Ich muss ein Maulwurf sein

„Wenn du da ein Loch schaufelst, kommst’ bei die Maori in Neuseeland wieder raus“, meinte mein Uropa, der Prophet, als ich noch ein Kind in den Tiroler Bergen war. Ich betrachte die Reliefkarte meiner rechten Hand, die fünf Landzungen mit den rotlackierten Nägeln. Meine Hände sind zart. Und doch muss ich ein Maulwurf sein. Oder warum sonst erzählt der silberfarbene Wall meines Eherings, dass ich bei die Maori in Neuseeland wieder rausgekommen bin?
Mein Mann führt die Erinnerung an seine Vorfahren auf seinem Körper mit sich wie einen eingravierten Pass. Ta Moko. Verschlungene Gemälde aus Tinte und Blut, die eine ganz bestimmte Geschichte erzählen. Seine. Auch das Meer ist darauf verzeichnet. Wasser fließt in dunkelblauen Schnörkeln unter seiner Haut. Ich trage einen Gebirgszug auf der Zunge, ein ganzes aufgefaltetes Massiv. Seine scharfen Kanten sind im Alltag gut versteckt. Doch immer wieder herrscht Steinschlag hinter meinen Zähnen. Bei Wut, bei Hunger oder Durst. Dann brülle ich kehlige Laute. Ich esse ein Gutti, trinke ein Kracherl oder leere einen Pfiff.
Wenn meine Tochter Treppe meint, sagt sie Dräppe. Wenn sie durstig ist, sagt sie: „Mama, bitte ein Gedränk.“ Kracherl sagt sie praktisch nie. Neulich haben wir einen Maulwurf gesehen, auf den Steinfliesen unter der Dräppe. Der Kater hatte ihn im Maul und dort aus Versehen gedroppt. Dieses Wunderwerk von einem Tier – samtenes Fell, Schaufelhände, winziges rotes Näschen – hat uns beide tief berührt. Es begann auf der Stelle zu graben.

Other Writers trifft Café Entropy: Elisabeth R. Hager im Fräulein Wild, Berlin

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

Baby im Café Museum

Herr Ober?
Herr Ober, die Karte bitte.
Herr Ober! Herr Ober!? Hunger hab ich!
H U N G E R!!! Verdammte Scheiße! Ich heul’ gleich!
HEERRRRR OOOOBBBBEEEERRRRRRRRRRRRRRR!
Ah, danke. Besteck? Nein, das ess’ ich mit den Händen. Danke vielmals.
Ach. Herr Ober? Herr Ober, da ist mir leider gerade … Ja. Mhm.
Alles nass. Sie sehen ja selber, was passiert ist. Dürfte ich …
Danke, Herr Ober. Ich glaub, ich nehm dann doch die Schnabeltasse.
Mhm! Herr Ober, ganz vorzüglich heute wieder, der Babyccino!
Und diese Servietten! Mhm! Auch nicht zu verachten.
Oh. Herr Ober. Eine weitere Unpässlichkeit …
Herr Ober? HERR OBER!!!
Die Windel ist voll!!!!

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du Kinder hast?
Lange Jahre waren Cafés für mich Denk- und Arbeitsräume, Knotenpunkte in der Stadt, an denen ich mich niederlassen konnte zum Schreiben, Reden, Rauchen, Lachen und Diskutieren. Kaffee trank ich auch gerne, vor allem aber ging es um diesen halbprivaten Raum, der meine Gedanken stimulierte und es mir erleichterte, mich auszudrücken.
Seit ich Kinder habe, hat sich die Funktion dieser Knotenpunkte gewandelt. Ich stelle andere Fragen. Ich frage nicht mehr: Ist es hier gemütlich? Gibt es W-Lan? Gefällt mir die Musik? Und: Wie schmeckt mir der Café? Stattdessen frage ich: Gibt es einen Wickeltisch? Wie groß ist die Toilette? Stehen Gerichte auf der Karte, die die Kinder mögen? Gibt es eine Spielecke? Und: Wie laut darf man sein?

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?
Die Anwesenheit meiner Kinder (im Café) ist wie ein heiß geliebtes Störgeräusch. Sie durchtrennen nach Belieben meine mühevoll gesponnenen Gedankenfäden. Sie lenken mich kolossal ab. Zugleich bescheren sie mir viele neue Impulse. Ich bin wacher. Ich lerne mich selbst neu kennen. Und wachse jeden Tag ein winziges Stück mit ihnen. Manchmal aber bin ich temporär taub. Dann hör ich nur meine eigene Stimme. Die Kinder sind toll. Sie verzeihen es mir.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

Ja, wunderbar, aber …

… das hatten wir doch jüngst erst im Programm“, schreibt der Redakteur einer großen deutschen Wochenzeitung als Antwort auf meine Texteinreichung zum Thema Mutterschaft und Schreiben. Natürlich recherchiere ich sofort. Tatsächlich: Vor vier Monaten schrieb eine befreundete Autorin in derselben Online-Plattform eindrucksvoll über ihr Leben mit Kind, vor, während und nach der Geburt. Vor vier Monaten … Sie wählte für ihren Text eine andere Herangehensweise. Es ging um etwas völlig anderes. Natürlich, in beiden Texten werden schreibend etablierte Mütter- und Autorinnenbilder untersucht, doch unsere Anliegen, unsere Schlüsse sind grundverschieden. Besonders lustig wurde es, als mir besagte Autorin erzählte, dass auch ihr Text zuvor von anderer Stelle mit demselben Argument abgelehnt wurde.

Wie oft darf man den Themenkomplex Mutterschaft und Schreiben mit großer Sichtbarkeit verhandeln? Einmal im Jahr? Oder lieber zweimal? Wie viel Rampenlicht verdienen schreibende Eltern? Ab wann ist es dann doch zu viel? Und ist es vermessen, Raum für viele verschiedene Stimmen einzufordern? Sind die Lebens- & Arbeitsbedingungen von Autor_innen mit Kindern wirklich ein Nischenthema? Stehen sie nicht viel eher als pars pro toto für gesamtgesellschaftliche Unwuchten?

„The single story creates stereotypes, and the problem with stereotypes is not that they are untrue, but that they are incomplete. They make one story become the only story“, beschreibt die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie die Gefahr einer einzigen Geschichte in einem viel gelobten TED-Talk über „das Afrikabild“ vieler Menschen im globalen Norden. Wir alle sind verschieden. Auch Autor_innen, Mütter, Väter, Kinderlose. Das Bestehen auf diversen Perspektiven ist meiner Meinung nach keine Überempfindlichkeit, sondern ein Akt der Solidarität und Gelingbedingung für eine Gesellschaft, in der jede_r ohne Angst anders sein kann.