Masken

Wir müssen uns jetzt noch viel mehr als vorher auf unsere Augen verlassen. Es ist so schwierig zu sehen, wer hinter der Maske noch lächelt. Über den dreiundzwanzig Masken dreiundzwanzig Augenpaare. Manche Kinder meiner Klasse tragen süße selbstgenähte Masken mit Dinosauriern oder Einhörnern, manche, so wie ich selbst, die lieblosen blauen OP-Masken, die im 50er-Pack aus dem Internet kommen. Einem Kind beschlägt ständig die Brille. „Ihr dürft sie jetzt abnehmen“, sage ich, „aber nicht auf den Tisch legen. Ab damit in die Tasche.“ Die Kinder verstauen die Masken irgendwo am Körper oder im Rucksack und beginnen, Spaghetti Bolognese in sich reinzuschaufeln. Neben uns essen drei weitere Stöpsel-Klassen in der Mensa. Es gibt nur wenige Fenster. Einige Straßen weiter sitzen meine eigenen Kinder in ihrem Kindergarten. Mittagessen gibt es dort seit Wochen nicht mehr. Personalmangel. Die zweite Lunchbox für die Große, die als Ersatz dienen soll, habe ich heute vergessen, weil der Kleine geschrien hat. Wenn man sich in der Mensa unterhalten will – und das wollen alle –, dann geht das nur sehr laut. John-Lukas erzählt von Minecraft. Spaghettifetzen fliegen aus seinem Mund auf Leons Teller. Leon will sich beschweren und wirft sein Glas um. Er darf nicht selbst sauber machen. Das Mensapersonal kommt, wischt und sprüht mit Desinfektionsmittel um sich. Aerosole landen auf meinem Teller und hinterlassen einen bitteren Geschmack. Majas Eltern beschweren sich, weil ich im Unterricht zu viel, Luisas Eltern, weil ich zu wenig lüfte. Luisa sitzt am Tischende und starrt auf ihren Teller. „Was ist denn los?“, frage ich. Sie zuckt mit den Schultern, sie hat ihre FFP2-Maske nicht abgesetzt. „Hast du Angst, dich anzustecken?“, frage ich. Sie nickt. Ich weiß nicht, was ich ihr raten soll. Vor zwei Wochen gab es drei Fälle in meiner Klasse. Eine Woche zuhause, das war’s. Das Gesundheitsamt ist kaum zu erreichen. Tests werden wenn, dann freiwillig gemacht und bezahlt. Währenddessen Angst, die eigene Familie, meine Kinder oder sonst wen angesteckt zu haben. Abends die Übersetzung der Unterrichtsstunden ins Digitale und kaum noch Zeit für das Buch. Das Buch, das fertig werden soll trotz Job und Masken und Kindern. Luisa holt ihre gelbe Brotdose mit Minion-Motiv aus dem Rucksack. Sie neigt ihren Teller und kippt einen Teil der Nudeln hinein, neben ein angebissenes Stück Apfel. „Für später“, sagt sie und schließt den Deckel. Ausnahmsweise lasse ich sie gewähren. Es klingelt. Wir müssen weiter. Die Kinder setzen die Masken wieder auf und sortieren die Tabletts in den Wagen.