu sehen stimmt mich traurig
Ich denke dann an Baumrinde oder Sandalöl
An dünne blasse Bambusstäbchen
Spüre die Füße in den Boden Wurzeln schlagen
Es macht mich unruhig dass keiner mich um die Erlaubnis fragte
Ob ich hinausgezogen werden wollte
Man sagte mir ich kam zu früh zur Welt
Ich weiß nicht ob es stimmt und wer mich dazu zwang
Ob ich am Täter Rache nehmen sollte
Selbst die Kakteensammlung auf der Fensterbank
Zeigt mehr Temperament

Das Gedicht stammt aus dem Band wir tauschen ansichten und ängste wie weiche warme tiere aus, erschienen bei Hochroth München, Herbst 2021.

Wer sonst

Wenige Dinge nur habe ich aus purer Freude gemacht oder aus einem einfachen, instinktiven, dringenden Wunsch heraus. Ein Kind zu bekommen gehörte zu diesen Dingen, die sich nicht instrumentalisieren oder pragmatisch mit Vor- und Nachteilen angehen ließen. Das heißt, es ließe sich natürlich eins bekommen, um in die Altersvorsorge zu investieren, um eigene Komplexe daran abzuarbeiten, diktatorische Neigungen auszuleben, aber sowas kam uns nie in den Sinn. Ich weiß nicht, warum ich, warum wir ein Kind wollten, aber, mal ehrlich, wer sonst, wenn nicht wir.

Ein Beitrag aus der Reihe in dir menschen sehen – Texte zum Kinderwunsch.

Horkruxe

Die Stelle, aus der ein Kind gezogen wird, stellte ich mir als eine große Wunde vor, ins Äußerste gedehnte Haut, blutige Abdrücke, gelegte und gezogene Nähte, Narben. Aber ich spürte nichts und sah nichts.

Jetzt bin ich von allen Seiten verwundbar geworden, habe die Grenzen ausgedehnt und verloren, mein Innerstes verteilt sich über den meinen und einen anderen Körper von seltsamen, mir unähnlichen Proportionen. Ich lege Horkruxe an wie Voldemort, Garanten für das weitere, vielleicht endlose Dasein, aber sie machen mich nur angreifbarer, von allen Seiten, und wenn sie zusammengeführt werden in einem Raum, im gleichen Zimmer, mein Körper, mein Schreiben, mein Kind, wissen sie nicht, ob sie wirklich Teil eines Ganzen sind.

Ein Beitrag aus der Reihe Wunde – Texte zwischen Schreiben und Sorgen.