Maske

Gleich nach dem Aufstehen wirst du die Maske für ihn fertig nähen. Dieses Stück schwarzer Stoff mit drei roten Herzen darauf. Die Herzen sind mit Wachsstift gemalt und dir beim Bügeln verlaufen, sie sehen wie verzerrte Kussmünder aus.
Vor ein paar Tagen hat M. neben dir vor dem Bügelbrett gestanden, das schwarze Stück Stoff in die Hand genommen und gefragt, ob du das gemalt hättest. Du hast genickt und in deinem Kopf die Stiche gezählt, die du noch vor dir hattest, um den ganzen Haushalt mit Schutzmasken zu versehen, es waren unendlich viele.
Ob er die Maske haben könnte, wenn sie fertig wäre, hat dich M. gefragt und du gesagt, selbstverständlich. Damals hast du gelächelt. Du hast gelächelt, weil du es magst, das M. gerne mit femininem Design Blicke auf sich zieht. Du hattest dich an M. gewöhnt, an seine Schwäche für Schönheitsprodukte, er konnte die Marke deines Parfums am Geruch erraten und gab dir Tipps bezüglich Cremes für alle Hauttypen deiner Familie.
Einmal hast du im Garten gestanden, als M. gerade von einer seiner Touren zurückkam. Eine befreundete Mutter hatte dir schon auf WhatsApp erzählt, dass sie euren Aupairjungen ja auffällig oft durch die Straßen ziehen sehen würde. Als Apothekerin arbeitete sie trotz Lockdown weiter.
Er brauche halt Bewegung, das wäre so bei jungen Männern, hast du geantwortet. Und nicht weiter darüber nachgedacht.
Als M. durch das Gartentor trat, nicktest du freundlich, und es wäre dir auch gar nichts aufgefallen, wenn er nicht auf dich zugekommen wäre, auf sein Gesicht gezeigt hätte und dich fragte, was du davon halten würdest.
Du musstest zweimal hinschauen, um die auf sein Gesicht gezeichneten Sommersprossen zu entdecken.
Ja, sehr schön, hast du gesagt, irritiert gelacht, weil du unsicher warst, was von dir erwartet wurde.
Es sei eine Herausforderung auf Facebook gewesen, die er angenommen hätte.
Aha, hast du gesagt und dann war er auch schon weg, und du hast dich gewundert, was das für junge Leute sind, heute, die sich gegenseitig herausfordern, sich Sommersprossen auf die Nase zu malen, und damit durch von der Pandemie leergefegten Straßen zu laufen. Aber vielleicht war auch das Corona, die Jugend musste sich irgendwie zu beschäftigen wissen und dann halt so, herumlaufen, geschminkt, sieht ja eh keiner.
Heute tut es dir leid, dass du nicht verstanden hat, dass M. in dir eine Freundin suchte, eine Vertraute, eine erfahrene Frau, die er um Rat fragen, vielleicht sogar um Unterstützung bitten konnte, du hast die Zeichen nicht deuten können, hast nicht verstanden, dass du es warst, die um Hilfe gebeten wurde. Du wolltest M. einfach als Hilfe für dich, damit du deine Arbeit machen konntest, während er die Kinder versorgte. Sich um sie kümmerte, hinter verschlossener Tür, um dir deine Ruhe zu lassen, dein Zimmer für dich allein.

Auszug aus einer längeren Erzählung