An die Last

Streptin, 17.09.2020

Hallo Last,

ich weiß jetzt, dass Du neuerdings einen Namen hast: mental load. Und dass Du es bist, die mich krank gemacht hat. Nicht ich, sondern Du bist Schuld. Ich habe eine chronische Sinusitis, weil ich nicht nein sagen kann. Wegen Dir. Die Selbstdiagnose liegt klar auf der Hand. Ich kann sie genau sehen. Aber ich kann nicht erkennen, an welcher Stelle ich das Knäuel auflösen soll.
Nach dem Lockdown, der sich erst einmal befreiend anfühlte, weil nach und nach alle Verabredungen und Termine abgesagt wurden, türmen sich die alten, jetzt nachzuholenden und die neuen Termine über mir auf. Wie eine Ozeanwelle. Auf ihrem Peak schwimmen aber nicht verrottender Müll und Plastikteile, sondern die Termine. Sie verharren für eine Sekunde über mir, bilden einen Schatten, in dem ich stehe. Dann stürzen sie auf mich ein.
Alles ist irgendwie wichtig. Keiner der Termine ist nun aufschiebbar. Alles muss gemacht werden: sich getroffen, verabredet, besprochen, die Ausstellung aufgebaut, die Workshops geplant, das Kind zum Schwimmunterricht gebracht, Geburtstagsgeschenke ausgesucht, das Bad geputzt, Zuständigkeiten verteilt. Doch jetzt liege ich seit Tagen auf dem Sofa herum, weil ich mich nicht anstrengen darf, hat die Ärztin befohlen. Die Wohnung ist unordentlich. Bett nicht gemacht. Tisch nicht abgeräumt. Berge schmutzigen Geschirrs, trotz Geschirrspüler. Wenigstens die Waschmaschine wäscht.
Ich habe kürzlich Das Loch von Simone Hirth gelesen. Sie hatte die Idee, Briefe zu schreiben. An Leute, aber auch an abstrakte Dinge. Um sich ihrer Situation bewusst zu werden. Etwas mehr Klarheit zu erlangen. Für sich zu reflektieren. Das erschien mir sehr einleuchtend. Ein kluges, berührendes Buch. Eine großartige Idee! Ich habe das hiermit auch versucht. Es fühlt sich ganz gut an.

Danke, kluge Simone.
Nicht danke, blöde Last.

Deine Lena