Ich sitze auf dem Spielplatz mit anderen Eltern. Die Kinder spielen zusammen. Manchmal in gemischten Gruppen, manchmal in Jungs- und Mädchengruppen. Die Eltern reden die ganze Zeit von Jungen und Mädchen. Dabei höre ich eigentlich nur Negatives über das männliche Geschlecht: Jungs hauen sich (immer), Jungs ziehen sich immer aus, Männer ziehen sich immer aus, Jungs machen sich zum Horst, Jungs ärgern die Mädchen, Jungs sind aggressiver als Mädchen … das alles von Eltern, die selbst Söhne haben. Z.B. von denen, die mir neulich erzählten, ihr Sohn stehe immer vor dem Legoladen und wolle Anna-und-Elsa-Lego haben. Aber sie würden ihm doch kein Mädchenlego schenken! Oder von einer ehemaligen Erzieherin, die der Meinung ist, Jungs hätten mit vier oder fünf Jahren einen „Testosteroneinschuss“. Ich habe das nachgelesen. Es stimmt nicht.
Ich sitze auf dem Spielplatz und platze innerlich. Diese ständige Reproduktion von Geschlechtervorstellungen im Alltag macht mich so traurig und wütend. Ich mag es ganz und gar nicht, immer die Mutter zu sein, die die unbequemen Rückfragen stellt, die von der Ausnahme erzählt, die von anderen Normen ausgeht … manchmal schweige ich mich dann aus. Diesmal atme ich tief durch. Recherchiere nochmal den Testosteronartikel, erzähle von meiner Ansicht, dass das ein modernes Ammenmärchen ist, dass Geschlecht konstruiert ist und wir unsere Kinder durch und durch beeinflussen, dass die Gesellschaft uns durch und durch formt und dass Jungs nicht automatisch aggressiver sind als Mädchen, dass man (Vor-)Urteile reproduziert, wenn man über „Jungen“ und über „Mädchen“ spricht, dass die Kinder gar keine andere Chance haben als ausgetretene Pfade zu beschreiten … während im Sandkasten ein Mädchen einen Jungen auf den Rücken schlägt.
PS: Muss an ein Lied denken. Hund am Strand, 2005:
Wir könnten einen Ausweg propagieren
Wir schocken die Systeme und sie könnten explodieren
Dann könnten wir die Liebe weitergeben
In andere und eigene Leben
Alle Jungen*, alle Mädchen*
Zieht eure T-Shirts aus
Yeah Yeah!