Ich muss ein Maulwurf sein

„Wenn du da ein Loch schaufelst, kommst’ bei die Maori in Neuseeland wieder raus“, meinte mein Uropa, der Prophet, als ich noch ein Kind in den Tiroler Bergen war. Ich betrachte die Reliefkarte meiner rechten Hand, die fünf Landzungen mit den rotlackierten Nägeln. Meine Hände sind zart. Und doch muss ich ein Maulwurf sein. Oder warum sonst erzählt der silberfarbene Wall meines Eherings, dass ich bei die Maori in Neuseeland wieder rausgekommen bin?
Mein Mann führt die Erinnerung an seine Vorfahren auf seinem Körper mit sich wie einen eingravierten Pass. Ta Moko. Verschlungene Gemälde aus Tinte und Blut, die eine ganz bestimmte Geschichte erzählen. Seine. Auch das Meer ist darauf verzeichnet. Wasser fließt in dunkelblauen Schnörkeln unter seiner Haut. Ich trage einen Gebirgszug auf der Zunge, ein ganzes aufgefaltetes Massiv. Seine scharfen Kanten sind im Alltag gut versteckt. Doch immer wieder herrscht Steinschlag hinter meinen Zähnen. Bei Wut, bei Hunger oder Durst. Dann brülle ich kehlige Laute. Ich esse ein Gutti, trinke ein Kracherl oder leere einen Pfiff.
Wenn meine Tochter Treppe meint, sagt sie Dräppe. Wenn sie durstig ist, sagt sie: „Mama, bitte ein Gedränk.“ Kracherl sagt sie praktisch nie. Neulich haben wir einen Maulwurf gesehen, auf den Steinfliesen unter der Dräppe. Der Kater hatte ihn im Maul und dort aus Versehen gedroppt. Dieses Wunderwerk von einem Tier – samtenes Fell, Schaufelhände, winziges rotes Näschen – hat uns beide tief berührt. Es begann auf der Stelle zu graben.