Denke seit Längerem darüber nach, dass ich einen Text schreiben möchte, ein Manifest, eine Streitschrift über Mütter. Und Väter. Aber ich habe Angst, dass dann jemand sauer auf mich ist, dass ihr entsetzt seid, dass ich über uns alle nachdenke, dass ich es nicht fassen kann, in welche Rollen wir verfallen. Dass ihr traurig seid, dass ich euch verrate. Ich muss aber doch tolerant sein, denke ich dann, dass jede Mutter (und ich bleibe hier bei den heteronormativen CIS-Müttern, zu denen ich auch gehöre) es machen darf, wie sie möchte. Aber dann sorge ich mich, dass ihr erschöpft seid und eure Wut verdrängt. Manche Frauen* SIND DAS NICHT. Sind nicht diese Mutter. Sind noch keine Mutter. Hätten gern ein Kind, wären sie dann auch diese MUTTER? ICH WEIß ES AUCH NICHT IMMER BESSER. Ja, alle können ihr Kind so umsorgen, wie sie möchten. IHR SEID FREI. (Seid ihr frei? Bin ich frei?) Aber ich kenne dieses Gefühl sehr gut, dass man es vielleicht grade doch lieber selbst macht, weil es schneller geht, weil man denkt, der VATER, und ja, einer dieser heteronormativen CIS-VÄTER, was denkst du dann: der kann das nicht? Wieso sollte er es nicht können? ER kann das und er muss das, denn immerhin hat er seinen erigierten Penis mit großer Lust von deiner feuchtroten Vagina einlullen lassen, KERNSCHMELZE, und dann ist es, wie es ist: anders. Und dann hat man nämlich neun Monate Zeit – Zeit zu lesen und zu reden und sich aufzuteilen. Wer kann was, was gibt es für Möglichkeiten? Wie kann man als Vater, ja, du, VATER, aktiv denken, handeln und sich kümmern. Wie kann man die Elternzeit so organisieren, dass du, VATER, ein halbes Jahr Elternzeit nimmst? Egal Geld, egal Stillen (und ich weiß genau, Geld und Stillen sind sowas von nicht egal), EGAL Mama, wenn du sagst, du möchtest aber gern die Elternzeit zu Hause, DENN wieso solltest du, MAMA, mehr Recht darauf haben, diese wunderschöne Zeit mit dem Kind zu Hause zu haben? WARUM SOLLTEST DU, PAPA, nicht wissen, wie es ist, wenn das Kind sich hochzieht am Möbel und dich anstrahlt, dabei vor Erschöpfung nicht mehr zu spüren, wer du bist und wann du deine Haare gewaschen hast? Und dann sendest du deiner Partnerin eine MMS und sie ist ein bisschen sehnsüchtig und schickt ein Herzemoji zurück. Und abends weiß Person nur ein bisschen, wie es ist, den Anforderungen der Lohn-/Care-Arbeit zu entsprechen, und man MUSS SICH EINFÜHLEN und reden und streiten und weinen, und jetzt habe ich Angst, dass jemand verletzt ist, weil klar, kann man auch fünf Jahre stillen und das Baby nicht in die Kita bringen. Klar, kann man alles so machen, wie man will, ihr Wolleseidefreaks, aber ich frage mich, warum man sich so oft nicht sagt, was man braucht, und warum man diese Struktur nicht aufbrechen kann? Die Elternzeit, davon bin ich überzeugt, ist der Anfang, der alles bestimmt. Danach geht es erst richtig los, Freunde. Alles muss klar sein. Es ergibt sich nicht automatisch und romantisch. Es ergibt sich so, wie es sich seit langer Zeit eingeschliffen hat.
Ich hab doch keine Ahnung, was besser für wen ist, aber ich kämpfe dafür, dass man diese Struktur nicht nur durchbricht, indem man drüber spricht, sondern indem man TUT. PLANT. KOMMUNIZIERT, STREITET. Ohne Anstrengung keine Veränderung. Aber ohne Anstrengung auch eh nichts. Die ausgetretenen Pfade sind nicht die besseren.
Ihr könnt jetzt auch sagen, halt’s Maul, Jenny, Verräterin. Aber ich will niemanden verraten. Ich will doch nur ein bisschen an dem System kratzen, das sich bei uns eingeschlichen hat. Oder eigentlich: ich will es umstürzen. Ganz klein, ganz von unten und von der Seite. Wir machen das zusammen.
Übrigens: weiß, studiert, Arbeiterkind, Wessi, Eltern mit Behinderung, angelerntes kulturelles Kapital: vorhanden. Minderwertigkeitskomplex: vorhanden. Heteronormative Kleinfamilie: am Start.
Eine Freundin meinte neulich, als ich sie fragte, wie ich diesen Text schreiben soll, er solle nicht so aggressiv sein, eher beobachten, beschreiben. Leute, das kann ich nicht.