Wenn ein Mensch bilingual sagt, kann vieles mitschwingen, unter anderem sein Bildungsgrad. Doch wenn man einfach zweisprachig sagt, schwingt auch noch viel mit, zum Beispiel der Eindruck von Exklusivität. Uuuh, zweisprachig, das sind nicht viele, das ist etwas Besonderes. Man kann sich bewusst machen, dass es umgekehrt ist: Menschen, die nur eine Sprache können, sind global gesehen in der Minderheit. Über die Hälfte der Weltbevölkerung spricht zwei oder mehr Sprachen. Das ist die Norm. Die ändert sich nicht, nur weil die eigene Umgebung sie vielleicht verzerrt.
Der Mensch kann problemlos zwei oder mehr Sprachen lernen. Es ist nicht schwerer, als eine zu lernen, und es führt auch nicht zu besonderen Herausforderungen oder Verzögerungen oder gar Komplikationen in der Sprachentwicklung.
Doch es ranken sich Mythen um den Spracherwerb. Und diese Mythen sind auch abhängig vom Ansehen einer Sprache in einer Gesellschaft. In Deutschland werden Eltern, deren Kinder Englisch und Deutsch lernen, seltener mit diesen Mythen konfrontiert als Eltern, deren Kinder neben Deutsch auch Albanisch oder Arabisch oder Aramäisch lernen.
Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch genießen Ansehen. Zweisprachigkeit ist dort positiv besetzt. Türkisch, Farsi oder Tamil genießen weniger Ansehen und Zweisprachigkeit führt da tendenziell zu Problemen. Mit dem Spracherwerb, mit der Integration, mit der Identität. Sprachen werden nicht als gleichwertig betrachtet. Obwohl jede einzelne wunderbar funktioniert, wenn es darum geht, dass die Sprechenden miteinander kommunizieren. Die Sprachen erfüllen ihre Aufgabe alle gleich gut. Dennoch wird die eine gerne als nützlicher und wertvoller betrachtet als die andere. Doch was sie mit einem Menschen machen und was ein Mensch mit ihnen macht, ist ziemlich ähnlich.
Wenn wir es nicht mal schaffen, Sprachen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, wie sollen wir das mit den Menschen hinkriegen?