Take Care: Slata Roschal & Nora Zapf (II)

Stimmt, noch nie hab ich mich schneller in Bücher gestützt (und wieder raus) als jetzt, als würde man beim schnellen Autofahren hinten verwirrt die Hand in den Fahrtwind halten und wie nebenbei versuchen, paar Löwenzahnsamen zu fangen. Paar bleiben kleben! Beim nochmal Lesen unseres bisherigen Wechsels fallen mir zwei Sachen auf. Einmal macht es mir nämlich ein schlechtes Gewissen, „Kreischen“ geschrieben zu haben, wo eher „Quietschen“ gemeint war, einfach weil Laute von Babys sowas wunderbar Heraushüpfendes haben, was Trampolin Testendes, aber auch Angst, Wut, kleine Verzweiflungen natürlich. Und so ist es eben: froh werden und staunen an jedem neuen Eck Welt, und nicht vergessen, ich spreche nicht nur von mir, sondern über jemand anderes, (Schreiben schon auch als zu bezweifelnder Machtakt) der noch nicht zurückschreiben kann, der wie eine Folie von außen (von mir) über seine kleinen Handlungen gelegt bekommt schon jetzt, die er bzw. sie nicht will vielleicht. Nicht wollen wird? Wie Fotos, die ich von ihm postete, die ich aber nicht poste … Weil das, was wir mit den Informationen über das Leben von jemandem anderes anfangen, wirkt ja nicht nur auf uns, sondern auch immer auf sie zurück. Und trotzdem sollte man darüber sprechen. Aber ich versuch es jetzt mehr von der Sicht bei mir zu behalten. Und das andere: es gibt solche Wörter, die legen einem schon beim Sagen ein Gähnen in Mund, wie „Krabbelgruppe“, „Elternbeirat“, „Mütter im Briefwechsel“. Das kann ich gut verstehen: selbes Gähnen überkam mich früher oft beim Ansprechen dieser Sachen, ich wollte nicht weiter zuhören…, öffnete den Mund mit dem Wort in Stellung: Verantwortung, Langeweile, Immer-Selbes, Nichtausflippen dürfen… und jetzt beim Spiel? Ich steige ein ins Gähnen, die Zähne hoch, dem Speichel nach ins Innere Rot.

Nora, 05.03.22

 

Was definitiv neu ist, ein fürsorgliches Gefühl, das mich in Bezug auf fremde Menschen, vor allem Jungen und junge Männer ergreift. Es lässt mich Kontexte falsch deuten oder unnötige Verantwortung übernehmen, selbst Gleichaltrige sehe ich nie als Männer an. Stehen Schulkinder am Bahnhof zu nah an der Abstandsmarkierung, spannt sich mein Körper, ich bin bereit, notfalls zu springen, sie von den Gleisen zu zerren. Ich biete einem Gast, der einigermaßen mein Sohn sein könnte, unbedingt etwas zu essen an, spüre süßes Mitleid und ehrliche Sorge. Ansonsten mag ich keine Menschen und meist ist auch diese Regung umsonst, die Kinder treten von selbst vor der hupenden S-Bahn zurück, der Gast ist genervt, am Ende habe ich doch nur ein Kind, und es reicht mir eigentlich auch.

Slata, 06.03.22

 

Ja… ich lese zu Fehlgeburten, dazu, dass Geburten für viele mit Leben zu tun haben. Sie stehen aber dem Tod ganz nah, ich musste daran denken, dass früher eine Schwangerschaft in vielen Fällen gleich war mit dem frühen Tod der Frau: das Wachsen deines Bauches hieß dann in so-und-so-viel Prozent der Fälle, dass du deinem Tod entgegenwächst und vielleicht dem des Kindes. Beeindruckt hat mich da immer die Geschichte von Paula Modersohn-Becker, die dringend Kinder haben wollte, obwohl sie schon ahnte, dass da mit dem Kind der Tod in ihr leben würde. Wie viele Bücher wurden nicht geschrieben, weil ihre Autorinnen viel zu früh im Kindsbett gestorben sind? Wie viele Bilder nicht gemalt? Ich bin froh um unsere Kliniken, um deren Ausstattung. Meine Ärztin war großartig, ich würde ihr gern eine Büste bauen: sie hat viel gelacht und gleichzeitig sehr klar gemacht, wie ernst die Situation schnell werden kann. Die Zeit nach der Geburt ist manchmal auch eine düstere, sehr von Angst gezeichnete Zeit, mit allem Möglichen, dies kleine Lebewesen ist so krass auf Hilfe angewiesen, dass es jederzeit fallen oder austrocknen könnte, was über Schwangerschaft genauso ungewiss hängt wie über dem gerade herausgepressten Körper, und die Fürsorge, die du ansprichst, kann bei mir schnell kippen in Panik und selbst Handtuch-oder-Decke-Werden-Wollen, die sich um den Säugling wickelt, um ihn zu schützen, kann fallen in eine ständige innere Anspannung, dass ja der kleine Mund weiteratmet, dass ja die kleine Hand weiter greift, alles andere verschwindet dahinter, auch der eigene Durst, bis man irgendwann merkt, wie sehr der Rücken schmerzt. Lang merkt man nichts.

Nora, 04.04.22