Same Work But Different: Julia Weber

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch?
Julia Weber: Ja. Die Vermengung ist unter anderem ein Buch über Mutterschaft, auch meine Mutterschaft, aber auch über die Kunst, meine Kunst und wie diese zwei von der Gesellschaft sehr getrennt gehaltenen Angelegenheiten in einem, meinem Leben ihren Platz finden können.

Hatte deine Mutterschaft Einfluss auf die alltägliche Schreibarbeit?
Julia Weber. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, die dahin flossen. In denen ich am Morgen und bei drei Tassen Kaffee darüber nachgedacht habe, was noch passieren könnte. Diese fliessende Zeit im Schreiben gibt es nicht mehr, seit ich Kinder habe. Es gibt das Einteilen. Das Raum schaffen für die Kunst. Das Kinder betreuen und Kinder lieben. Das randvolle, gute Leben.

Was hast du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?
Julia Weber: Die Belegexemplare habe ich im Verlag abgeholt, mit meiner Tochter Romy, die zwei ist und auch sehr schnell, sie hat alle anderen Bücher des Verlages aus den Regalen genommen und hineingebissen.

Wenn Dich vor der Kita oder vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in Deinem neuen Buch geht – wie würdest Du es beschreiben?
Julia Weber: Um das Erkämpfen der Weichheit. Um Weiblichkeit. Um Traurigkeit. Um die Augenblicke des Glücks und wie alles das mit der Kunst und dem Mutter- und Menschsein zusammenhängt.

Stehst Du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?
Julia Weber: Heinz Helle und ich haben es so legen können, dass mein Buch im Frühling erscheint und seines im Herbst. So kann ich an Lesungen gehen und er bleibt bei den Kindern und er geht dann im Herbst, während ich zu Hause bin. Wenn es sich überschneidet, dann müssen wir organisieren, die Kinder mitnehmen, Eltern oder Freunde anfragen.

Auf welches Stipendium hast Du Dich nicht beworben, weil Du Kinder hast?
Julia Weber: Auf alle, ausser ein Stipendium am LCB am Wannsee, bei dem ich mich sehr willkommen gefühlt habe mit meinen Kindern (meine ältere Tochter Nelly hat manchmal auf Zahnstocher aufgespiesste Melonenstücke ins Büro des LCBs gebracht), und Heinz Helle hat sich bei der Villa Massimo in Rom beworben, dort gehen wir nun von Juli bis September hin.

Der Roman „Die Vermengung“ erschien im April 2022 im Limmat Verlag.

Ei

Eines Tages trat ich aus dem Haus und wünschte mir ein Kind. Ich sah in die Sonne, direkt in die Sonne hinein und dachte, ich brauche mich wieder mehr als Haus, ich brauche ein Kind, das in diesem Haus mit mir wohnen kann. Keine Reisen in das ländliche Rumänien, keine Kunstprojekte ohne Geld und mit vielen selbstgedrehten Zigaretten, keine aufreibenden Nächte, keinen Kater danach, neben mir im Bett liegend am Morgen, der nach Gin riecht. Ich hatte dieses Bild in meinem Kopf, ich mit kugelrundem Bauch, ein Kleid mit nettem Muster tragend, es ist Sommer und ich falte die Hände auf dem kugelrunden Bauch und ich gehe still und in mir ruhend über einen Kiesweg hinweg dem Institut entgegen, an dem ich studiere. Immer nur dieses eine Bild. Der Bauch, ich, das Muster auf dem Kleid und die Finger am Bauch und das Kies, das Geräusch der Kieselsteine unter meinen Füssen. Dann wurde ich schwanger; und ich fiel aus mir heraus, lag wie ein ausgelaufenes Ei am Boden.

Ein Beitrag aus der Reihe in dir menschen sehen – Texte zum Kinderwunsch.

Nach jeder Wehe …

… habe ich Baumwipfel gesehen. Jedes Mal, wenn der Schmerz vorüber war, schwebte ich über einem unüberblickbaren Wald, weit und weich, unendlich die Baumwipfel der Blautannen. Sie gingen im Wind hin und her.
Nach jeder Wehe, sagte ich, ich habe die Baumwipfel wieder gesehen. Wie gut, da bin ich froh, sagte er neben mir und versuchte die gleichen Baumwipfel zu sehen. Wie sahen sie aus? Fragte er. Sie waren weich, sie bewegten sich im Wind, hin und her, vielleicht auch im Wasser, im Gang der Wellen, hin und her. Sie waren viele, sagte ich, ich sagte das durch viele Stunden. Wir sind auch viele, sagte er und drückte seine Handflächen an meinen Rücken. Jetzt, die Wipfel. Sagte ich. Gottseidank, sagte er.
Wir versuchen alles, was Familie ist, zu teilen. Ich und er.
Nicht alles ist teilbar. Wissen wir.
Das nicht Teilbare versuchen wir zu beschreiben. Das ist dann auch unser Beruf.
Eine Möglichkeit das Unteilbare zu teilen.

Blaue Baumwipfel zum Beispiel, nach Wehen, die hin und her gehen im Wind.

Ein Beitrag aus der Reihe Etwas von Schiefer. Texte zur Geburt.

Wir haben eine …

… Fehlüberlegung gemacht. Heinz und Ich. Das war noch vor Corona. Und dann hat es sich aber in diese Zeit hinein gelegt. Wir dachten, vielleicht sogar etwas romantisch, dass, wenn beide ihre Kunst machen wollen und sollen, dann teilen wir unseren Tag danach auf. Wir dachten, ja, die Kunst, die brennt in uns, die muss gemacht werden. Und wir sagten, das ist schon einige Jahre her, dass wir uns nicht danach bemessen, mit was wir wie viel Geld verdienen, wer darum wie viel arbeitet und wer weniger verdient und darum mit dem Kind, damals, und den Kindern, heute, sein soll. Wir sagten, es ist egal. Wir sagten, die Hauptsache ist, dass wir die Kunst machen, die wir machen müssen, die in uns sitzt und die herauskommen muss und die uns erst lebendig macht und überhaupt, zu einem vollständigen Menschen. Das dachten wir, und tun wir eigentlich noch immer. Also haben Heinz und ich beschlossen, dass jede und jeder von uns einen halben Tag arbeitet und einen halben Tag mit den Kindern ist. Halber Tag auf einen ganzen Tag gerechnet hiess dann bei uns 8 Stunden. Also eine von 8 bis 16 Uhr und der andere dann von 16 bis 24 Uhr. So machten wir es, was dazu führte, dass wir uns nicht mehr sahen, was dazu führte, dass wir auch nicht mehr redeten, was dazu führte, dass wir müde waren. Und wenn man müde nicht mehr redet und dann sich aber am Abend im Schlafzimmer begegnet, dann gibt es meistens Streit. Der Streit, der ging dann ungefähr so.

Aber ich habe gestern die ganze Wohnung und du hast am Nachmittag gar nichts.
Aber ich habe diese Auftragsarbeiten immer und damit das Geld und du immer nur an deinem Roman, in die Tiefe gehend und selber suchend und wunderbar, aber eben kein Geld mit tiefen Gedanken.
Aber ich habe gedacht, dass wir das so machen, dass jede und jeder seine Kunst.
Aber ich habe gedacht, das darf ich auch, aber ich muss ja Geld für Kinder und Essen und dann an meinem Halbtag auch noch die Wäsche waschen.
Aber ich habe dir Wäsche gewaschen.
Aber ich habe die Kinder auf die Welt gebracht.
Aber ich stehe jetzt, nachdem die aus dir heraus gekommen sind, jeden Morgen um sechs mit ihnen auf.
Aber ich habe sie neun Monate herumgetragen und auch das herauskommen war so anstrengend wie ein Leben lang um sechs Uhr aufstehen.
Aber ich kann nichts dafür, dass ich keine Kinder gebären kann.
Aber du könntest wenigstens das Klo putzen.

Und bevor wir dann beim, „Aber du wolltest ja Kinder“ waren. Sind wir eingeschlafen, weil wir müde waren, und wir haben die Fehlüberlegung korrigiert. Wir schreiben beide weniger, dafür trinken wir Kaffee am Morgen und das eine Kind ist dabei ein Tiger, dem anderen küssen wir den Bauch.

Jetzt kommt schon …

… das erste Problem, das genau mit dem zusammenhängt, worum es bei euch geht. Eigentlich wollte ich über den Ausdruck „Bei ihr kommt die Arbeit an erster und die Familie an zweiter Stelle“ schreiben, der mich traurig machen kann. Als würde ich als arbeitende Mutter mich entscheiden müssen, ob ich Mutter sein will oder Schriftstellerin. Als wären diese beiden Positionen im Leben ein derartiger Widerspruch, dass, wenn man das eine gerade lebt, das andere nicht mehr existiert, als würde das eine das andere ausschließen. Darüber wollte ich schreiben, dass mich dieser gesellschaftliche Ausschluss der Kunst innerhalb einer Mutterschaft und umgekehrt so verunsichert, dass ich sowohl an mir als Mutter als auch an mir als Schriftstellerin zweifle. Und ich wollte schreiben, wie wütend mich das macht, denn es ist meine Energie, die ich aufbringen muss, die ich vergeude, für etwas, das in unser aller Köpfe nicht mehr so getragen werden soll.
Ich habe aber die Winterferien vergessen, die es bei uns nun gibt und die bedeuten, das ältere Kind ist nicht in der Schule, und somit müssen wir uns ein bisschen neu aufteilen. Heinz fährt nach Bremen, um zu unterrichten, und ich schreibe normalerweise dann, wenn die kleine Tochter schläft, nun fahre ich aber weg mit den beiden Kindern, damit die ältere Skifahren kann, und dort könnte ich dann erst schreiben, wenn beide im Bett sind, und dann bin ich aber wohl auch sehr müde.
So ist es mit den Kindern.