So viele Fragen waren es gar nicht, die wir − Eva Brunner und Sebastian Weirauch − über fünfzig Kulturinstitutionen mit Literaturstipendien per Mail gestellt haben. Sieben freundliche, offen gestellte Fragen, bei denen keine Institution ihr Gesicht verlieren sollte. Wir wollten zum Beispiel wissen, ob Autor*innenschaft und Elternschaft − als Gleichzeitigkeit oder aber als Konflikt − eine Rolle bei den Stipendiat*innen spielen oder inwieweit es Fördermöglichkeiten für Autor*innen gibt, die auch Eltern sind bzw. „Care-Arbeit“ leisten. In diese Frage bauten wir eine Reihe von hilfreichen Maßnahmen als Beispiel ein (Unterbringung und Betreuung der Kinder, Lockerung der Residenzpflicht usw.). Wir ahnten, dass es wenig Rücklauf auf die Befragung geben würde, obwohl sie eine Chance der Selbstdarstellung auf dem Blog bot, wir hofften, dass sich das Thema und die Vorschläge alleine durch die Lektüre der Fragen ein kleines Stückchen weiter ins Bewusstsein schieben würde.
Gründe, nicht zu antworten, gibt es natürlich einige. Fehlende Zeit und Lust, sich nicht aus dem Fenster lehnen wollen, das Unbehagen zu wissen, dass Kulturförderung nicht per se gut ist, sondern bestehende Ungleichheiten, Marginalisierungen von Stimmen auch reproduzieren und verstärken kann.
Letztlich können wir über die geringe Resonanz nur spekulieren. Desinteresse wird es wohl nicht gewesen sein. Vielleicht ist man sich in den einzelnen Institutionen der Konflikte von Autor*innenschaft und Elternschaft bewusst und vielleicht will man ja in einzelnen Fällen auch unterstützend wirken – nur eben unterhalb des Radars, unausgesprochen und das heißt zugleich auch: unverbindlich. Möglicherweise aus der Befürchtung heraus, sonst Präzedenzfälle oder Verpflichtungen zu schaffen, aus denen dauerhafte, zusätzliche Kosten erwachsen. Kosten, die dann auch andere öffentlich geförderte Institutionen tragen müssten. Aber bekanntermaßen herrscht eine lebhafte Konkurrenz um Gelder auch auf der Ebene der Kulturpolitik, gerade in krisenhaften Zeiten, und auch private Förderer wachsen nicht gerade auf Bäumen. Alles Faktoren, die wenn nicht einen Backlash, so doch einen Konservativismus befördern, der vor derartigen Innovationen zurückschreckt.
Neben einem ausgefüllten Interview erhielten wir einen Veranstaltungshinweis, eine Romanempfehlung und den Verweis auf eine Studie im Auftrag der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia zum Geschlechterverhältnis im Schweizer Kulturbetrieb. Die Studie zeigt, dass noch viel zu tun ist, und empfiehlt weitere Studien, die unter anderem der Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärker nachgehen.
Immerhin überhaupt eine Resonanz, ein paar Funken, ein Aufglimmen. Auf dass sich die vielen Stimmen und Bemühungen gegenseitig befeuern, immer dichtere Netze entstehen, an denen von unten, aber auch zentral von oben gewebt wird, solange bis eine neue faire Ordnung hergestellt ist und Kinder und Autor*innenschaft sich nicht länger im Weg stehen.
Unvermeidbar
Wie oft haben wir über die Trennungen unserer Eltern gesprochen, was sie für uns bedeutet haben, was wir erinnern und wie wir das Verhalten der Eltern bewerten. Was war okay und nachvollziehbar, was würden wir auf jeden Fall anders machen. Einmal, am Anfang unsrer Freundschaft, saßen wir auf einer Bank und aßen Eis. Du erzähltest davon, wie du mehrmals den festen Wohnsitz zwischen deinen Eltern gewechselt, dich zwischendurch sogar von deiner Schwester getrennt hast, weil du es bei deinem Vater und seiner Freundin nicht mehr aushieltest. Am schwierigsten war, dass eure Mutter nicht nur euren Vater, sondern auch euch Kinder verlassen hat.
Neulich einigten wir uns darauf, dass es einfach nicht so sein sollte, dass die Eltern sich von den Kindern und dem Familienleben befreien. Es müssen die Kinder sein, die sich beim Erwachsenwerden von den Eltern entfernen. Und es sollten die Eltern sein, die mehr Kontakt wünschen als die Kinder, und nicht umgekehrt.
Ach, liebe Helena, trotz aller Bemühungen wurde es nun unvermeidbar, dass auch du dich in einer Trennungssituation befindest. Deine Kinder sind sogar jünger als ihr damals. Aber du wirst sie nicht verlassen.
Ein Beitrag aus der Reihe Und wenn ich falle? – Texte über Trennungen.
Other Writers Readings: Eva Brunner
Lieber Papa
ich hoffe, du weißt, dass ich dir dankbar bin. Du warst ein selbstbewusster und gutgelaunter Vater, den auch andere Kinder gerne mochten. Du hattest die Geduld, mir Schwimmen, Fahrradfahren und Schach beizubringen. Hast mein Bett und den Kaninchenstall selbst gebaut.
Gabst mit oft das Gefühl, stolz auf mich zu sein. Vielleicht hatte ich manchmal den Eindruck, mich beweisen zu müssen, dich überraschen zu wollen. Besonders im Vergleich zu Mirjam, die dich so leicht zum Lachen bringen konnte.
Auch heute noch hängt es von meiner Tagesform ab, ob ich mich neben dir anstrenge oder unbekümmert bin. Wir haben einen guten Kontakt, aber eine kleine Distanz hat sich aufgebaut, seit du damals, kurz bevor ich vierzehn wurde, auszogst. Plötzlich war unsere Beziehung weniger selbstverständlich. Wir gewöhnten uns eine gewisse Vorsicht, eine übertriebene Höflichkeit an.
Vielleicht frage ich dich eines Tages, ob du das auch so siehst.
Deine Anna
Ein Beitrag aus der Reihe Lieber Vater – Texte über ein prägendes Verhältnis. Französische Übersetzung
Fallhöhe
Es gibt diese Angst, nicht gut genug zu sein, nicht zufrieden zu sein, das Leben zu verschwenden oder die Kontrolle zu verlieren. Diese Angst gibt es schon lange und der Wunsch nach Kindern entspringt auch dem Wunsch, ihr etwas entgegensetzen, sie durch Sinn und Form zu ersetzen. Nicht allzu überraschend, geht das nur halb auf. Die Motivation, gut zu sein, ist tatsächlich höher, wenn das Glück Unschuldiger daran hängt, aber höher ist auch die Fallhöhe.
Stabilität ist gefragt und gleichzeitig umso schwieriger zu erreichen. Groß die Angst, etwas zu versäumen, nicht zu genügen, falsch zu entscheiden.
Ein Beitrag aus der Reihe Wunde – Texte zwischen Schreiben und Sorgen.
Unsere Kirche
Der dunkelbraune Holzboden schwingt und knarrt, als wir uns der freien Bank auf der Empore nähern. Schnell lassen wir uns nieder. Die Schwester zwischen den Eltern, ich außen, neben der Mutter. Wenn ich mich ein bisschen recke, kann ich gerade noch hinunter zum Altarraum schauen, wo gleich die Weihnachtsgeschichte verlesen wird. Meine beste Freundin sitzt mit ihrer Familie im gleichen Block und ich winke den zwei Jungs aus meiner Klasse zu, die gegenüber auf der anderen Empore sind. Wie schön unsere Kirche ist. Sie ist alt und eine der größten der Umgebung. Unten in der Mitte teilt ein breiter Gang den Block mit den seitlichen Bankreihen von dem hinteren Block, in dem die Reihen nach vorne gerichtet sind und wo wir nie sitzen. Dort, in der Lücke, steht der drei Meter hohe Weihnachtsbaum, geschmückt mit echten Kerzen, Strohsternen und roten Bändern. Auch der Papierstern mit seinen unzähligen gelb-weißen Spitzen, der von der gebogenen Decke hängt, ist der größte, den ich je gesehen habe. Unser Pastor besteigt in seinem langen Gewand die Kanzel. Wir sehen ihn von oben im Profil und seine volle Stimme erinnert mich an den Sprecher von Benjamin Blümchen. Wie es wohl ist, dort ganz alleine zu stehen und vor so vielen Menschen zu sprechen? – Nachdem ich mit der Gemeinde, begleitet von der Orgel und dem festlichen Bläserchor, „Vom Himmel hoch“ gesungen habe, denke ich an die Bescherung, die gleich zu Hause folgen wird, kann es kaum erwarten und möchte trotzdem am liebsten die Zeit anhalten.
Ein Beitrag aus der Reihe Alles war perfekt gewesen – Texte zu Weihnachten.
Ganz wie du
Du machst mich oft wütend oder überforderst mich einfach, manchmal mache ich mir Sorgen, dass du nicht genug gemocht wirst, denn du willst immer gehört werden, hast ständig einen Einfall, eine Frage oder einen Witz auf den Lippen, möchtest Reaktionen sehen, redest beim Essen, beim Vorlesen, beim Schuhe anziehen und Spazierengehen. Du weißt, was du magst und nicht magst, machst wenig Kompromisse, bist oft erschüttert über schlechtes menschliches Verhalten, freust dich kurz darauf über ein Easteregg. In vielem war ich ganz wie du, und deute die Reaktionen der Erwachsenen rückblickend neu. Weiß nicht, ob ich das lustig, schön oder traurig finden soll.
Ein Beitrag aus der Reihe „pfeilend“ – Texte zu Celans Gedicht „Für Eric“.
Alles ist Körper …
Alles ist Körper.
Nie war mein Körper wichtiger.
Gleichzeitig ist er Zweck.
Heute soll er ein Kind gebären.
Es ist mein Körper, noch wohnt das Kind dort.
Deswegen ist es auch nicht mein Körper.
Er ist verwandelt, zum Haus geworden.
Heute soll alles zusammenpassen.
Mein Wille, der Wille des Kindes.
Die Programme unserer Körper.
Alle um uns herum sollen helfen.
Erkennen was hilft, vermeiden was stört.
Ihnen muss ich meinen Körper geben.
Meinen Willen, mein Vertrauen.
Dabei das Zentrum bleiben.
Ein Akt so fragil wie gewaltsam.
Endlich ist es so weit, ein Übergang.
Ich bin nicht überrascht, habe gewartet.
Lange gewartet, endlich passiert das Theoretische.
Jetzt ist alles Praxis.
Noch soll ich mich gedulden.
Der Badezusatz ist blau. Blau für Beruhigung.
Später werden die Farben andere sein.
Ein Beitrag aus der Reihe Etwas von Schiefer. Texte zur Geburt.
Ich will …
1. weniger gestresst sein
2. mehr schreiben
3. den Kindern ausgeglichen begegnen
4. weiter so viel verdienen, dass unser 50/50-Modell funktioniert
5. den Kindern helfen, selbstständige, selbstbewusste und kritische Menschen zu werden
6. mehr lesen
7. politisch sein
8. viel schlafen und essen
9. mich mehr bewegen
10. alles dafür tun, dass meine Kinder nicht-sexistische und nicht-rassistische Männer werden
11. das Leben genießen
12. intelligent sein
13. dass mein Rasen grüner ist als der der Nachbarn
14. mich und meine Texte nicht so oft mit anderen vergleichen
15. den Vater meiner Kinder weiter lieben, möglichst für immer
16. Bewertungen von außen und Kritik weniger an mich herankommen lassen
17. gut aussehen
18. eine gute Freundin sein
Winkelkinder
was ist das Eigene am gerundeten Kind, der finnische Tango
grüßt im Hintergrund mit süßer Schwere, die Hand knickt
im Schlaf ab, leicht geöffnete Finger, der Mund sowieso
ob mein oder dein Winkel, Widerhall auf jeden Fall
—–
schon lange nicht mehr essen, was auf … warten nicht, bis …
aber es soll doch, gepflegter Tausch aus, Anschauen, klirr
zappeln die Kinderhände, sprechen wir zu Sternen
oder teilen Mundverbot aus. Unser tägliches Brot …
—–
spielen wir mehr, Mensch, nicht ärgern, grün, rot
angezählt, ausgezählt, unser Schicksal kippt voran
quadratisch, rund, Kind, lass mich in deiner Bahn
ich leg ja das Handy weg, Würfel schenk uns Ruh‘