vom aufstören

aufstören, irritare, excitare, turbare:
ein wespennest aufstören;
aus dem schlaf oder traum aufstören;

(Wörterbuch der Gebrüder Grimm)

vor etwa einem jahr nähert sich mein schreibprojekt du, alice dem ende. zumindest, was das schreiben anbelangt. und also beginne ich mit dem überarbeiten. lese und lese immer wieder. stelle fest, dass ich etwa 120 seiten am stück lesen muss, weil ich sonst den faden verliere, nicht überblicken kann, ob die chronologie stimmt, ob ich irgendetwas übersehen oder einfach falsch geschrieben habe. stelle auch fest, dass jene zeitfenster, innerhalb derer ich seit jahren so gut arbeite, auf einmal nicht mehr genügen. und nehme also den laptop vom schreibtisch mit in unsere küche, ein offener raum, der ort, wo wir uns als familie treffen, miteinander essen, zeit verbringen, ungestört sind. und erinnere in diesem moment einen text von julia franck, vor jahren schon in der FAZ veröffentlicht, in dem sie eindringlich beschreibt, wie schlimm sie es empfindet, wenn sie beim schreiben von ihren kindern aufgestört wird, weil sie angst vor ihrem eigenen gesichtsausdruck hat, vor dem ernst, ihrem sichtbaren abwesendsein, der gefühlten unfähigkeit, von einer welt schnell in die andere zu wechseln, und die damit verbundene sorge, wieder die kinder zu verstören, und erst jetzt, als ich meinen text nicht loslassen kann, zwischen kochen, aufräumen und sonstigem einfach immer weiter lese, überarbeite, ich irgendwie gar nicht so richtig da bin, verstehe ich, was sie meint, und schrecke auch hoch, als mein jüngeres kind auf einmal sagt, dass das schlimm sei, was ich da schreiben würde, und das entsetzen in seinem blick, und ich weiß, dass ich nur noch versuchen kann, den schreck abzumildern, vielleicht seine angst davor, nicht nachvollziehen zu können, was ein naher mensch schreibt, in sich trägt, hier offen zur schau stellt, und es liest ausgerechnet die stellen über den brustkrebs bei alice james, und fragt, warum ich darüber schreibe, was das für einen sinn macht, und warum ich so schreibe, wie ich schreibe, und ich versuche es zu erklären, versuche auch, den text mit seinen augen zu sehen, das abrupte hineinfallen, ungefiltert, versuche weiter, ihm ein wenig den schrecken zu nehmen, aber ich weiß nicht, ob es gelingt, weiß nur, dass ich froh bin, als die tage des überarbeitens vorbei sind, und ich wieder in meine zeitfenster zurückkehren kann, in denen mich kaum jemand aufstören kann, weil sie wie eine eigene welt sind und auch so funktionieren, und manchmal finde ich das gut, gerade im hinblick auf die kinder, und manchmal finde ich es schwierig und anstrengend, auch im hinblick auf die kinder, denn vielleicht ist so ein aufstören manchmal ganz gut, das herausgerissen werden aus dem eigenen text, der plötzlichen distanz dazu, und dem wichtigen versuch, das eigene schreiben zu erklären. vielleicht.