Rarely Asked Questions: José F. A. Oliver

Wieso beschäftigen sich derzeit so viele Neuerscheinungen mit Mutterschaft? Und wieso kommt Vaterschaft als Thema seltener vor, oder ist das gar nicht so?
José F. A. Oliver: Ich vermute, dass die „traditionellen“ Vorstellungen von Familie und deren überlieferten Rollenverteilungen (Mutter/Kind/Vater) oder (Kind/Mutter/Vater) in unseren gesellschaftlichen Breiten immer noch am stärksten ausgeprägt sind im Vergleich zu anderen Bindungen des Zusammenlebens. Insofern, voilà: die „Mutterrolle“, und voilà: die „Vaterrolle“. Zumindest hier im ländlichen Raum nicken die meisten Menschen sicherlich ohne großen Erklärungsbedarf, wenn beispielsweise das Wort „Mutterschutz“ zur Sprache kommt … „Vaterschutz“ ist dann doch (noch) eher selten anzutreffen – als Begriff – und in der Tat. Wenngleich es immer mehr Väter gibt, die sich für eine „Elternzeit“ entscheiden. Vielleicht trägt diese sich verändernde Wirklichkeit der nicht mehr so absolut zugewiesenen Aufgaben künftig dazu bei, dass auch mehr zu den „Vaterschaften“ und deren Herausforderungen publiziert werden wird. Überhaupt sollte – nein, muss man über viele Begrifflichkeiten nachdenken, die mit dem Bedeutungshof des Wortes „Familie“ zusammenhängen. Ab wann und unter welchen Aspekten ist jemand Familie? Das wäre nur eine der vielen Fragen.

Stehen schreibende Väter vor anderen Problemen als schreibende Mütter?
José F. A. Oliver: Je nachdem, welche Aufgaben sie als Väter oder Mütter in der Verantwortung für das gemeinsame Kind übernehmen. Kümmern sie sich in erster Linie um das Kind oder um ihre Berufe, oder können sie beides gar miteinander vereinbaren? Letzteres stelle ich mir schwierig vor, wenn nicht gar schier unmöglich. Es kommt natürlich auch auf das Alter des Nachwuchses an. Sind die Kinder im Babyalter, in dem sie noch gestillt werden, beispielsweise. Väter können ja nicht stillen – zumindest nicht auf natürlichem Weg, ich meine von den körperlich-biologischen Voraussetzungen her. Wenn die Kinder dann größer sind, stellen sich wahrscheinlich dieselben Probleme ein, wenn sich die Väter um die Kinder kümmern und die Mütter einem Beruf nachgehen: Wann Zeit finden, um zu schreiben, wenn das Kind noch nicht im Kindergarten ist, beispielsweise. Tatsache ist aber auch, dass sich bisher weit weniger Mütter (in einem bestimmten Alter) um ein Aufenthaltsstipendium des Hausacher LeseLenzes beworben haben als junge Väter. Ist das Zufall oder Ausdruck gesellschaftlicher Wirklichkeiten?

Kann der Literaturbetrieb familienfreundlicher gestaltet werden, und wenn ja wie?
José F. A. Oliver: Er kann nicht nur, er muss (!) familienfreundlicher gestaltet werden. Eine Möglichkeit wären „freie“, d. h. ortsungebundene „Familienstipendien“ für Autor*innen, ohne Auflagen und, wo es entwickelbar wäre, ohne Präsenzpflicht. Im Rahmen des Hausacher LeseLenzes arbeiten wir an diesem Vorhaben und versuchen ein solches „Familienstipendium“ in Hausach zu realisieren. Ich hoffe, dass uns das in den kommenden Jahren gelingen wird. Es ist eine Herausforderung, weil das Bewusstsein bei den meisten Geldgeber*innen oder Förderinstitutionen fehlt, dass viele Autorinnen, ja, vor allem Autorinnen, ein Stipendium nicht antreten könne, weil sie die Verantwortung für ihre Kinder tragen oder sich gar nicht erst bewerben … Die Gründe liegen, wie bereits erwähnt, auf der Hand.

„Wir hatten schon Stadtschreiber*innen, die im Garten ein Zelt für die Familie aufgestellt haben“, antwortete uns eine Kulturbehörde, als wir uns erkundigten, ob man zum Aufenthaltsstipendium mit Familie anreisen kann. Haben Sie ein Zelt für uns?
José F. A. Oliver: Immer. Wobei ich Nicht-Zelt-Lösungen vorziehe. Das Bewusstsein prägt auch die Architektur der Phantasie. Im Augenblick lebt der Amanda-Neumayer-Stipendiat des Hausacher LeseLenzes für Kinder- und Jugendliteratur in der Hausacher Stipendiat*innenwohnung, und zwar mit seiner Familie. M. ist fünf Monate alt … Tobias Steinfeld und seine Frau und das Baby sind ganz ohne Zelt hier und es funktioniert, ohne dass sie den Garten zum Schlafen benutzen müssen.

José F. A. Oliver lebt als Autor in Hausach, wo er 1998 den Hausacher LeseLenz gegründet hat, den er seitdem leitet. Der Hausacher LeseLenz vergibt jährlich auch drei Aufenthaltsstipendien.