Same Work But Different: Laura Vogt

Hatte Deine Mutterschaft/Vaterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf Dein Buch? Welchen?

Laura Vogt: Ja! Das Thema Mutterschaft (und Elternschaft allgemein) hat mich während dem Schreiben umgetrieben, und das zeigt sich auch bei den drei Hauptfiguren von „Die liegende Frau“. Romi ist schwanger mit ihrem zweiten Kind und fragt sich, was Verantwortung meint und wie diese Familie prägt. Szibilla hingegen bezeichnet sich als Antinatalistin und möchte keine Kinder haben. Nora wiederum steckt in einer Krise und schweigt – was sicherlich auch mit ihrer Mutterschaft zu tun hat.

Wenn Dich vor der Kita oder vor der Schule ein anderes Elternteil fragt, worum es in Deinem neuen Buch geht – wie würdest Du es beschreiben?

Laura Vogt: Es geht um drei Frauen, die miteinander mehr oder weniger eng verbunden sind. Eigentlich wollten sie gemeinsam einen Kurztrip nach Berlin machen, aber dann erfahren Romi und Szibilla von Noras Krise und reisen zu ihr an den Ort, wo Nora aufgewachsen ist. Dort sind die beiden konfrontiert mit ihren sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen, und ein je eigener Prozess beginnt … bis Nora ihr Schweigen bricht. Es geht also, grob gesagt, um die Frage nach der Rolle(n) der Frau und um die der Mutter. Es geht um die Frage nach dem „guten Leben“, nach Prägungen, Beziehungen, Verantwortung, Familie und Freundschaft.

Was hast Du gerade gemacht, als das Paket mit den Belegen eintraf?

Laura Vogt: Ich war in den Ferien und konnte mich daher zwei Wochen lang darauf freuen, das Paket zu öffnen. Dafür habe ich mir dann viel Zeit genommen. Ich habe das Buch ein erstes, zweites, drittes Mal betrachtet, darin gelesen, und es mir so zu einer Art Freundin gemacht.

Stehst Du wegen der vermehrten Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Laura Vogt: Der Vater meiner Kinder und ich haben ab der Geburt unseres Erstgeborenen gleichberechtigt gelebt, gearbeitet, betreut. Das ging fast immer gut auf. Und das ist ein Privileg. Grossartig sind auch die Betreuungsarbeit meines Freundes, meiner Mutter und ihres Partners und die Genossenschaft, in der wir leben und in der so einiges abgefedert werden kann. Für all das bin ich sehr dankbar – aber ich stehe deswegen in keiner Schuld.

Was hältst Du davon, das Entstehen eines Buches mit dem Heranwachsen eines Babys zu vergleichen und sein Erscheinen mit der Geburt? Ist dieser Vergleich für Dich stimmig?

Laura Vogt: Vielleicht ein etwas abgedroschener Vergleich, aber für mich ist er stimmig. Ich gehe mit den Themen schwanger wie mit einem Baby. Das Baby – der Text – wächst in mir heran, bis das Baby – das Buch – auf die Welt kommt. Das Buch am Erscheinungstermin loszulassen, fühlt sich ähnlich schwierig an, wie mein Baby nach der Geburt aus den Händen zu geben. Es seine eigenen Wege gehen zu lassen, ist gar nicht so einfach für mich. Aber beide – Buch und Baby – brauchen mich ja doch noch eine ganze Weile …

 

Laura Vogts dritter Roman Die liegende Frau erschien im September 2023 in der Frankfurter Verlagsanstalt.

 

Keine Trennung

Und dann habe ich D. kennengelernt, er ist quasi in dieses eine staubige Zimmer gestolpert, das ich eben angefangen hatte aufzuräumen, Dinge zu sortieren, Staubflocken zusammenzufegen, die alte Tapete von den Wänden zu reißen. Kurz darauf hat mich eine Freundin gefragt: „Hast du dich auf D. eingelassen, weil es dir auf einmal zu eng wurde, mit Wohnung auf dem Land und zweitem Kind?“ Und ich hatte geantwortet: „Nein, so ist das nicht“; und das sehe ich heute noch genauso, drei Jahre später. Drei Jahre, in denen ich kommuniziert habe, sehr viel kommuniziert, geredet, mich auseinandergesetzt, mit Konzepten, Theorien, und mit Gefühlen; mit dem Schreiben und dem Brotjob, mit dem Leben überhaupt; zudem: Umzug aufs Land, die Geburt meines zweiten Kindes, die Beziehung zu P. pflegen, und auch die zu D., und die zu all den anderen Menschen, zu meinen Kindern, zu Freundinnen, Nachbar:innen, und auch die zu der Mutter von P., die mir sagte, ich würde P. nicht lieben. Aber was heißt das überhaupt, jemanden lieben? Mein Ansatz von Antwort: Liebe heißt, einen Menschen zu sehen, mit all seiner Schönheit und all seinem Schmerz. Nicht die Mutter von P., aber andere Leute wollen wissen: „Dann sind P. und du jetzt also kein Paar mehr?“ P. und ich leben in einer gemeinsamen Wohnung, wir haben zwei Kinder, wir sind in einer Beziehung, sind ein Team, ein Paar. „Aber das ist keine Liebesbeziehung mehr, oder?“ Doch, eine Art von, sage ich, und frage: „Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft, also, wo ziehst du die Grenze?“ Ich weiß selber nicht, wo ich sie ziehe; muss ich denn? Was ich weiß: Da ist jetzt D. in meinem Leben und auch P. ist noch immer in meinem Leben und da sind die Kinder in meinem Leben und die Freundinnen und noch so viele mehr, und ich liebe sie ja alle, und ich liebe auch die Entwicklung, die wir in den letzten drei Jahren durchgemacht haben, es war nicht einfach, aber es war wichtig, für P. und D. und mich.

Ein Beitrag aus der Reihe Und wenn ich falle? – Texte über Trennungen.

Ich, wir

Heute Morgen fuhr ich ins Atelier ohne Fahrradhelm. Hier schreibe ich nun ein paar Stunden lang.
Gestern Nachmittag fuhr ich ausnahmsweise mit den Kindern im Anhänger ins Atelier und trug einen Fahrradhelm. Im Atelier haben wir gemeinsam einen Tee getrunken.
Wir, das waren, beim Teetrinken: 2 Kinder und ich – eine Mutter mit ihrem Nachwuchs.
Wir, das sind, zu Hause: 2 Kinder, 2 Erwachsene – eine Familie.
Wir, das sind eigentlich: 2 Kinder, 3 Erwachsene; aber nicht alle leben im selben Haushalt – eine Familie?
Wir, das sind: 4 Familien, 3 Einzelpersonen – eine Genossenschaft.
Wir, das bin ich mit meinen Figuren im Atelier – eine Gemeinschaft?
Ich fahre täglich ins Atelier, am liebsten alleine.
Das Atelier: Ein einfacher Raum; zerschlissener Teppich, ein rotes Bücherregal, ein grosser Schreibtisch, Blick auf eine Autogarage.
Im Sommer ist es heiss hier drin, im Winter ist es kalt, aber das Atelier ist mir Raum genug. Ist mir Denkraum. Ist mir Spielraum. Ist ein Ich-Raum. Ist ein Wir-Raum. Leute kommen und gehen. Kinder kommen und gehen. Figuren komen und gehen. Buchstaben kommen und gehen. Ich bleibe gerne für mich.
Ich werde bald nach Hause fahren ohne Fahrradhelm. Am Tisch werden die beiden Kinder sitzen, mit von der Tomatensosse rotverschmierten Mündern. Der Papa der Kinder schöpft mir eine Kelle Nudeln auf meinen Teller.
Ich wusste nicht immer um die breite Variabilität des Wortes „Wir“.

Kinder & keine Kinder

Es gibt rationale Argumente dafür, keine Kinder zu haben.
Es gibt kaum rationale Argumente dafür, Kinder zu haben.
Ich habe sie trotzdem, die Kinder.
„Warum?“, fragte mich K. gestern, „warum Kinder?“
Ich: …
K: Hast du es je bereut?
Ich: …
K: Würdest du es dir mit dem Wissen von heute wieder wünschen, Kinder zu haben?
Ich: Wenn ich meine beiden betrachte, als ganz spezifische Menschen, dann denke ich schon, ja, dann würde ich mir genau sie wieder wünschen.
K: Glaubst du, deine Kinder hätten sich selbst dafür entschieden, in diese Welt hinein geboren zu werden?
Ich: Frag‘ sie in fünfundzwanzig Jahren und in fünfzig nochmals.
K: Lebst du gern in dieser Welt?
Ich: Ich lebe gern. In dieser Welt? Schwer zu sagen.
K: Glaubst du, deine Kinder werden selbst mal Kinder haben?
Ich: Mein Fünfjähriger sagte letztens, er wolle keine Kinder. Ich fand das eindrücklich. Und verstehe es auch. Irgendwie.
K: Hast du ihn nach dem Warum gefragt?
Ich: Hätte ich das tun sollen?

Ein Beitrag aus der Reihe in dir menschen sehen – Texte zum Kinderwunsch.

Das letzte Geschenk

Mutter sitzt am Tisch. Vater sitzt am Tisch. Ich reibe mir die Augen. Tatsächlich, beide sind da. Der eine blickt zum Weihnachtsbaum, die andere auf die Tischfläche, darauf befinden sich: Ein dampfender Suppentopf, Teller und Besteck, Päckchen, weisse Couverts. Die Couverts sind so hell, dass es in meinen Augen schmerzt. Vater dreht den Kopf zu mir, er lächelt, ich gehe auf ihn zu. Rieche seinen Pullover, fühle die kratzige Wolle an meinem Gesicht, als ich mich an ihn schmiege.

Das grössere Fest beginnt erst, als Vater nicht mehr bei uns ist. Menschen gehen ein und aus, Verwandte, Freunde. Gesungen wird beschwingter, das Geschenkpapier knistert lauter, die Mahlzeiten sind üppiger.

Das letzte Geschenk, das ich von ihm erhalte: Briefpapier mit Sonnenblumen drauf.

Ein Beitrag aus der Reihe Alles war perfekt gewesen – Texte zu Weihnachten.

Geburt

Es ist Nacht, das Haus still, ich habe keine Lust, ins Spital zu fahren, schwimme im Blau des Zimmers; Tapete, Bettwäsche, alles blau; und ich weiss, dass das nicht stimmt, dass da im Grunde alle Farben sind, aber in mir fliesst es blau, und manchmal stockt mein Atem – in meinem Bauch brennt’s blau; ich fühle, wie ich mich weite, wie ich Platz schaffe für das Kind.

Es ist Tag, das Haus still, die Vorhänge gezogen, draussen spielt der Grosse mit Freunden; das Sofa haben wir mit Leintüchern ausgelegt, darunter eine Plastikfolie gespannt; die Tücher sind gelb, ich fühle dieses Gelb, überall, auch an meiner Haut und in meinem Bauch – die Bewegungen fliessen wie Licht, es ist heiss, ich atme Platz auch für dieses Kind.

Ein Beitrag aus der Reihe Etwas von Schiefer. Texte zur Geburt.

Ich habe lange …

… keinen Blogbeitrag verfasst. Ich war nicht untätig. Ich habe versucht zu verstehen, was es bedeutet, einen zweiten Roman zu veröffentlichen. Ich habe am Anfang eines dritten Romans geschrieben, Figuren entwickelt, den Plot erweitert. Ich habe meine Tochter abgestillt und mein Sohn ist in den Kindergarten eingetreten. Ich habe für Geld gearbeitet, als Schriftdolmetscherin, als Mentorin, an Aufträgen. Wir sind verreist, mal zu viert, mal zu fünft, mal alleine: an den Bodensee, ins Saarland, ins Engadin, ins Rheintal; immer nur ganz kurz. Mein Schreibplatz hat sich verändert, und mein Atelier befindet sich nun im Dorf, in dem ich lebe. Immer mehr spielt sich im Dorf ab, in dem ich lebe. Das Beerenpflücken, die Brotjobs, das Küssen, das Schreiben. Manchmal vermisse ich die Stadt, dann fahre ich hin mit dem Zug, gehe durch die Strassen und bin mir nicht sicher, was ich dort suche. Einkaufsläden? Andere Leute? Etwas ganz und gar Neues? Etwas Altes? Noch mehr Fülle? Er ist nicht eintönig, mein Alltag, aber da sind viele Bedingungen. Der Kindergarten beginnt um 8.50 Uhr. Das Mittagessen sollte bereit sein, wenn mein Sohn nach Hause kommt, der Hunger ist dann gross. Meine Tochter will nicht immer mich, aber wenn ich da bin, möchte sie mich ungern aus den Augen verlieren. Dabei gehe ich doch so gerne schnell durch die Wohnung und mal kurz in den Garten hinter dem Haus und dann für einen Abstecher zum Apfelbaum vor dem Haus; nur einen klitzekleinen Moment alleine sein und meinem Tempo folgen! Die Bedingungen sind wie Pfähle, die mein Leben strukturieren.
Der neue Romantext dagegen ist eine Wolke. Er ist immer da, aber meist drängt er sich auf eine unscheinbare Art auf. Selten Regen, selten Schnee. Ich hebe oft den Kopf, manchmal in den dümmsten Momenten, dann will ich schreiben, aber meine Tochter liegt in meinen Armen oder im Kochtopf blubbert’s. Und in anderen Momenten sitze ich dann tatsächlich im Atelier, aber die Sonne scheint, die Wolke hat sich verzogen, und ich starre auf die Autogarage im Gebäude gegenüber, die knallorangen Türen und die Fensterscheiben, die das Licht reflektieren. Das ist also mein Zeitfenster: drei Stunden schreiben. Das ist kurz.
Aber hey, es geht mir gut. Der Vater schaut so oft zu den Kindern wie ich, und auch andere Menschen. Ich kann schreiben. Ich mache Geldarbeit, die mir meistens gefällt. Der Schweizer Staat hat mir sogar etwas Geld gegeben, weil meine Lesungen ausfielen. Und ich will sie ja, die Fülle, will das Schreiben und die Kinder und alles andere auch. Manchmal muss ich mich büscheln, so sagt man in der Schweiz. Mich ein wenig schütteln, Dinge fallenlassen, neu zusammensetzen. Mich wieder konzentrieren. Auf den neuen Roman. Auf die Kinder. Auf das Auch-Mal-Nichts-Tun.

Zwei Wochen …

… zu Hause verbringen, das heisst: es ist vieles gar nicht so anders als sonst.
(Beiseitegelassen der Fakt, dass zig Lesungen zu meinem zweiten Roman, der eben erschien, abgesagt wurden).
Da ist der grosse Garten, der bearbeiten werden soll, da ist der Wald in der Nähe, da sind die Kinder, die es zu baden, begleiten, bekochen gilt.
Zwei Wochen nicht im Atelier, sondern im Büro in der Wohnung zu schreiben versuchen.
Zwei Wochen das Ineinandergleiten von Stimmen, Gedanken, Ideen.
Zwei Wochen in einer grossen Blase, die Grenzen sind schwammig, der Text verwischt.
Nach zwei Wochen dann:
Die Sonne scheint, ab aufs Fahrrad, über die Gleise, an den Feldern vorbei, links die Industriegebäude; ich passiere einen Bauernhof, eine Druckerei, einen Bahnhof, fahre übers Viadukt rein in die Stadt.
Gute Nachrichten: Das Atelier ist geöffnet!
Ich schliesse die Tür auf, trete ein, alles befindet sich am gewohnten Platz.
Schreiben.
(Und mich freuen auf die Lesungen, die kommen werden, später, aber sicher).

Wie läuft das …

… jetzt eigentlich bei dir mit dem Schreiben?, fragte eine Freundin, selbst Schriftstellerin, als mein erstes Kind ein halbes Jahr alt war; eine Frage, die schon damals und auch jetzt immer wieder durch meinen Kopf flattert.
Das klappt ziemlich gut, denke ich an manchen Tagen.
Es ist echt scheisse, finde ich an anderen.
Fakt ist: Täglich könnte ich zig Antworten jeglicher Art geben. Aber so ausführlich war meine Antwort nicht, damals, als mein Kind halbjährig war und seine Betreuung neben Schreiben und Geldverdienen sehr viel Platz in meinem Alltag eingenommen hatte.
Also sagte ich: „Funktioniert super!“
Meine Freundin blieb skeptisch, denn alle ihre (weiblichen) literarischen Vorbilder hätten keine Kinder, führte sie aus.
Ja, die gibt es: schreibende Frauen (und Männer!) ohne Kinder, und ich verstehe das.
Und es gibt auch die: schreibende Frauen (und Männer!) mit Kindern! Und ich möchte sie hören! Will wissen, wie sie das machen, das Zeit-Finden, das Raum-Finden, das Wörter-Drehen-Und-Wenden! Ich will, dass gewisse Fragen nicht nur Frauen, sondern auch Männern gestellt werden; will, dass die Dinge immer mehr miteinander gedacht werden, das Eltern-Sein und Künstlerin-Sein und Noch-So-Viel-Mehr-Sein. Ein grosses Thema! Ein Riesenblumenstrauss! Mit Zündschnur!
Wir müssen uns zusammentun und darüber reden.
Gut, dass es diesen Blog gibt.

(Heute hat die Freundin übrigens selbst ein Kind. Ich weiss nicht so genau, wie es bei ihr läuft mit dem Schreiben, wir haben seit Jahren keinen Kontakt. Aber da wir nun beide in diesem Blog schreiben, wird sich sicherlich bald ein Gespräch ergeben.)