Wovon wir träumen

Früher dachte ich, unser Kinderwunsch entspringe einer gutartigen Quelle. Als Paar fröne man den Wonnen des gemeinsamen Egoismus. Mit Kind komme die Zeit der nicht immer gleich verteilten Verantwortung. Mittlerweile jedoch glaube ich, dass unser anhaltender Kinderwunsch auf etwas Tieferes zurückgeht; auf den Drang, die anderen Bewohner dieses Planeten allmählich mit Duplikaten unserer selbst zu ersetzen. Mag es statistisch auch noch so aussichtslos erscheinen – wie wenn Tempelpriester auf bessere Ernten in kommenden Mondzyklen hoffen, weil sie mit Obsidiandolchen Herzen herausschneiden. Doch wir glauben daran. Und wir träumen in der Nacht, wenn unser Kind im Schlaf zuckt, von einer uns im höchsten Maße spiegelbildlichen Erdbevölkerung.

Ein Beitrag aus der Reihe in dir menschen sehen – Texte zum Kinderwunsch.