Mütter, die gehen (III): Zeit für ein Zeichen

Seit vor vier Monaten der zweite Text in der Reihe „Mütter, die gehen“ erschien, habe ich viele Gespräche über Mutterschaft und Elternschaft geführt, fand mich notierend, recherchierend, schreibend, beobachtend wieder.
Was mir im Austausch innerhalb von Freundinnenschaften überwiegend begegnet, wofür auch ich sensibler geworden bin, sind die Umstände, unter denen Mutterschaft stattfindet – in einer Paarbeziehung, nach einer Trennung, inmitten von vielen Auseinandersetzungen. Ich spreche mit Frauen, Müttern, Freundinnen über nachgeburtliche mentale und körperliche Verfassungen und den Anteil struktureller Ursachen daran. Wir reden über Abwertungen unserer Familien- und Sorgearbeit vom lohnarbeitenden anderen Elternteil – über fehlendes Verständnis, über die Kämpfe innerhalb von Partnerschaften hinsichtlich Kinderzeiten, Arbeitszeiten, freien Zeiten. Wir sprechen über Schuldzuweisungen, mit denen wir als Mütter nach einer Trennung und der Forderung nach einem Wechselmodell umgehen müssen, ebenso wie über die Wechsel, die kinderlose und die kinderreiche Zeit und die damit einhergehenden emotionalen Zustände und Aushandlungen mit uns. Thema ist auch die oft schwierige Beziehung von Müttern zu ihren Töchtern vice versa.
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Mütter, die gehen (II): Alexandra Kollontai

Ohne Familie, ohne Haushaltssorgen, ohne Auseinandersetzungen mit meinem Mann und ohne die Kontrolle durch meine Eltern würde ich allein, ganz für mich, als Studentin leben und mein Wissen erweitern.

Das Lesen ihrer Tagebuchaufzeichnungen wirft mich unmittelbar zurück in das Jahr 2015. Ich treffe die Entscheidung, mich von meinem Partner, Vater meiner jüngsten Tochter, und damit dem klassischen Kleinfamilienleben zu trennen und ein künstlerisches Studium in einer 58 km entfernten Stadt zu beginnen. Auch Alexandra Kollontai ist eine von ihnen. Eine Mutter, die sich entscheidet, ohne Kind und Mann an einem anderen Ort zu leben. Sie tut es für zwei Jahre. Andere Mütter leben ein Wechselmodell, sehen ihre Kinder nur am Wochenende oder kommen gar nicht zurück. Bezeichnet als „Rabenmütter“, begegnet es mir zu oft, dass Mütter, die gehen – im Gegensatz zu den die Familie verlassenden Vätern – sich erklären müssen, Vorurteilen ausgesetzt sind, es ihnen nicht ohne Weiteres zugestanden wird, auch ein Leben ohne ihre Kinder zu haben, in welcher Form der zeitlichen Ausgestaltung auch immer.

Von meiner Aufgabe ließ ich mich nicht abbringen.

Warum sollen Müttern nicht gleiche oder ähnliche Motive zugestanden werden wie den Vätern, die gehen? Selbst mich überkommt, während ich diese Sätze schreibe, nach wie vor ein ungngenehmes, unbequemes Gefühl, ausgelöst von „das gehört sich nicht, das kannst du als Mutter nicht machen, die Kinder brauchen dich, die Kinder brauchen doch ihre Mutter“. Sätze, die ich tausendfach gehört und auch geglaubt habe.

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Mütter, die gehen (I)

Ich bin 38, Mutter von drei Kindern und gegangen. 2015 verließ ich unser Haus auf dem Land, um im 50 km entfernten Ort ein künstlerisches Studium, zu beginnen.
Die darauf folgende Zeit war geprägt von Gewissensbissen, Vorwürfen, Unverständnis und – unfassbarer Entfaltung. Eine nicht gekannte Freiheit, mit der ich nach und nach lernte, umzugehen und sie zu nutzen.
Zunächst pendelte ich an den Montagen hin, freitags zurück, um die Wochenenden im Haus mit meinen Kindern und meinem Partner zu verbringen. Nachdem wir unsere Paarbeziehung ein halbes Jahr später beendeten, entschied ich mich auszuziehen und meinen Lebensmittelpunkt in den Studienort zu verlagern. Meine Kinder holte ich alle zwei Wochen an den Wochenenden sowie in der Hälfte der Ferien zu mir. Ich weiß nicht mehr, wie wir das im Detail organisiert haben – ich hatte anfangs nur ein WG-Zimmer, erst später zwei, – aber es ging. Und ich würde es wieder so machen. Heute lebe ich mit meinen Kindern im Wochenwechsel in Leipzig. Wir sind glücklich. Uns geht es gut. Und währenddessen sind wir in regelmäßigen Austausch über das Modell, welches wir leben.
Als Mutter zu gehen ist ein sensibles und schwieriges Thema, umso wichtiger, endlich in einen offenen Dialog darüber zu kommen, zu diskutieren, zu debattieren. Nicht jeder Frau ist es vergönnt, frei und bei vollem Bewusstsein für sich selbst zu entscheiden: Ja, ich will ein Kind, jetzt, in diesem Lebensabschnitt, mit genau dieser Person und mit allem, was dazu gehört. Abgesehen davon ist es bei der Entscheidung für ein Leben mit Kindern schlichtweg unmöglich, jegliche Konsequenzen mitzudenken. Auch wenn einige meiner Mitmenschen behaupten, dass ihnen das nicht passieren könnte. Nein. So etwas lässt sich nicht kontrollieren, geschweige denn vorausschauend kalkulieren. Du entscheidest dich für ein Kind, als Frau, als weiblich sozialisiertes Wesen, als Mutter, ja. Aber welchen Einschnitt es im Detail in die Beziehung zum anderen Elternteil bedeutet, wie sich diese Entscheidung tatsächlich auf dein Leben auswirkt, anfühlt, wie und ob du damit umgehst, das kann nicht mit einem Das hättest du vorher wissen müssen. abgetan werden.
Du hast dich doch dafür entschieden! Ja, wofür eigentlich?
Da musst du jetzt eben durch. Ach ja? Muss ich das?
Da musst du jetzt Verantwortung übernehmen! Ja, mache ich. Habe ich. Auf meine Art und Weise.
Und zwar indem ich als Mutter offen kommuniziere, dass ich mit der klassischen Kleinfamilie nicht mehr einverstanden bin, nachdem ich es mehrere Jahre probiert habe. Dass es mich krank macht, in einem Haus auf dem Dorf mit Mann und Kindern zu leben, ohne unter unserem Dach weitere Formen von Zusammenleben und Gemeinschaft erfahren zu dürfen.
Sei doch einfach mal glücklich!
Du solltest dankbar sein.
Aha. Sagen mir Menschen, die weder in meiner Situation noch in meiner Haut stecken.
Ja, richtig, ich brauche zum Glücklichsein mehr als meine Mutterschaft.
Und ja, bin ich. Dankbar dafür, dass ich noch mehr vom Leben erfahren möchte als Muttersein und Teilzeitjob.
Bis ich das erkannte und im nächsten Schritt den Mut hatte, das zu kommunizieren, vor meinem Partner und seiner Familie, die in unmittelbarer Nähe wohnte, schließlich auch vor mir selbst und der Gesellschaft, verging viel Zeit. Jahrelang wusste ich lediglich, es stimmt etwas nicht, das ist nicht das Leben, was ich leben möchte. Ich sehnte mich nach geistigen und körperlichen Freiräumen, nach einer anderen Aufgabe, aber vor allem nach Austausch und Verständnis für meine Gefühle und Gedanken als Mutter und Mensch.
Ich habe meine Kinder nicht zurückgelassen. Ich habe mich dafür entschieden, nicht mehr mit meinem Partner und in dieser Familie zu leben. Aber ich habe mich nie gegen meine Kinder entschieden. Mit der daraus entstehenden Reihe Mütter, die gehen möchte ich in einen Dialog kommen mit Frauen, die Ähnliches in ihren Biografien schreiben und darüber berichten, lesen, hören, wie es ist als Mutter, den Schritt zu gehen, aus der klassischen Kleinfamilie herauszutreten, ohne die Hauptfürsorge für die gemeinsamen Kinder mitzunehmen.

Ein Beitrag aus der Reihe Mütter, die gehen.