Same Work But Different: Slata Roschal

Welchen Einfluss hatte deine Mutterschaft auf die alltägliche Schreibarbeit?
Slata Roschal: Einen Text aus dem Buch, „Die Entdeckung Amerikas“ habe ich zum Beispiel bei einer Konferenz in Boston geschrieben. Während der Vorträge tat ich so, als würde ich mitschreiben, und abends saß ich in meinem Zimmer in einem Studentenwohnheim und schrieb weiter, so habe ich von Amerika nur die Uni und das Wohnheim gesehen. Meine Lieblingstexte entstehen auf Reisen zu irgendwelchen formalen Tagungen, in Hotelzimmern, da habe ich einen Anlass, alleine zu sein, es ist eine kostbare Zeit.

Wenn dich vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest Du es beschreiben?
Slata Roschal: Es geht viel ums Sterben, um Ängste und Einsamkeit. Meine Bekanntschaften teilen sich eigentlich in zwei Kategorien auf: Die erste – Eltern aus der Kita, Schule oder aus dem Hort – interessieren sich kaum für Bücher, höchstens, wenn ich sage, dass ich Preisgeld erhalten habe. Und die zweite – andere Autoren – interessieren sich meist nicht für Kinder und alles, was damit zusammenhängt. Es sind parallele Welten, und in einer Art Code-Switching wechsle ich Themen, Motivationen, fast die Sprachen selbst.

Gibst du das Buch deinem Kind zu lesen? Warum (nicht)?
Slata Roschal: Mein Sohn (9) weiß mittlerweile, dass ich Bücher schreibe, er hat sie nicht gelesen, weil es genug andere spannende Sachen zu tun gibt, was ich total verstehen kann. Mir gefällt es, dass er offen protestiert, wenn es langweilig wird. Wenn er groß genug ist, wird es wiederum nicht pädagogisch sein, aus meiner Sicht, alles in Schwarz, Tod und Trauer, so ein Buch würde ich ihm nicht kaufen.

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?
Slata Roschal: Total, weil der entscheidende Punkt ist: Ein Baby wächst heran zu einem erwachsenen Organismus, zieht als selbständiges Wesen in die Welt hinaus, gerät in immer mehr Bezüge, die nichts mehr mit dem elterlichen Körper zu tun haben, und wenn einem Buch immer noch ein Autor hinterherläuft, unangenehme Fragen oder Rezensionen abzuwenden versucht, ergibt es keinen Sinn.

Welches Stipendium würdest du auch mit Kind nicht ablehnen?
Slata Roschal: Mein Traum ist es gerade, ein Arbeitsstipendium zu bekommen, das für ein Jahr reicht – einfach genug Geld zu haben, um an eigenen Texten zu schreiben, und die ersten paar Monate keine Bewerbungen parallel zu verfassen, es muss grandios sein.

Das Gedicht stammt aus dem Band wir tauschen ansichten und ängste wie weiche warme tiere aus, erschienen bei Hochroth München, Herbst 2021.

Morgens, zwischen vier und halb sechs

Ich bin besorgt, dass meine Kinder sich in der Schule anstecken, dass sie krank werden, Long-Covid entwickeln, das erste Kind werden, dass auch in Deutschland die Gefährlichkeit der Krankheit für kleine Kinder beweist. Ich bin gestresst und überfordert, weil ich parallel arbeiten soll wie immer, weil ich zusehe, wie die Große wieder Zugänge und Kurseinladungen zu Lernplattformen auf ihrem Tablett einrichtet, weil die Mittlere wieder jeden Tag all ihre Schulbücher hin- und herträgt, weil niemand weiß, ob sie morgen wieder in die Schule gehen kann. Ich bin besorgt, weil die Schutzmaßnahmen in der Schule quasi nicht vorhanden sind, viele Kinder sich effektiv gar nicht testen, auch wenn es auf ihren Zetteln steht, weil einige Kinder ganz sicher ungeimpfte Eltern haben, weil in den Klassenräumen bei einem Grad statt Luftfiltern offene Fenster die Viren vertreiben sollen, weil im Hort alle Kinder durcheinanderrennen, ganz gleich, was für die Schule gilt. Ich bin gestresst und überfordert, weil ich Igel ausmale, Tu-Wörter aufzähle, Rechenmauern kontrolliere, Französischvokabeln abfrage, Verben dekliniere, Zirkel repariere, Äpfel schneide und auch noch eine der Glücklichen sein soll, die ja immerhin parallel von zu Hause aus arbeiten kann und sich nicht krankmelden muss. Wie muss es erst dem Pflegepersonal gehen? Den Erzieher*innen, Lehrer*innen, die zum Beispiel meine Kinder betreuen und nicht nur irgendeine homogene Masse, sondern ebenso wie ich denkende, fühlende, besorgte und sicher auch ängstliche Menschen sind? Wie muss es all den Menschen gehen, die nicht zu Hause bleiben können, weil sie keine Kinderkrankentage, Urlaubstage oder sonstiges mehr haben, weil sie sich nicht trauen, sich krankschreiben zu lassen aus Angst, den Job zu verlieren? Ich sage mir: Denk an diese Menschen, und zwinge mich, nicht zu verzweifeln, immerhin ist die Welt voller Menschen, denen es noch schlechter geht, nicht wahr. Also weiter funktionieren und sich selbst dabei mehr und mehr vergessen, bis auf morgens zwischen vier und halb sechs, da kannst du alles tun! Ich bin müde.
Manchmal schalte ich statt des TVs lieber das Smartphone ein und geh zu Twitter, Facebook, Instagram, kurz, in die Hölle. Ich like das Foto des männlichen Autoren, der grad von einem Aufenthaltsstipendium zum nächsten flaniert, sehe zu, wie er seinen Erfolg feiert, ständig Zusagen zu bekommen, ohne zu reflektieren, dass die Mutter-Autorinnen sich aktuell einfach auf nichts zu bewerben brauchen. Wozu? Wer hat Kraft, die Foren durchzugehen, wer hat Energie, eine Bewerbung zu schreiben und sowieso, Kinder mitnehmen? Nein, danke, wir brauchen hier unsere Working-Ruhe. Also freie Bahn für die, deren Bahn schon immer viel freier gewesen ist. Manche ziehen ihre beruflichen Runden, andere ziehen an den unter dem Sofa verklemmten Socken.

Auszug aus einem längeren Text

Rarely Asked Questions: Nora Gomringer

Was macht Elternschaft zu einem literarisch interessanten Thema?
Nora Gomringer: Wer Vater, Mutter, Betreuer, Umsorgender wird, lernt sich in einer neuen Rolle kennen. Diese Selbsterfahrung sorgt für neue Energien und Erfahrungen, die verarbeitet und eben auch geteilt werden wollen. Es ist eine produktive Phase, eine Phase des Erstaunens. Ein paar Autoren gelingt es, aus dieser persönlichen Novität etwas Gemeingültiges zu schaffen.

Stehen schreibende Väter vor anderen Problemen als schreibende Mütter?
Nora Gomringer: Das hängt sehr von der Struktur ab, die man sich aufbaut, wenn man zu zweit für ein Kind oder mehrere sorgt. Ein schreibender Mensch hat besondere Bedürfnisse, die mit Kindern und ihren Bedürfnissen nur schwer zu verbinden sind. Ich staune immer, wie mutig schreibende Menschen sind, dass sie sich überhaupt auf Kinder einlassen. Sie müssen viel Vertrauen in ihre Kräfte haben.

Kann der Literaturbetrieb familienfreundlicher gestaltet werden, und wenn ja wie?
Nora Gomringer: Der Betrieb kann familienfreundlicher werden, aber ich glaube nicht, dass er es wirklich will. Es ist etwas anderes, eine Familie einzuladen – warum sollte das einen Stipendiengeber interessieren? – oder einen Menschen, der als Solitär in eine Gemeinschaft oder an einen Ort gelangt. „Community spirit“ im Rahmen einer Residenz entstehen zu sehen, ist fast nur mit Einzelpersonen möglich, die sich aufeinander einlassen. Wer mit Familie kommt, ist auch abgeschlossener gleichzeitig. Allerdings auch oft glücklicher, weil er sich nicht so sehr zerreißen muss und der Partner einbezogen ist. Wie bei allem ist es eine Frage der Kommunikation und Prioritäten. Nie kann man alles haben. Das ist Illusion.

Nora Gomringer, geboren 1980, Lyrikerin und Performerin. Seit 2010 Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia, die Residenz des Freistaats Bayern, die Prä-Corona die Familien von Stipendiatinnen und Stipendiaten gerne willkommen hieß.