Wenn – dann: Texte zu Routinen des Schreibens und des Alltags mit Kind

„Routinen geben Halt“ heißt es in unzähligen (Schreib- und Erziehungs-) Ratgebern.

Aber wie funktioniert dieses Zusammenspiel von Wiederholung und Variation? Wie viel (Schreib-) Routine brauchen und vertragen Kind, Text und Autor*in? Wie lassen sich Routinen des Care-Alltags  und Schreibroutinen vereinbaren? Wie verläuft der Grat zwischen Sicherheit und Langeweile, Haltlosigkeit und Innovation?

Diese und andere Fragen reflektierten die Autor*innen Sabine Schönfellner, Dmitrij Gawrisch, Katharina Bendixen, Silke Sutcliffe und Angela Lohausen in der vorliegenden Reihe. – Spannend ist die Ambivalenz, die sich in allen Texten zeigt. Die Texte erzählen gleichermaßen von der Sehnsucht nach Routine und der Sehnsucht danach, mit Routinen zu brechen. – Und oft scheint es gerade die Abkehr von gewohnten Verhaltensmustern zu sein, die uns Chancen bietet, gänzlich neue und oft bereichernde Wege einzuschlagen.

Trans it!

Babes, hört mir genau zu. Ich weiß, für viele ist es nichts neues, für einige ist es nervig, für manche bedeutet es Tod und für zu viele bedeutet es Gewalt! Die Künstlerin faulenz*A singt „Schule ist ein Gewaltraum“, ich stimme mehr als zu. Institutionen sind Gewalträume.

Mein siebenjähriges Kind erzählte mir vor einigen Tagen von einer Schulhofdiskussion. Er wurde gefragt, ob er schwul sei oder schwul und behindert, weil: wer schwul ist, sei behindert, und schwul sei ein Schimpfwort. Er fragte sicherheitshalber nochmal nach: „Mama, du hast doch gesagt, schwul ist kein Schimpfwort, sondern wenn ein Mann in einen Mann verknallt ist?“ Ich versuche umständlich zu bestätigen und ihm alles gut, aber einfach zu erklären. Das gelingt mir immer nur mäßig, aber wir sprechen. Wir sprechen über seinen behinderten Opa, über seine bisschen behinderte Mutter, über den guten Freund von Opa, der schwul und behindert ist, über meine Freund*innen, die schwul oder behindert oder lesbisch oder transident sind, und ich verfalle in meine Vereinfachung und sage, manche Leute sind „altmodisch“ und denken, ein Mann müsse als Mann mit Pimmel geboren sein und für immer männlich bleiben und eine Frau lieben, die als Frau mit Vulva und Gebärmutter geboren ist, und zusammen müssen sie dann die Keimzelle des Faschismus bilden: die Kleinfamilie. Dann flippe ich aus und rufe: „Manche Leute sind einfach scheiße.“ Mein Kind ist schon wieder beim nächsten Thema, diese neue Pokémon-Karte, die fake sei, aber trotzdem schön, und er könne damit jetzt auch angeben und nicht nur sein Freund. Ich komme gar nicht hinterher mit meinen moralisierenden aufklärenden Einordnungen („… aber du musst doch nicht angeben und wofür angeben …“). Ich höre auf zu sprechen und beiße wütend in sein restliches Schulbrot. SCHWULBROT denke ich und daran, dass ich neulich gerne alle Eltern auf dem Schulhof mit „MOINSEN IHR HURENSÖHNE“ begrüßt hätte, denn das Wort kam nun auch im zweiten Halbjahr der ersten Klasse auf. Ebenso wie Bastard („Was ist das? Bastard?“ – „Du bist ein Bastard.“) und ficken, und auch wenn wir heute Morgen am Frühstückstisch über den Versprecher „In Fickenwerder gibt es auch ein Freibad“ lachen mussten, bin ich nicht nur wütend. Ich bin so traurig über diese andauernden Debatten über misogyne Tiraden, über homophobe Äußerungen, über die Gewalt, die queere Menschen erfahren müssen, über ihre Narben und blauen Flecken, ihren Tod und über die Menschen, die das alles für frühsexualisierte Indoktrinierung halten, wenn man Kindern (und sich selbst) ein nichtbinäres Weltbild (oder Menschenbild) zu vermitteln versucht. Dabei hören die sorgenvollen MÄNNER UND FRAUEN „Ich habe ein Bordell, und der Name meiner Liebsten ist Layla, sie ist hübscher, jünger, geiler“ auf ihrem 46. Geburtstag oder lesen „In stillen Nächten“ von Lindemann. Dann lieber Katja Krasavice, die selbstbestimmt reiten möchte wie im Märchen als Schneeflittchen „Doch anstatt in ein’ Apfel beiß ich in die Eier rein.“

Babes, worauf ich eigentlich hinauswollte:

Einmal habe ich in der Kita gearbeitet und ein Junge zog seine rosa Glitzerschuhe an. Der Erzieher sagte ihm, dass er davon schwul würde. Ich fiel gradezu in Ohnmacht und ihm dann ins Wort.

Einmal hat eine Kollegin zu mir gesagt, dass Männer wie Männer erzogen werden sollten und nicht wie Frauen.

Meine Mutter hat zu mir gesagt, ich solle sportlich sein und wie ein Junge herumlaufen, aber nicht lesbisch sein, das wäre schmutzig, und auch nicht wie eine Hure aussehen.

Es gibt Mädchen- und Jungenecken in Kindertagesstätten.

Die Jungs spielen Fußball und die Mädchen spielen Pferd.

Die Jungs tragen keine Kleider (vielleicht in eurer Bubble oder mal zum Spaß), die Jungs müssen hart sein, nicht weinen. Die Mädchen sind lieb und tragen rosa. Sie dürfen zart sein.

Ganz tief in dir drin – überleg mal, was ziehst du deinem Kind an? Warum? Was spielt dein Kind? Warum? Was spielst du mit deinem Kind? Warum? Was erzählst du deinem Kind für Märchen? Warum? Wird immer die Scheiße mit der Prinzessin und dem Retter erzählt? Warum?

Babes, was ich eigentlich sagen will, wer eine offene Welt möchte, solidarisch sein möchte mit den Menschen, die queer sind, die Kämpfe kämpfen, von denen wir nicht mal ahnen können, wie sie sich anfühlen (ja, mit wir meine ich natürlich mich, relativ hetero, Cis, und die anderen aus diesen Polen des Spektrums), der transidenten Menschen ein sicheres Umfeld bieten möchte, der homosexuellen Menschen ihre Angst nehmen möchte, der muss sich stets befragen, in Frage stellen, man kann das mit diesen Regenbogenflaggen machen, wenn man das will, und es ist ein Anfang, aber man muss es im Alltag mitdenken, man muss mit dem eigenen Kind sprechen, Verantwortung übernehmen, muss sich selbst analysieren und kennen, muss lieben und zuhören und vertrauen, denn dann beginnt Transit.

Other Writers trifft Café Entropy: Selim Özdoğan, Köln

 

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

200 Meter von unserer alten Wohnung entfernt war in einem Ladenlokal eine Kita für unter Dreijährige. Wir haben sie uns damals angesehen, aber mochten die Einrichtung nicht. Dann schloss die Kita und es wurde ein Café daraus. Ein Café, in das ich häufig gegangen bin mit den Kindern. Unsere Tochter war schon in der Schule, unser Sohn ging noch in die Kita, ich holte erst sie, dann ihn ab und wir stellten den Ranzen an einem Vierertisch auf einen Stuhl und gingen dann zur Kuchenvitrine. Der Kleine stellte sich auf eine Bank, um besser sehen zu können. Dann saßen wir da, die beiden ein Stück Kuchen, ich einen Cappuccino, es gab immer etwas zu reden, es war immer friedlich.
Ich denke gerne daran zurück, weil es eine neue Art von Cafébesuch und eine neue Art von Gemeinsamkeit mit den Kindern war.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du ein Kind / Kinder hast?
Wenn ich nicht mit den Kindern bin, ist meine Zeit im Café mittlerweile fast immer begrenzt. Das war vorher nicht immer so.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn dein Kind / deine Kinder dabei ist?
Ich mag es, mit ihnen zusammen im Café zu sein, aber ich nehme sie nicht mit, wenn ich mit jemand anderem gehe.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

literaturwettbewerbe sind gesellschaftliche luftlöcher

-chor der pflegenden autor*innen*-

 

was mache ich,

wenn ich genommen werde

nicht, wenn ich gewinne, denn

wie überhaupt teilnehmen

 

meist mache ich fehler

beim lesen beim schreiben beim sprechen

bin nervös nicht wegen dem text,

(ach, der text!) hier geht es um teilhabe

konkret: überhaupt präsent sein

(warum geht es nicht auch digital?)

 

to do list vor dem auftritt:

nochmal anrufen & erklären

das einführen der sonde

die pillen der therapeutentermin

(nicht vergessen!)

bis ich alles erledigt habe

ist der auftritt vorbei

 

um mich (von der mental load)

abzulenken baue ich

luftschlösser schicke

bewerbungen zu wettbewerben

aber: was mache ich

wenn ich genommen werde

 

*pflegende autor*innen bezeichnet menschen, die neben ihrer autorenschaft andere versorgen

 

Other Writers trifft Café Entropy: Sibylla Vričić Hausmann, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

In dieser Hinsicht recht unreif, liebe ich die süßen Verführungen der Cafés. Eis, Kuchen, Waffeln, Palatschinken – letztes Jahr im Spreewald habe ich Hefeplinsen entdeckt. Ein Traum! (Ein beliebter Ausspruch von E.s ehemaliger
Grundschullehrerin, der mir wohl für immer im Kopf herumgeistern wird, um meinen Tinnitus zu übertönen … im Traum, im Traum!) Von daher passen meine Kinder und ich, was Cafés angeht, gut zusammen. Meist würde ich zwar, in ihrem Beisein, gerne noch etwas länger am Cafétisch ausharren als sie. Doch entspannt alleine dasitzen und stundenlang lesen oder arbeiten: Das klappt bei mir auch nicht. Dafür strengen mich öffentliche Räume zu sehr an.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du ein Kind / Kinder hast?

Vielleicht könnte man sagen, dass mir durch das Kinderhaben bewusster geworden ist, was es heißt, sein Geld mit einem Knochenjob zu verdienen. Servicekraft im Café gehört definitiv zu den Knochenjobs. In der Mutterrolle in Cafés gehen gefällt mir, weil ich mich dann in der Service-Kette nicht ganz am oberen, nutznießenden Ende befinde. Immerhin kümmere ich mich noch um meine Kinder – da bin ich weniger beschämt. Denn Bezahlen gilt, finde ich, nur bedingt.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?

Wir bekommen mehr allgemeine Aufmerksamkeit, verbrauchen mehr Servietten, ich muss über Softdrinks diskutieren und mich manchmal für einen Rest Eis oder Kuchen hergeben. Wenn ich mir nur einen Espresso geleistet habe, freut mich das natürlich.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

 

Es geht mir sehr gut,

sagt eine Infografik in der ZEIT. Ich bin ein dunkel- oder blasser blauer Punkt auf dem Gehaltsvergleichsstadtplan. Dunkelblau ist Premium, rot gefährlich. Wo ich wohne, da wird richtig Geld verdient – und ich darf mich im Blaupunkt-Gutverdiener-Glückshormone-Kiez so fühlen als ob. Und will nicht daran denken, ob mein Irgendwieverdienen ein echtes Supertollverdienen vom noblen Dunkelblau zu Mainstreamblau verwässert hat. Will nur daran erinnern, dass auch über hundertmarkscheinblauer Lebensstandardvisualisierung seit Wochen grauer Himmel dominiert.

Das mit den azuren Werten dürfte meinem schulanfängeralten Sohn gefallen. Und mich fragen, was meine Lieblingsfarbe sei. Und, sobald ich Antwort gegeben hätte, sagen: Ich weiß. Orange. Oder Orange bis Gelb. Wie bei den Apfelsinen, die er nicht isst, doch deren Saft er trinkt. So ein Orange dringt auch in unser Leben. Die Tulpen, die dort in Vasen stehen, wo ich gerade schreibe (und wo ich meist gerade schreibe, wenn auch verquer), weisen orange Töne auf. Und orange Punkte gehen in die Klasse meines Großen (der das „Konzept“ von Armut theoretisch kennt), und orange Punkte betreuen meinen Kleinen in der Kita. Und rote Punkte sitzen an den Kassen in den Supermärkten, und orange Fahrzeuge holen all die Hüllen ab, die wir ständig ablegen, nicht brauchen für unsere Metamorphosen vom Gleichen zum Selben. „Aber Orange!“, würde der Kleine hingerissen schreien, mit einer Handvoll Silben für Orangewerte plädieren. „Wo ist Müllauto, wo ist Kehrmaschine?“ (in Gutverdiener-Hochdeutsch übersetzt). Und ich kann oft nur sagen: Weiß nicht, hat sich im Blauen verloren. Wollen wir was malen? Am besten alles rosa. Mit orangen Sommersprossen.

Same Work But Different: Linn Penelope Micklitz

Hatte Deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch? Welchen?
Linn Penelope Micklitz: Als die Arbeit an meinem Buch beendet war, ist mein Kind wenige Monate alt gewesen. Ich schreibe eher aus der anderen Perspektive: der einer Tochter. Das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern ist Fokus im Text, den ich nicht mal bewusst anvisiert habe, er hat sich wie von selbst eingeschrieben.

Stehst Du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?
Linn Penelope Micklitz: Nein. Die Kinderbetreuung ist bei uns insofern keine Schuldfrage, als das wir von Anfang an wussten: Keine familiäre Unterstützung in Leipzig, wir müssen das zu zweit machen. Es gilt die 50-50 Regel. Wer plötzlich mehr zu tun hat, gibt rechtzeitig bescheid, dann wird umgeplant. Das betrifft uns als Selbstständige regelmäßig und ich finde es schön, dass wir einander so viel möglich machen.

Was hältst Du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für Dich stimmig?
Linn Penelope Micklitz: Nicht wirklich. Das ist mir vor allem kurz vor der Geburt bewusst geworden. Ich hatte während der Schwangerschaft zwei Mal richtig Panik, weil mich die Erkenntnis überwältigt hat, dass dieser Mensch aus mir heraus kommen muss. Dass es da kein Zurück gibt. Es ging mir da nicht um die Tatsache, dass ich das Muttersein als solches fürchtete, sondern um diesen rein körperlichen Aspekt des Ausgeliefertseins. Es gibt kein Zurück. Du wirst gebären müssen. Und zwar nicht dann, wenn du bereit bist, sondern wenn es eben losgeht. Ich kontrolliere viel, um mich nicht hilflos fühlen zu müssen. Diese Erkenntnis hat mich so hilflos gemacht, wie nichts zuvor. Bei einem Buch liegt die Entscheidung schlussendlich für alles bei dir, du kannst zumindest immer sagen: Ich mache einen Rückzieher.

Auf welches Stipendium hast Du Dich nicht beworben, weil Du Kinder hast?
Linn Penelope Micklitz: Auf so ziemlich alle, die mit einem Aufenthalt an anderen Orten einhergehen. Das kommt vielleicht wieder, wenn mein Kind drei wird dieses Jahr. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass mein Kind mir auch eine willkommene Ausrede ist. Ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch und Alltagsliebhaberin. Zu verreisen und mich irgendwo einleben zu müssen, macht mir Angst. Also eher ein Vorsatz: Wenn der dritte Geburtstag durch ist, überwinde ich mich vielleicht mal.

Welche*n other writer würdest Du gern zufällig auf einem Spielplatz treffen und worüber würdest Du mit ihm*ihr sprechen?
Linn Penelope Micklitz: Mit Ricarda Kiel über all das Kluge, was in den Briefen an Bettina Wilpert steht.

Linn Penelope Micklitz‘ Debüt Abraum, schilfern erschien im Oktober 2022 im Verlag Trottoir Noir.

Other Writers trifft Café Entropy: David Blum beim Backstein, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

Das Backstein wird für mich auf immer mit dem ersten Corona-Lockdown verbunden sein. Mit der Zeit, als die Spielplätze gesperrt waren und sogar vor den Stockhütten in den Wäldern Flatterband hing. Alles, womit sich die Kinder beschäftigen konnten, war aus dem Spiel genommen – fast alles. Denn beim Backstein gab es eine Schaukel für die kleinen Gäste, die die Flatterbandanbringer übersehen hatten. Die Kinder hatten sich für diese Schaukel kaum interessiert, wenn wir mal in der Gegend waren, das Labyrinth aus knallgrünen Kunstzweigen nebenan war verlockender. Doch in diesen Tagen, an denen gar nichts ging, wussten wir von der einzigen Schaukel der Welt. Das Backstein hatte selbstverständlich geschlossen, aber in der Auslage waren Dekobackteilchen zurückgelassen worden, die von Tag zu Tag leckerer aussahen.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du Kinder hast?
Es gibt eigens eingerichtete Kindercafés – das sagt doch eigentlich schon alles. Oder zumindest ziemlich viel. Das Konzept Café muss an die Anwesenheit von Kindern angepasst werden – beides scheint sich also zu widersprechen. Und da der Erholung- bzw. Entspannungsansatz beständig mit dem Entdeckerdrang der Kinder kollidiert, verbringe ich relativ wenig Zeit in Cafés, seitdem die Kinder da sind.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?
Nicht die Café-Zeit verändert sich, sondern die Zeit an sich. Sie kann sich unglaublich ausdehnen und doch zu knapp sein. Man ist – in Gedanken – immer einen Schritt voraus und doch zu langsam. Die Kinder mit ins Café zu nehmen, bedeutet, bereits wieder auf dem Heimweg zu sein. All das zumindest, wenn es keine gut eingerichtete Kinderspielecke gibt.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

Same Work But Different: Sibylla Vričić Hausmann

Welchen Einfluss hatte deine Mutterschaft auf die alltägliche Schreibarbeit?
Sibylla Vričić Hausmann: Mal hemmt sie mich, mal hilft sie mir, immer strukturiert sie meine Abläufe mit. Eine kurzfristig bestehende schöne Balance zwischen Schreibzeit und Freizeit mit meiner Tochter im Sommer hat dazu geführt, dass ich das Buch 2022 fertig bekommen habe.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?
Sibylla Vričić Hausmann: Ich habe die Bücher auf der Frankfurter Buchmesse von meiner Verlegerin persönlich überreicht bekommen.

Hast du das Erscheinen des Buches gefeiert? Wenn ja, wie?
Sibylla Vričić Hausmann: Ich habe mir ein Stück Frankfurter Kranz gekauft.

Wenn dich vor der Kita oder vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in deinem neuen Buch geht – wie würdest du es beschreiben?
Sibylla Vričić Hausmann: Es geht darum, wie das innere Kind mit seiner Wut fertig werden kann.

Was hältst du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für dich stimmig?
Sibylla Vričić Hausmann: Der Vergleich ist stimmig, allerdings entwickelt sich ein Buch nach seinem Erscheinen nicht mehr weiter. Es ist eben kein Lebewesen.

Sibylla Vričić Hausmanns Gedichtband meine Faust erschien im Oktober 2022 bei kookbooks.

„Tochter*Sohn“ schreiben / „Mutter*Vater“ schreiben

Mein Vater gratuliert mir zu meinem Video anlässlich des Lesens um den Dresdner Lyrikpreis. Er schreibt: „Gut gemacht, mein Sohn!“ Und ich frage mich seit langem einmal wieder, was er damit eigentlich meint? Und wen? Ich komme auf irgendwas von früher, etwas sehr Sohnhaftes, auf Dinge am Anfang meines Lebens, etwas bereits Vergangenes. Eine Verbindung, bei der ich Angst habe, dass sie auch zwischen mir und meinen Kindern irgendwann vergeht.
Ich kann die Frage nicht beantworten, wann ich eigentlich meiner Meinung nach aufgehört habe, richtig Sohn zu sein (für den väterlichen Teil). Vielleicht mit der Geburt meiner Kinder, für die sich mein Vater, also ihr Großvater, bis heute nicht sonderlich interessiert. Mit der Geburt seiner Enkel, als Großvater in Theorie, für die ihm noch mehr die Vorstellungskraft zu einer Rolle fehlt als für mich und meine Geschwister? Vielleicht habe ich mein Sohn-Sein abgegeben an meine eigenen Kinder, zusammen mit der Hoffnung, selbst Vater zu bleiben, ein Großvater zu werden, vielleicht.
Und ich wundere mich kurz über das Fehlen der Erkenntnis, über eine augenscheinliche Einseitigkeit des Verlustes, zumindest aber über die feste und doch traurige Behauptung, dass ich immer noch vollständig Sohn sei. Dabei enden unsere wenigen Gespräche seit vielen Jahren in etwas anderem als einer Übereinkunft oder einer Idee, die von einer Vater- oder Sohn-Person getragen wird.
Selten ist man machtloser als im Tochter- oder Sohn-Sein. Der Bezeichnung, der Nennung. Wir alle haben das Gefühl, in den Filmen, die wir schauen, den Büchern, in denen sich jemand von seinem Kind-Sein losspricht, freischreit, dass sie*er dies vergeblich tut. Die Biologie ist ein Steinchen, das als Totschlaghammer funktioniert, für viele ein Metallschloss mit Bolzen. Nur in wenigen Beziehungen glauben wir mehr an Biologie als hier.
Zurück zur Nachricht. Hinzu kommt, dass die Rolle als Vater für ihn ganz ausschließlich im Guten funktioniert. Immer muss man sich vor einem Stolz ducken, ein Ruhm sein ohne späteren Verdienst. Ich bin ihm nicht böse, es mangelt mir nur inzwischen selbst an Willen. Und der Resignation vor der Abwesenheit einer Abstufung dieses einen Begriffs: Vater. Weniger gibt es nicht, allein schon aus Schutz. Ich stelle mir eine Umbenennung durch meine Kinder von „Vater“ zu etwas anderem vor. Grauenhaft, ein zementierter Vorgarten als Gefühl. Es mangelt uns an Sprache aus Rücksicht.
Was bleibt, sind Versuche. Ich schreibe „Va“ im Versuch, zu entsagen, in Nuancen zu entsohnen. Es fehlt eine Alternative, eine Abstufung, in der Dinge wie Präsenz, Gegenseitigkeit, Zuneigung und Zeit Berücksichtigung finden, auch wenn sie verletzen. Denn es würden in anderen Fällen, nicht dem meinen, auch bösere Dinge eingehen.
„Retav!“, „Vraet!“. Auf beiden Seiten. „Onsh!“, „Nosh!“. Mir fehlt ein Wort für „Sohn“, das die dunkle Aufregung ausdrückt, in die ich im Bemühen um Beziehung manchmal gerate.