Same Work But Different: Katharina Bendixen

Hatte deine Mutterschaft einen inhaltlichen Einfluss auf dein Buch? Welchen?

Katharina Bendixen: Ich wollte nie über Mutterschaft schreiben. Dann habe ich es doch gemacht, und diesen inneren Widerstand merkt man dem Buch vielleicht an: Es ist eine Art Suche, wie man überhaupt über dieses Thema schreiben kann. Neben klassischen Erzählungen gibt es in meinem Buch auch viele Experimente, beispielsweise fiktive Aufgaben für Abschlussprüfungen oder absurde Kinderbuchtexte. Ohne den Familienalltag und die vielen Widersprüche darin hätte ich dieses Buch niemals geschrieben.

Gibst du das Buch deinen Kindern/Eltern zu lesen? Warum (nicht)?

Katharina Bendixen: Meine Eltern lesen alle meine Bücher. In manchen Texten kommen die Elternfiguren nicht so gut weg, aber meine Eltern halten das bisher gut aus. Schwieriger ist die Frage, ob meine Kinder dieses Buch später lesen werden. Ich schreibe darin sehr kritisch über das Familienleben, und es könnte das Missverständnis auftreten, dass ich ungern Mutter bin. Dabei geht es natürlich um die gesellschaftlichen Umstände und nicht um mein persönliches Verhältnis zu meinen Kindern.

Stehst du wegen der vermehrter Schreibzeit oder nun kommender Lesungen in der Schuld anderer Familienmitglieder?

Katharina Bendixen: Ich fühle mich oft in der Schuld meiner Kinder – nicht unbedingt wegen der Tatsache, dass ich sehr viel arbeite und manchmal gedanklich abwesend bin, sondern vor allem weil wir als Familie aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Literaturbetrieb viele Dinge, die in anderen Familien selbstverständlich sind, nicht besitzen oder nicht tun. Ich bin unsicher, wie unsere Kinder damit umgehen werden, wenn ihnen dieser Unterschied eines Tages bewusst wird.

Welche*n other writer würdest du gern zufällig auf einem Spielplatz treffen und worüber würdest du mit ihm*ihr sprechen?

Katharina Bendixen: Ich träume ja schon lange von einem großen other writers-Treffen, meinetwegen auch auf einem Spielplatz: Die Eltern tauschen sich über das Schreiben und den Literaturbetrieb aus, und die Kinder tauschen sich über ihre merkwürdigen Eltern aus, die sich so oft über Dinge ärgern, die sonst keiner versteht.

 

Katharina Bendixens Erzählband „Eine zeitgemäße Form der Liebe“ erschien im März 2025 in der Edition Nautilus.

 

 

 

 

Brief an einen Menschen, der wächst

ich weiß, ich kann diesen Brief nur an Dein Ich in der Zukunft schreiben, und das wird über meine Worte wohl nur lachen. Aber ich muss Dir schreiben, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich das noch länger überleben werde. Es spielt keine Rolle, worum es bei unseren Streitereien geht, das Nachhausekommen, die Hausaufgaben, das Zimmeraufräumen, das Wäschesortieren, das Tischdecken, das Drinnenbleiben, das Rausgehen, das Freundehaben, das Keinefreundehaben, die schlechten oder die guten Freunde, genau wie die Noten, es spielt keine Rolle. Du ziehst verzweifelt an einem Ende des Seils, ich am anderen. Du suchst Deine Grenzen, Du drückst alles in die Extreme, Du willst spüren, dass Du existierst, dass Du frei atmen und Dir Deine eigene Welt bauen kannst.

Ich sehne mich nach dem Kind, dass Du mal warst, und diese Sehnsucht schmerzt mich so sehr.
Aber was mich am meisten schmerzt, ist, dass wir beide alleine kämpfen, ich muss so verbittert darum kämpfen, dass Dein Hass mich nicht zerbricht, ich muss darum kämpfen, dass mich Deine Wut nicht zerstört, obwohl sie mein Innerstes auseinanderreißt Diesmal presse ich nicht, sondern Du schneidest mir tief ins Fleisch, während Du strampelst, um Dich zu befreien. Ich weiß genau, Du liebst mich jetzt gar nicht mehr, und ich muss Dich und auch mich für uns beide lieben, aber ich verzweifle daran. Ich will diesen Kampf aufgeben, weil es nicht meiner ist, und vor allem, weil ich darin die absolut undankbarste Rolle habe. Niemand hat mir vorher gesagt, dass ich die Böse sein werde und wie beschissen das ist. Keiner hat mich darauf vorbereitet, Dir bei diesem Kampf wie ein Drache entgegenzutreten, damit Du spüren kannst, dass Dein Schatten nicht größer ist als Dein Licht und auch dass kein Streit das Ende einer Beziehung ist und vor allem, dass Du auf Dich selbst hören musst, auch wenn es mich so bitter enttäuscht.

Dieser Kampf wird enden. Für Dich wird er enden, wie ein Gewitter endet. Du wirst ihn vergessen. Du wirst mir nicht dafür danken. Du wirst mich dafür wahrscheinlich noch kritisieren. Ich werde damit leben müssen, dass alles, was ich tue, niemals ausreichen wird. Aber ich werde nicht vergessen. Für mich ist das hier ein Sturm, der einen Teil von mir selbst mit sich reißt. Und deswegen klammere ich mich mit all meiner Verzweiflung an diesen einen Gedanken, und zwar, dass ich gerade dabei bin, für Dich, jetzt und hier, die wichtigste Aufgabe zu übernehmen, die ein Mensch in diesem Augenblick für Dich machen kann: Nicht loszulassen.

Ich bereue nichts

2009 wurde mir das Aufenthaltsstipendium in Schwaz bei Innsbruck zuerkannt. Ich weiß noch: Es war einer der ersten Anrufe auf meinem damals noch neuen Handy, und ein freundlicher Herr mit sympathischem Dialekt teilte mir die frohe Kunde mit. Meine Stimme überschlug sich vor Freude, und ich sagte zu.
Bald darauf die Ernüchterung: Ich bekam auf der Arbeit keine zwei Monate am Stück frei. Alles Verhandeln und der Gebrauch der damals noch nicht so geläufigen Vokabeln Sabbatical und Work-Life-Balance halfen nicht.
Also kontaktierte ich den Stipendiengeber: Ich könne wochenweise in Schwaz sein, meinen Urlaub von zwei Jahren dafür nehmen und das Stipendium zeitlich „strecken“. Doch darauf ließ er sich nicht ein. Ich solle ja zur Ruhe kommen und konzentriert an meinen Projekten weiterarbeiten können. Wie ich Ruhe finden sollte, wenn ich meinen Job gefährdete oder kündigte, war mir allerdings nicht ganz klar.
Aber das machte alles nichts, denn just in dieser Zeit wurde meine Freundin schwanger und neun Monate später waren wir Eltern. Zwei Jahre später dann ein Geschwisterchen. Und bald schon die Einsicht, dass das nicht leicht werden würde mit dem literarischen Leben, obwohl sich für das Schreiben nun ganz neue Themen erschlossen.
Um Preise bewerben? Ja. Um Residenz-Stipendien? Vergiss es, erst recht nach der Trennung und dem neuen Status als alleinerziehender Vater mit einem von beiden Kindern. Was war mit dem Traum vom Lesen, Schreiben, Reisen – diesem Akkord, meiner Definition von Glück? Verschoben auf das Lebensendzeitstipendium, Rente genannt? Wer wird sich dann noch für meine Machwerke interessieren?
Doch wie ein Süchtiger an seinen Stoff kommt, trotze ich dem Leben Schreibzeiten ab: In der Tram, im Zug, in den Mittagspausen, an den Wochenenden, im Urlaub. Usedom – wo sich die zerrissene Familie zu gemeinsamen Urlauben trifft – ist mein neues Schreibexil geworden: an den Vormittagen, wenn das Kind, mittlerweile jugendlich, noch schläft und dann zu Kindesmutter und Schwester in deren FEWO wechselt und ich später nachkomme. Nach ein paar geschafften Seiten. Man kann gut abschalten auf diesem entlegenen Fleckchen Land, und Literaturtage gibt es auf Usedom auch. Die habe ich noch nie besucht. Wegen des Brotberufs. Den ich nicht kündigen kann. Wegen der Kosten für zwei FEWOS dreimal im Jahr. Unter anderem.

Wenn ich groß bin, will ich aber nicht so eine Arbeit wie du!

Jedes Mal, wenn wir an einem schönen Haus vorbeilaufen, sagt meine Tochter, wie schön es sein müsse, darin zu wohnen.

Sie haben bestimmt ein Kamin darin und eine schöne Aussicht.
Ich rate ihr: Dann musst du eben Ärztin oder Anwältin werden, dann kannst du dir so ein Haus kaufen. Ich weiß, dass sie weder Ärztin noch Anwältin werden will, sie findet beides
schrecklich.

Nee, Ärztin werde ich nicht, ich werde Anwältin.

Dann musst du Jura studieren und viele Gesetzestexte auswendig kennen und viel lernen.

Jura? Was ist das? Nee, ich will lieber so eine Arbeit wie Tante.

Tante hat die Stelle auch nur durch Zufall bekommen, sie hat etwas ganz anderes studiert.

Echt?

Ja, sie hat eigentlich Übersetzen studiert. Chinesisch und Arabisch.

Das wusste ich gar nicht. Egal, ich will aber in so einer Firma arbeiten wie Tante. Das Gefühl, nicht gerade ein Vorbild für das eigene Kind zu sein, was die Berufswahl anging, traf mich diesmal etwas härter. Ich stelle mir, vor wie mein hochsensibles Kind später in einem Konzern arbeiten und so tun wird, als sei sie zufrieden mit ihrem Leben. Gleich zwei mittellose durchgeknallte Eltern zu haben, muss schon eine Bürde sein. Ich konnte wenigstens auf eine wohlhabende Familienzeit in meinen ersten acht Jahren zurückschauen
mit Kindermädchen, Urlaub, Villa am Strand, Hochzeiten, riesigen Familienfesten, Liebe von allen Seiten – aber sie? Eine Mietwohnung nach der anderen. Urlaub? In elf Jahren zweimal. Das ist bescheiden. Wir besuchten eben mehr Freunde oder gingen auf Festivals mit ihr. Aber sie tut mir leid, irgendwie. Nicht nur wegen Corona, nicht nur wegen ihren durchgeknallten Eltern, nicht nur wegen ihrer chronischen Krankheit, nicht nur wegen ihrem
Dasein als Einzelkind, nicht nur wegen dem Ausbleiben einer Einladung zu einer Hochzeit in elf Jahren, nicht nur weil das Treffen mit Freundinnen die Ausnahme statt die Regel ist. Diese Kindheit ist so anders als meine eigene, dass es mir schwer fällt, sie als schön zu empfinden. Ich werde meinen Job trotzdem nicht wechseln. Jedes Mal, wenn ich sage: Ich habe eine gute Nachricht, fragt sie, hast du einen Job bekommen? Habe ich ihr meine Existenzangst vererbt? Wie oft fragte ich mich, ob unsere bescheidene Behausung der Grund sei, warum sie keine Freundin nach Hause einlädt.
Nach neun Tagen Quarantäne musste ich mit ihr in die Klinik. Als wir nach drei Tagen nach Hause durften, sagte sie, sie wolle lieber in der Klinik bleiben, einfach mal was anderes sehen. Urlaub in der Kinderklinik sozusagen.
Diese triste Kindheit von mittellosen Eltern, was wird sie mit ihr anstellen? Werden diese Kinder uns eines Tages als zu offen und egozentrisch und sich selbst als konservativ bezeichnen? Werden sie ein Kredit aufnehmen, um auf einer Privatuni zu studieren? Die Kinder der 68er wurden ja die größten Spießer, sagt man, vielleicht wird meine Tochter ja in einer Bank arbeiten, um immer Geld um sich zu haben und die Kontrolle darüber. Wenn auf
Menschen kein Verlass ist, muss es wenigstens aufs Geld sein. Wird sie auf ihre innere Stimme hören, die vielleicht gerne etwas ganz anderes gemacht hätte, etwas nicht wirklich Lukratives? Wie bringt man Kindern bei, dass Geld nicht glücklich, aber vielleicht etwas
sorgloser macht?

confession

vertrauen darauf dass sich etwas verschiebt sich in zellen die körper bilden jeden tag verschiebendes zusammenlegt diesen körper zu bilden und dass zellen aus dem körper fallen und (vielleicht ich) neue körper bilden vertrauen darauf dass die zellen (dieses und außerhalb dieses körpers) wissen wo sie die stoffe finden dass und sie sich verschieben etwas bilden können dass sie aus teilchen (vielleicht ich) leerer als luft und licht bestehen vertrauen darauf dass (und wo)

Trans it!

Babes, hört mir genau zu. Ich weiß, für viele ist es nichts neues, für einige ist es nervig, für manche bedeutet es Tod und für zu viele bedeutet es Gewalt! Die Künstlerin faulenz*A singt „Schule ist ein Gewaltraum“, ich stimme mehr als zu. Institutionen sind Gewalträume.

Mein siebenjähriges Kind erzählte mir vor einigen Tagen von einer Schulhofdiskussion. Er wurde gefragt, ob er schwul sei oder schwul und behindert, weil: wer schwul ist, sei behindert, und schwul sei ein Schimpfwort. Er fragte sicherheitshalber nochmal nach: „Mama, du hast doch gesagt, schwul ist kein Schimpfwort, sondern wenn ein Mann in einen Mann verknallt ist?“ Ich versuche umständlich zu bestätigen und ihm alles gut, aber einfach zu erklären. Das gelingt mir immer nur mäßig, aber wir sprechen. Wir sprechen über seinen behinderten Opa, über seine bisschen behinderte Mutter, über den guten Freund von Opa, der schwul und behindert ist, über meine Freund*innen, die schwul oder behindert oder lesbisch oder transident sind, und ich verfalle in meine Vereinfachung und sage, manche Leute sind „altmodisch“ und denken, ein Mann müsse als Mann mit Pimmel geboren sein und für immer männlich bleiben und eine Frau lieben, die als Frau mit Vulva und Gebärmutter geboren ist, und zusammen müssen sie dann die Keimzelle des Faschismus bilden: die Kleinfamilie. Dann flippe ich aus und rufe: „Manche Leute sind einfach scheiße.“ Mein Kind ist schon wieder beim nächsten Thema, diese neue Pokémon-Karte, die fake sei, aber trotzdem schön, und er könne damit jetzt auch angeben und nicht nur sein Freund. Ich komme gar nicht hinterher mit meinen moralisierenden aufklärenden Einordnungen („… aber du musst doch nicht angeben und wofür angeben …“). Ich höre auf zu sprechen und beiße wütend in sein restliches Schulbrot. SCHWULBROT denke ich und daran, dass ich neulich gerne alle Eltern auf dem Schulhof mit „MOINSEN IHR HURENSÖHNE“ begrüßt hätte, denn das Wort kam nun auch im zweiten Halbjahr der ersten Klasse auf. Ebenso wie Bastard („Was ist das? Bastard?“ – „Du bist ein Bastard.“) und ficken, und auch wenn wir heute Morgen am Frühstückstisch über den Versprecher „In Fickenwerder gibt es auch ein Freibad“ lachen mussten, bin ich nicht nur wütend. Ich bin so traurig über diese andauernden Debatten über misogyne Tiraden, über homophobe Äußerungen, über die Gewalt, die queere Menschen erfahren müssen, über ihre Narben und blauen Flecken, ihren Tod und über die Menschen, die das alles für frühsexualisierte Indoktrinierung halten, wenn man Kindern (und sich selbst) ein nichtbinäres Weltbild (oder Menschenbild) zu vermitteln versucht. Dabei hören die sorgenvollen MÄNNER UND FRAUEN „Ich habe ein Bordell, und der Name meiner Liebsten ist Layla, sie ist hübscher, jünger, geiler“ auf ihrem 46. Geburtstag oder lesen „In stillen Nächten“ von Lindemann. Dann lieber Katja Krasavice, die selbstbestimmt reiten möchte wie im Märchen als Schneeflittchen „Doch anstatt in ein’ Apfel beiß ich in die Eier rein.“

Babes, worauf ich eigentlich hinauswollte:

Einmal habe ich in der Kita gearbeitet und ein Junge zog seine rosa Glitzerschuhe an. Der Erzieher sagte ihm, dass er davon schwul würde. Ich fiel gradezu in Ohnmacht und ihm dann ins Wort.

Einmal hat eine Kollegin zu mir gesagt, dass Männer wie Männer erzogen werden sollten und nicht wie Frauen.

Meine Mutter hat zu mir gesagt, ich solle sportlich sein und wie ein Junge herumlaufen, aber nicht lesbisch sein, das wäre schmutzig, und auch nicht wie eine Hure aussehen.

Es gibt Mädchen- und Jungenecken in Kindertagesstätten.

Die Jungs spielen Fußball und die Mädchen spielen Pferd.

Die Jungs tragen keine Kleider (vielleicht in eurer Bubble oder mal zum Spaß), die Jungs müssen hart sein, nicht weinen. Die Mädchen sind lieb und tragen rosa. Sie dürfen zart sein.

Ganz tief in dir drin – überleg mal, was ziehst du deinem Kind an? Warum? Was spielt dein Kind? Warum? Was spielst du mit deinem Kind? Warum? Was erzählst du deinem Kind für Märchen? Warum? Wird immer die Scheiße mit der Prinzessin und dem Retter erzählt? Warum?

Babes, was ich eigentlich sagen will, wer eine offene Welt möchte, solidarisch sein möchte mit den Menschen, die queer sind, die Kämpfe kämpfen, von denen wir nicht mal ahnen können, wie sie sich anfühlen (ja, mit wir meine ich natürlich mich, relativ hetero, Cis, und die anderen aus diesen Polen des Spektrums), der transidenten Menschen ein sicheres Umfeld bieten möchte, der homosexuellen Menschen ihre Angst nehmen möchte, der muss sich stets befragen, in Frage stellen, man kann das mit diesen Regenbogenflaggen machen, wenn man das will, und es ist ein Anfang, aber man muss es im Alltag mitdenken, man muss mit dem eigenen Kind sprechen, Verantwortung übernehmen, muss sich selbst analysieren und kennen, muss lieben und zuhören und vertrauen, denn dann beginnt Transit.

literaturwettbewerbe sind gesellschaftliche luftlöcher

-chor der pflegenden autor*innen*-

 

was mache ich,

wenn ich genommen werde

nicht, wenn ich gewinne, denn

wie überhaupt teilnehmen

 

meist mache ich fehler

beim lesen beim schreiben beim sprechen

bin nervös nicht wegen dem text,

(ach, der text!) hier geht es um teilhabe

konkret: überhaupt präsent sein

(warum geht es nicht auch digital?)

 

to do list vor dem auftritt:

nochmal anrufen & erklären

das einführen der sonde

die pillen der therapeutentermin

(nicht vergessen!)

bis ich alles erledigt habe

ist der auftritt vorbei

 

um mich (von der mental load)

abzulenken baue ich

luftschlösser schicke

bewerbungen zu wettbewerben

aber: was mache ich

wenn ich genommen werde

 

*pflegende autor*innen bezeichnet menschen, die neben ihrer autorenschaft andere versorgen

 

Other Writers trifft Café Entropy: Sibylla Vričić Hausmann, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Blog Café Entropy

In dieser Hinsicht recht unreif, liebe ich die süßen Verführungen der Cafés. Eis, Kuchen, Waffeln, Palatschinken – letztes Jahr im Spreewald habe ich Hefeplinsen entdeckt. Ein Traum! (Ein beliebter Ausspruch von E.s ehemaliger
Grundschullehrerin, der mir wohl für immer im Kopf herumgeistern wird, um meinen Tinnitus zu übertönen … im Traum, im Traum!) Von daher passen meine Kinder und ich, was Cafés angeht, gut zusammen. Meist würde ich zwar, in ihrem Beisein, gerne noch etwas länger am Cafétisch ausharren als sie. Doch entspannt alleine dasitzen und stundenlang lesen oder arbeiten: Das klappt bei mir auch nicht. Dafür strengen mich öffentliche Räume zu sehr an.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich, seit du ein Kind / Kinder hast?

Vielleicht könnte man sagen, dass mir durch das Kinderhaben bewusster geworden ist, was es heißt, sein Geld mit einem Knochenjob zu verdienen. Servicekraft im Café gehört definitiv zu den Knochenjobs. In der Mutterrolle in Cafés gehen gefällt mir, weil ich mich dann in der Service-Kette nicht ganz am oberen, nutznießenden Ende befinde. Immerhin kümmere ich mich noch um meine Kinder – da bin ich weniger beschämt. Denn Bezahlen gilt, finde ich, nur bedingt.

Wie verändert es deine Café-Zeit, wenn deine Kinder dabei sind?

Wir bekommen mehr allgemeine Aufmerksamkeit, verbrauchen mehr Servietten, ich muss über Softdrinks diskutieren und mich manchmal für einen Rest Eis oder Kuchen hergeben. Wenn ich mir nur einen Espresso geleistet habe, freut mich das natürlich.

Eine Kooperation mit Café Entropy – Literatur- und Fotoblog.

 

Es geht mir sehr gut,

sagt eine Infografik in der ZEIT. Ich bin ein dunkel- oder blasser blauer Punkt auf dem Gehaltsvergleichsstadtplan. Dunkelblau ist Premium, rot gefährlich. Wo ich wohne, da wird richtig Geld verdient – und ich darf mich im Blaupunkt-Gutverdiener-Glückshormone-Kiez so fühlen als ob. Und will nicht daran denken, ob mein Irgendwieverdienen ein echtes Supertollverdienen vom noblen Dunkelblau zu Mainstreamblau verwässert hat. Will nur daran erinnern, dass auch über hundertmarkscheinblauer Lebensstandardvisualisierung seit Wochen grauer Himmel dominiert.

Das mit den azuren Werten dürfte meinem schulanfängeralten Sohn gefallen. Und mich fragen, was meine Lieblingsfarbe sei. Und, sobald ich Antwort gegeben hätte, sagen: Ich weiß. Orange. Oder Orange bis Gelb. Wie bei den Apfelsinen, die er nicht isst, doch deren Saft er trinkt. So ein Orange dringt auch in unser Leben. Die Tulpen, die dort in Vasen stehen, wo ich gerade schreibe (und wo ich meist gerade schreibe, wenn auch verquer), weisen orange Töne auf. Und orange Punkte gehen in die Klasse meines Großen (der das „Konzept“ von Armut theoretisch kennt), und orange Punkte betreuen meinen Kleinen in der Kita. Und rote Punkte sitzen an den Kassen in den Supermärkten, und orange Fahrzeuge holen all die Hüllen ab, die wir ständig ablegen, nicht brauchen für unsere Metamorphosen vom Gleichen zum Selben. „Aber Orange!“, würde der Kleine hingerissen schreien, mit einer Handvoll Silben für Orangewerte plädieren. „Wo ist Müllauto, wo ist Kehrmaschine?“ (in Gutverdiener-Hochdeutsch übersetzt). Und ich kann oft nur sagen: Weiß nicht, hat sich im Blauen verloren. Wollen wir was malen? Am besten alles rosa. Mit orangen Sommersprossen.

„Tochter*Sohn“ schreiben / „Mutter*Vater“ schreiben

Mein Vater gratuliert mir zu meinem Video anlässlich des Lesens um den Dresdner Lyrikpreis. Er schreibt: „Gut gemacht, mein Sohn!“ Und ich frage mich seit langem einmal wieder, was er damit eigentlich meint? Und wen? Ich komme auf irgendwas von früher, etwas sehr Sohnhaftes, auf Dinge am Anfang meines Lebens, etwas bereits Vergangenes. Eine Verbindung, bei der ich Angst habe, dass sie auch zwischen mir und meinen Kindern irgendwann vergeht.
Ich kann die Frage nicht beantworten, wann ich eigentlich meiner Meinung nach aufgehört habe, richtig Sohn zu sein (für den väterlichen Teil). Vielleicht mit der Geburt meiner Kinder, für die sich mein Vater, also ihr Großvater, bis heute nicht sonderlich interessiert. Mit der Geburt seiner Enkel, als Großvater in Theorie, für die ihm noch mehr die Vorstellungskraft zu einer Rolle fehlt als für mich und meine Geschwister? Vielleicht habe ich mein Sohn-Sein abgegeben an meine eigenen Kinder, zusammen mit der Hoffnung, selbst Vater zu bleiben, ein Großvater zu werden, vielleicht.
Und ich wundere mich kurz über das Fehlen der Erkenntnis, über eine augenscheinliche Einseitigkeit des Verlustes, zumindest aber über die feste und doch traurige Behauptung, dass ich immer noch vollständig Sohn sei. Dabei enden unsere wenigen Gespräche seit vielen Jahren in etwas anderem als einer Übereinkunft oder einer Idee, die von einer Vater- oder Sohn-Person getragen wird.
Selten ist man machtloser als im Tochter- oder Sohn-Sein. Der Bezeichnung, der Nennung. Wir alle haben das Gefühl, in den Filmen, die wir schauen, den Büchern, in denen sich jemand von seinem Kind-Sein losspricht, freischreit, dass sie*er dies vergeblich tut. Die Biologie ist ein Steinchen, das als Totschlaghammer funktioniert, für viele ein Metallschloss mit Bolzen. Nur in wenigen Beziehungen glauben wir mehr an Biologie als hier.
Zurück zur Nachricht. Hinzu kommt, dass die Rolle als Vater für ihn ganz ausschließlich im Guten funktioniert. Immer muss man sich vor einem Stolz ducken, ein Ruhm sein ohne späteren Verdienst. Ich bin ihm nicht böse, es mangelt mir nur inzwischen selbst an Willen. Und der Resignation vor der Abwesenheit einer Abstufung dieses einen Begriffs: Vater. Weniger gibt es nicht, allein schon aus Schutz. Ich stelle mir eine Umbenennung durch meine Kinder von „Vater“ zu etwas anderem vor. Grauenhaft, ein zementierter Vorgarten als Gefühl. Es mangelt uns an Sprache aus Rücksicht.
Was bleibt, sind Versuche. Ich schreibe „Va“ im Versuch, zu entsagen, in Nuancen zu entsohnen. Es fehlt eine Alternative, eine Abstufung, in der Dinge wie Präsenz, Gegenseitigkeit, Zuneigung und Zeit Berücksichtigung finden, auch wenn sie verletzen. Denn es würden in anderen Fällen, nicht dem meinen, auch bösere Dinge eingehen.
„Retav!“, „Vraet!“. Auf beiden Seiten. „Onsh!“, „Nosh!“. Mir fehlt ein Wort für „Sohn“, das die dunkle Aufregung ausdrückt, in die ich im Bemühen um Beziehung manchmal gerate.