© Rauchvonne (Yvonne Sonsalla und Sebastian Weirauch)
logbuch mit känguru
es ist dienstagabend, und ich weiß es so genau, weil ich die tage zähle, jeden tag benenne, schon früh morgens, bevor ich aufstehe, zumindest es versuche, denn dank eines meniskusriss‘ bin ich langsam unterwegs, sehr langsam, schritte bedeuten anstrengung, und ich zähle die tage, bis ich wieder laufen kann, denn manchmal steckt auch angst in ihnen, dass doch nochmal etwas reißen könnte, und dabei mag ich ja risse, siri hustvedts »risse aushalten«, darum ginge es im leben,
und also bin ich auch froh, dass die kinder zu hause sind, sie mit mir sind, sie unser wohn- und esszimmer sukzessive in ein meer aus bücher- und papierstapeln verwandeln und ich sie hin- und herdirigieren kann, bücher und zeitungen von einem eck ins andere gebracht, gelesen und weggelegt werden und sie all das tatsächlich auch noch mitmachen, und manchmal habe ich aber auch sorge, dass marc uwe klings känguru nun bei uns eingezogen ist, schlimmer noch: der heimliche kapitän unseres papierschiffs wird und es richtung kommunismus dirigiert und wir in all dem immer mehr verwachsen, und benni will wissen, wie genau das mit dem kommunismus sei, und ich hake nach, ob er schon mal von marx gehört hätte, und er schüttelt den kopf, und ich schüttele den kopf, überlege, in welcher »home-schooling-einheit« (was für ein wort) das platz finden könnte, während ich versuche, an meinem neuen projekt zu schreiben oder eine day by day-collage für mein logbuch klebe, ein logbuch, das eigentlich alle vier von uns machen wollten, aber nur ich bin noch an bord, naja, und wahrscheinlich das känguru, zumindest kichert es ständig im raum, auch als juli vom woyzeck als lektüreaufgabe erzählt und ich eine alte reclam-ausgabe aus dem regal ziehe (von meinem vater noch, was er wahrscheinlich gar nicht weiß), ende der 60er, und ich muss lächeln, als ich seine einträge zu marie sehe, und auch juli lächelt, und ich denke, wie ich all das in meinem kopf sortieren, wie ich weiterschreiben soll, hier: zwischen känguru und seinem »mein, dein, alles bürgerliche kategorien«, woyzecks verzweiflung und der freundlichen mail-erläuterung der englischlehrerin, dass die kinder jetzt kanada im unterricht also zu hause behandeln würden, und wer mag, könnte auch »anne with an e« als serie ansehen, das wäre eine gute ergänzung, und ich weiß erst gar nicht, um was es geht, bis ich verstehe, dass es anne of green gables ist, anne, mit der ich lesend versteckt meine frühe jugend verbracht habe, und staunend nehme ich wahr, wer sich hier alles bei uns auf der couch einfindet, fiktiv, nichtfiktiv, von entschleunigung kann überhaupt nicht mehr die rede sein, es ist jede menge los, anne with an e neben dem känguru und woyzeck und marie und manchmal auch noch nathan der weise, von meinen frauenfiguren, von alice ganz zu schweigen, und in meinem kopf sirrt und surrt textmaterial, kaum noch zeitfenster zum schreiben, nur noch das papiermeer, auf dem ich mit meinen kindern segle, und bis jetzt ist es (meistens) – bei all den traurigkeiten und ängsten dieser tage – auch eine wirklich schöne gemeinsame zeit, mit alten und neuen text-fundstücken, die wir mehr als sonst teilen, einander erzählen, in denen wir uns manchmal auch verstecken, sodass uns keiner sieht. und auch das ist gut.
Ja, Kinder …
… die Kinder, wir müssen unsere Umwelt, ja, wir müssen unsere Welt auch noch für die nachfolgenden Generationen, die Kinder, ja, ich bewundere Sie für Ihre Geduld, für Ihre Ruhe, also ich könnte das nicht, Kinder sind ja etwas Wunderbares, es verändert alles, den Blick, wir müssen unseren Kindern eine Welt hinterlassen, ein Kind braucht nicht viel mehr außer bedingungsloser Liebe, ja, es genügt schon ein Kochlöffel und ein Taschentuch und schon entsteht eine ganz neue Welt, die Phantasie, ja, die Lärmbelästigung des Kindergartens auf der anderen Straßenseite, das ewige Geschrei von nebenan, die kommen ja nicht von hier, die wissen nicht, wie Kinder hier bei uns, ja, Kinder brauchen nur bedingungslose Liebe und Grenzen, natürlich, es muss auch Grenzen geben, da gibt es Grenzen, also ich bewundere Sie dafür, Sie als Mutter, Sie als Vater, und dann schreiben Sie ja quasi nebenbei noch solche Texte, in denen ahnt man nichts von, also quasi in den Nächten schreiben Sie diese Texte, in denen man nicht ahnt, dass Sie noch Mutter, noch Vater, wir schätzen hier die Ruhe und die Abgeschiedenheit, verstehen Sie mich nicht falsch, wir schätzen die Ruhe hier, die Ruhe, aus der gewissermaßen, also, daraus entspringt der Geist, der Genius, verstehen Sie mich nicht falsch, aber Kinder, ja Kinder, ich meine, wie stellen Sie sich das denn vor, hier, in dieser Abgeschiedenheit, zusammen mit dem Genius, also, es gibt ein Recht auf Ruhe, nicht jeder kann, nicht jeder will, ja, Kinder, diese kleinen Geschöpfe, die noch ganz unberührt sind, aber es muss auch Grenzen geben, im Supermarkt, in der Straßenbahn, in den Arbeitsräumen, es muss auch Stille herrschen, eine Klage, ja, es gibt schon Klagen gegen den unvermeidlichen Lärm, gegen das heraufbeschworene Chaos, die Umgebung, sie ist, nun ja, reizarm, damit sich das Innere entfalten kann, es gibt ja feste Plätze für die Kinder, Kinderplätze, aber die werden Sie nicht bei uns finden, es tut mir leid, es muss auch Prinzipien geben, hier gibt es nichts außer einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl, wie wollen Sie da, ja, Kinder, also nein.
Also, ich bin …
… seit knapp vierzehn Monaten Mutter.
Und ich muss sagen, ich hasse es.
Ich liebe mein Kind.
Aber ich hasse, was es mit meinem Leben macht.
Ich hasse die Pflichten, die mit dem Mutter-Dasein in mein Leben gekommen sind.
Ich hasse das Waschen, das Putzen, das Kochen, und vor allem all das gleichzeitig, wenn mein Kind nebendran sitzt und schreit, das Essen, das ich innerhalb seines halbstündigen Schlafs gekocht habe, herausspeit, die Küche mit Tomatensoße und Zucchini-Brei neu färbt, während ich für das nächste Essen koche und nebenbei putze.
Ich hasse die Hausarbeit (allein schon, wie das heisst), ich hasse die surreale Anzahl dieser Aufgaben und den surrealen Raum, den sie nun in meinem Leben einnehmen müssen.
Ich habe null Spass daran und es wiederholt sich ständig.
Ich hasse es, nicht wegfahren zu können, wenn ich es möchte.
Ich hasse es, alle meine Entscheidungen mit dem Vater des Kindes abstimmen zu müssen.
Das Recht zum Ausgehen, zum Arbeiten, ja, sogar das Recht, meine Steuererklärung auszufüllen.
Vom Schreiben mal nicht zu sprechen.
Nein, vom Schreiben möchte ich nicht einmal anfangen.
(Das Schreiben ist woanders … an einem Ort, wo ich gerade nicht hingelangen kann.)
Gerade hasse ich es, mich zu fragen, wie ich die Zeit mit meinem Kind vertreiben werde.
Die Zeit vertreiben.
Sie verjagen.
Sie zum Teufel jagen.
Ich hasse mich dafür.
Ja. So ist das Leben mit einem Kind.
Vor allem in Coronazeiten, wenn alle staatliche und private Hilfe weggefallen ist.
Die Vogeltränke
Seit der Kontaktsperre wegen des Corona-Virus‘ gibt es ein Thema, das mich fast mehr noch als die Krankheit an sich beschäftigt: Zum Spielen mit den Kindern ist uns, von kurzen Streifzügen durch den Volkspark einmal abgesehen, nur ein kleines zubetoniertes Viereck im Hof geblieben – dass zwei Autos rund ein Viertel der Fläche blockieren, sei hier nur am Rande erwähnt. Eine Nachbarin sorgt sich seit Jahren um die Vogelschicksale in unserer Umgebung, behängt die dürren Äste einer Forsythie ganzjährig mit zu vielen Meisenknödeln und füllt Futter in ein kleines Vogelhäuschen. Zusätzlich tauscht sie täglich das Wasser in einem mit zwei faustgroßen Steinen beschwerten Untersetzer für Blumentöpfe. Die Kinder lieben es, Sand in diese provisorische Vogeltränke zu schütten, sie umzustürzen oder mit einer verräterischen Spur verlorenen Wassers über den Hof zu zerren. Um die Lage zu entspannen, hat der zweite, handwerklich ungleich begabtere Familienvater in unserem Haus – er ist auf Kurzarbeit wie ich – eine Halterung an der Hofmauer befestigt, unerreichbar für die Kinder. Die Vögel, sie könnten so glücklich sein – wäre da nicht die Nachbarin, die nicht müde wird, die Tränke immer wieder zurück auf den Boden zu stellen, und uns mit kühler Begrüßung im Hausflur zu verstehen gibt, dass sie nicht toleriert, wenn wir über den Standort dieser für das Federvieh überlebenswichtigen Einrichtung bestimmen.
Wenn ich mich gerade nicht mit der Vogeltränke oder dem auf diese oder andere Weise das Leben einschränkenden Virus beschäftige, dann arbeite ich an meinem Roman. Und manchmal, nach einem halben Tag mit den Kindern, an dem ich unentwegt auf die Uhr gesehen habe, ob meine Freundin nicht endlich nach Hause kommt, nach einer Auseinandersetzung mit ihr, wann ich wieder zu Hause zu sein habe, und nach einem überstürzten Aufbruch in das kleine Büro, das wir gerade als Homeoffice bezeichnen; wenn ich also endlich am Rechner sitze und endlich die Zeit habe, das zu schreiben, wovon mich das ach so arge Leben momentan noch ein Stück mehr abhält, dann weiß ich gar nichts mehr von dem Text, dann denke ich an den Hinterhof, von dem ich mich wie oft schon fortgewünscht habe, und frage mich, wo die Vogeltränke wohl gerade steht.
Prinzessinnenmama
Dem Kind wurde eine Stoffhandpuppe geschenkt, gleich zur Geburt – eine Prinzessin, die mittlerweile selbst ein Kind hat, ein noch kleineres Püppchen. In der Lego-Duplo-Kiste liegt eine Art „Computer“-Teilchen, es könnte auch ein Seismograph oder etwas ähnliches sein. Wenn die Prinzessin „arbeitet“, holt das Kind diesen kleinen Lego-Computer: „Mama arbeitet.“ Aber zwischendurch muss diese Mama auch immer vom Computer weg- und zu ihrem Püppchen hinrennen, denn das Püppchen schreit nach Essen oder weint, weil es hingefallen ist, und muss getröstet werden. Irgendwann wirbelt diese Prinzessinnenmama zwischen Computer und Püppchen so wild umher, dass sie kurz völlig durchdreht („Aaaaaaaargh!!!“) und dann sagt: „So: Jetzt muss ich mich aber hinlegen, ich kann nicht mehr.“ Legt das Püppchen fest gepuckt in dessen Bett. Legt sich hin.
(Aber kaum, dass sie einschlummert, weil auch ihr Püppchen schlafen soll, da hört sie ein leises Wimmern und Gejammer und … das Ganze geht von vorne los.)
Wir sitzen hier …
… drinnen fest. Das Kind steht in diesen Tagen gern am Fenster und ruft den vorbeiziehenden Vögeln kah! kah! hinterher, zeigt auf Menschen, Fahrräder, den DHL-Transporter und ich blicke neidisch zu den Balkonen gegenüber und denke: Jetzt sind wir alle noch mehr in unserer Blase. Einraumwohnung, Zweiraumwohnung, Dachterrasse. Soundsoviel Tage Kontaktbeschränkung, die für mich bedeuten, dass die Kita-Eingewöhnung auf unbestimmte Zukunft verschoben ist, nachdem ich mangels Platz ohnehin schon viele Monate Kind und Arbeit jonglieren musste. Also geht es weiter wie gehabt: Arbeiten in Nachtschichten, Wochenendschichten, tagsüber für das Kind da sein. Die letzten Nächte habe ich in meinem Arbeitszimmer geschlafen, um etwas Abstand zu haben und in der Stille nach dem Schreiben durchatmen zu können. Früh morgens weckt mich der Geruch von Kaffee, mein Partner und das Kind spielen in der Küche. Jede zweite Woche darf er ins Homeoffice, was meine Situation nur minimal verbessert, da natürlich trotzdem gearbeitet werden muss. Ich wundere mich über all die Menschen, die derzeit online über ihre Langeweile jammern. Wie oft habe ich in den letzten Monaten gedacht: Ich schaffe das nicht mehr, habe geweint vor Erschöpfung und Zorn. Trotzdem bin ich immer wieder aufgestanden, habe weitergemacht, weitergeschrieben. Mein Manuskript ist so gut wie druckfertig, der Herbst-Erscheinungstermin für den Roman steht immer noch. Was dann sein wird, kann zu diesem Zeitpunkt niemand sicher sagen: Wie viele europäische Staaten werden dann zu Diktaturen geworden sein, wo wird es Ausschreitungen gegeben haben, was wird mit den Geflüchteten in den Camps geschehen? Wie viele Menschen werden sterben? In Deutschland? In Europa? In der Welt?
Wir sind privilegiert. Manche Kolleg_innen empören sich in den sozialen Netzwerken über ein System, das zumindest versucht, die Kultur- und Kunstschaffenden ökonomisch aufzufangen, wovon Kultur- und Kunstschaffende in anderen Ländern nicht einmal träumen dürfen. Ja, Deutschland ist ein reiches Land. Und trotzdem ist es nicht selbstverständlich.
Noch weiß ich nicht, wie es die nächsten Monate finanziell aussehen wird, durch die unfreiwillige Elternzeit-Verlängerung habe ich davor schon weniger als geplant verdient, aber ich bin schon so lange selbstständig, dass ich den Zustand der Unsicherheit gewohnt bin. Ich arbeite weiter an meinen Projekten und halte meinen Optimismus hoch, so gut geht.
Ich bin zornig in diesen Tagen. Dieser Ausnahmezustand zeigt einmal mehr, dass es letztlich immer Frauen und Mütter sind, die für Care-Arbeit zuständig gemacht werden, weil unsere Gesellschaft nicht emanzipiert genug ist, entstehende Versorgungslücken gleichberechtigt zu schließen.
Dennoch ist da mein freundlicher Mikrokosmos, der mich milder stimmt. Ich bin dankbar für meine kleine Familie, für meine Zähigkeit, für die Freund_innen, mit denen ich mich abends online treffe, ihre so unterschiedlichen Gesichter, Leben und Wohnzimmer auf meinem Bildschirm im Splitscreenmodus versammelt.
Wir sitzen hier drinnen fest. Unsere Gesellschaft kann aus diesem Ausnahmezustand lernen. Viele von uns haben das Privileg, das Beste daraus machen zu können.
Das Kind hat …
… kein Problem mit dem Corona-Virus. Das Kind geht sowieso nicht so gern in die Kita. Es ist schon in Ordnung da, findet das Kind, die Erzieherin ist die Beste, die Freunde sind die Besten. Aber noch lieber ist das Kind – auch wenn wir das schwer verstehen können – mit seinen langweiligen, alten Eltern zusammen.
Man muss es so sagen: Für unser Kind ist es Arbeit, in die Kita zu gehen. Jeden Morgen soll es zur Arbeit. Und jetzt eben nicht mehr. Jetzt hat es endlich frei.
Also wacht das Kind auf und ist allerbester Laune, springt im Bett herum und ruft: Draußen ist Corona, die Kita ist zu, wir machen nicht mehr mit.
Ich versuche, dem Kind den entscheidenden Unterschied zu erklären. Ich arbeite gern. Am stärksten ist dieses Gefühl, dass ich irrsinnig gern arbeite, genau dann, wenn mich etwas daran hindert.
Der ideale Tag sieht bei mir so aus: Bis zum Mittagessen kümmere ich mich nur um meinen Roman. Danach, solange das Kind noch in der Kita ist, erledige ich alles, was mit Geldverdienen, Orga und Emails zu tun hat. Schon in normalen Zeiten kommt dieser ideale Tag nie so häufig vor, dass sich jemals eine ideale Woche ergeben würde. Aber jetzt?
Da wir, die langweiligen, alten Eltern des glücklichen Kindes, beide selbständig sind, teilen wir uns die Betreuung und können so jeder wenigstens halbtags arbeiten. Wenn es nun aber diese beiden Hälften meiner Arbeit gibt: auf der einen Seite das Notwendige, längst Vereinbarte, die kurzen Deadlines, die Sachen zum Geldverdienen, und auf der anderen Seite ein sperriger, nie fertig werdender Roman, nach dem schon lange keiner mehr fragt – welcher halbe Arbeitstag wird wohl gestrichen werden? Ja, genau.
Ich bin gern mit dem Kind zusammen. Ich kann aber nicht den ganzen Tag Lego spielen, sage ich. Und das Kind versteht sofort und schlägt vor, dass wir ein Projekt haben, so wie sie auch in der Kita immer ein aktuelles Projekt haben, und das Kind legt sofort die Reihenfolge unserer Projekte fest: Zuerst Regenwald, danach Gespenster, dann Köln. Wieso Köln?, frage ich. Einfach so, sagt das Kind und setzt als Dauer für jedes Projekt ein Jahr an. Das Kind plant wirklich in die Zukunft. Offenbar geht es nicht davon aus, dass die Kita noch einmal aufmacht, bevor es in die Schule kommt.
Ich bin gern mit dem Kind zusammen, aber ich weiß aus Erfahrung, dass ich, wenn ich länger nicht an meinem Roman gearbeitet habe, keine bessere Mutter werde, sondern eine schlechtere. Das ist ja das Schwierigste am Elternsein, wie gut man sich dabei kennenlernt.
Und trotzdem gibt es keine andere Lösung. Egal, wie lange es dauert. Regenwald, Gespenster, Köln. Und es reicht, die Nachrichten des Tages zu lesen und ernsthaft über sie nachzudenken, dass mir meine Sorgen um diesen sperrigen, nie fertig werdenden Roman auf einmal sehr klein vorkommen. Man muss es so sagen: Anderswo sterben Leute.
Wenn ich Mama …
… Siebenschläfer wäre, hätte ich immer gute Laune. Ich fände es lustig, wenn mir die Kinder beim Saubermachen den Staubsauger ausschalten oder wenn sie im Supermarkt so sehr freidrehen, dass ein Warenberg einstürzt. Wenn ich Mama Siebenschläfer wäre, würde ich die Kuscheltiere meiner Kinder nirgendwo versehentlich liegenlassen, und wenn mein Mann kurz vorm Abendbrot aus dem Büro kommt, würde ich mit weicher Stimme „Hallo, mein Liebling“ sagen und ihn küssen.
Wenn ich Mama Siebenschläfer wäre, hätte ich allerdings auch nur ein Kind. Ich fürchte aber, dass das keinen Unterschied macht. Ich fürchte, Mama Siebenschläfer hat noch nie die Zeit zusammengerechnet, die sie mit Bobo verbringt. Wenn sie vorliest oder spielt oder kocht, denkt sie niemals: Ich will das nicht. Ich will jetzt allein sein, ich will schreiben.
Gerade schreibe ich gar nichts, weil die Kindergärten geschlossen und die Kinder zu Hause sind. Der Große kann sich noch immer nur schwer allein beschäftigen, und damit wir nicht wahnsinnig werden, geben wir ihm zu oft das Tablet, auf dem er dann Bobo Siebenschläfer schaut. Ich frage mich, wie lange der Ausnahmezustand anhalten muss, bis ihm der Unterschied zwischen der Siebenschläfer-Mama und der echten Mama aufgeht. Vor zwei Tagen hat er mich schon gefragt, warum ich so schlechte Laune habe. Ich habe kurz überlegt, wie Mama Siebenschläfer in einem solchen Fall reagieren würde. Ziemlich schnell ist mir aufgegangen, dass sie höchstens lachen und Bobo in die Luft werfen könnte, weil sie als Figur nur über einen geringen Handlungsspielraum verfügt. Ich kann mich immerhin hinsetzen und mit dem Großen über Gefühle reden, über seine und über meine, auch wenn die manchmal sehr negativ sind.
Wie läuft das …
… jetzt eigentlich bei dir mit dem Schreiben?, fragte eine Freundin, selbst Schriftstellerin, als mein erstes Kind ein halbes Jahr alt war; eine Frage, die schon damals und auch jetzt immer wieder durch meinen Kopf flattert.
Das klappt ziemlich gut, denke ich an manchen Tagen.
Es ist echt scheisse, finde ich an anderen.
Fakt ist: Täglich könnte ich zig Antworten jeglicher Art geben. Aber so ausführlich war meine Antwort nicht, damals, als mein Kind halbjährig war und seine Betreuung neben Schreiben und Geldverdienen sehr viel Platz in meinem Alltag eingenommen hatte.
Also sagte ich: „Funktioniert super!“
Meine Freundin blieb skeptisch, denn alle ihre (weiblichen) literarischen Vorbilder hätten keine Kinder, führte sie aus.
Ja, die gibt es: schreibende Frauen (und Männer!) ohne Kinder, und ich verstehe das.
Und es gibt auch die: schreibende Frauen (und Männer!) mit Kindern! Und ich möchte sie hören! Will wissen, wie sie das machen, das Zeit-Finden, das Raum-Finden, das Wörter-Drehen-Und-Wenden! Ich will, dass gewisse Fragen nicht nur Frauen, sondern auch Männern gestellt werden; will, dass die Dinge immer mehr miteinander gedacht werden, das Eltern-Sein und Künstlerin-Sein und Noch-So-Viel-Mehr-Sein. Ein grosses Thema! Ein Riesenblumenstrauss! Mit Zündschnur!
Wir müssen uns zusammentun und darüber reden.
Gut, dass es diesen Blog gibt.
(Heute hat die Freundin übrigens selbst ein Kind. Ich weiss nicht so genau, wie es bei ihr läuft mit dem Schreiben, wir haben seit Jahren keinen Kontakt. Aber da wir nun beide in diesem Blog schreiben, wird sich sicherlich bald ein Gespräch ergeben.)