Nebel liegt auf dem Fluss. Es ist kurz vor acht. Vor nicht mal zehn Minuten sind wir uns schon mal begegnet. Auf dem Platz vor der Schule hast du mir noch zugelächelt, hier aber streift mich dein Blick nur sehr schnell, wie das vorbeirauschende Wasser. Du hast zwei Hundeleinen um den Bauch gebunden, daran hängen Tiere, die dir davon jagen, du fliegst nahezu hinterher. Andere würden das joggen nennen.
Täglich haben wir Kontakt, schriftlich, auf dem Telefon, du und ich. In der Whatsapp-Gruppe fragen wir gegenseitig Hausaufgaben ab, die unsere Kinder vergessen haben. Das alles geschieht mehr oder weniger anonym. Selbstverständlich hat jede von uns alle anderen Mütter mit Namen gespeichert, aber wir tun, als spiele das keine Rolle, als würden wir uns gar nicht kennen. Nur manchmal, so wie vorhin vor dem Schultor, lächeln wir uns heimlich zu. Auch du tanzt mit, im tagtäglichen Mutterballett, und deine Schritte beherrschst du gut. So wie die Hunde, die du jetzt zurück rufst, weil sie laut bellen. Dass die Sohlen durch sind, die Rücken schmerzen, das Lächeln aufgesetzt, wissen wir, sprechen aber nicht darüber. Keine von uns. Wir schreiben nichts über unsere Müdigkeit, unsere Hilflosigkeit, unsere Ratlosigkeit oder Verzweiflung. Wir erwähnen nie, dass wir nicht mehr weiter wissen, weil die Kinder schon wieder nicht nur das Hausaufgabenheft in der Schule vergessen haben, sondern auch das Bruchrechnen nicht gelernt, das Dividieren oder auch das Einmaleins immer noch nicht kapieren. Wir tippen nie in die Timeline, dass wir über die vielen Fehler im Diktat entsetzt sind und nicht wissen, wie wir unserem Kind noch helfen sollen, mit dem Frust umzugehen oder dem Mobbing oder überhaupt diesen ständig wachsenden und nie endenden Ansprüchen und Überforderungen. Wir fragen die Aufgaben ab und machen sie notfalls selbst, auch wenn uns nicht verständlich ist, warum Neunjährige den Baustil der Renaissance auswendig können müssen oder wissen sollen, wie viel Monde um Uranus schwirren. Wir wissen es selbst nicht, wir wissen so vieles nicht, vor allem, warum gerade unsere Generation die Klimakrise nicht in den Begriff bekommt, waren wir nicht, jung, schon wahnsinnig alternativ? Wir können den Kindern wenigstens zeigen, wie man googelt. Aber eigentlich haben sie uns darin schon längst überholt. Unsere Kinder kommen kaum miteinander aus, sie beleidigen sich, sind nicht solidarisch, auch das wissen wir, aber wir sind ständig bemüht, ein perfektes Bild zu tanzen, von uns und allem, was wir geschaffen haben.
Was am Ende der Vorstellung zählt, ist der Applaus. In diesem Falle Kinder, die sich vorzeigen lassen. Den Preis dafür kann ich an deinem straff durchgestreckten Rücken ablesen, er biegt sich gefährlich unter den um deinen Leib geschnürten Leinen, fast meine ich, wo ich dich so davon eilen sehe, er bricht.
Auszug aus einem längeren Prosatext