Luftholen

Einmal kurz auftauchen und nach Luft schnappen, für einige Augenblicke die Arme ausbreiten und sich treiben lassen, den Blick in den Himmel gerichtet, wolkenlos ist er und von einer Intensität, wie es mir seit Monaten nicht mehr aufgefallen ist. Ruhig und gleichmäßig atmen. Seit Monaten bin ich das erste Mal wieder in der Lage, einige Stunden konzentriert zu arbeiten, zu schreiben, ein merkwürdiges Gefühl nach diesem Frühjahr im Ausnahmezustand, nach einem Sommer voller Auf und Abs.
Jetzt sitze ich hier an meinem Schreibtisch und schaue in den Himmel, nur ein paar Wolkenfetzen, keine Flugzeuge. Ja, ein bisschen fühlt es sich an wie vor einem Jahr, als noch niemand etwas ahnte, als es immer so weiterzugehen schien mit dem Wachsen und Ausbreiten und Vermehren und Ausschwärmen, ein bisschen ist es jetzt so wie damals, als ich am Schreibtisch saß und am neuen Roman arbeitete und mir nicht vorstellen konnte, dass es so etwas geben könnte wie diese große Stille, das einmalige, tiefe Luftholen vor dem Abtauchen.
Jetzt sitze ich wieder am Schreibtisch, jetzt ist der Himmel wolkenlos und die Katze räkelt sich in den Sonnenflecken auf der Terrasse, aber trotzdem ist etwas anders. Da hat sich eine Müdigkeit im Körper eingenistet, eine Erschöpfung, die tief unter der Haut sitzt, denn er musste weiter funktionieren, dieser Körper, der Kopf, alles musste irgendwie weitergehen, Tag für Tag, Woche für Woche, plötzlich vier, fünf Körper in einem, hineingepresst, zusammengedrückt, kaum noch Luft zum Atmen, kaum noch ein Gefühl in den Fingern.
Jetzt Luft schnappen, soviel wie nur irgend geht, die Lungen vollsaugen. Die Ungewissheit, wie lange sie reichen wird, macht mich reizbar, launisch. Ich habe keine Lust mehr zu tauchen. Ich will oben bleiben, die Arme ausgebreitet, den Blick in den Himmel, keine Wolke dort oben.