Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (II)

Liebe Jenny,

sehr eindrücklich, deine Schilderung der Szene im Supermarkt. Man spürt, dass du Situationen wie diese gut kennst, während ich, als ich den Vater mit seiner Tochter im Café beschrieb, lediglich passive Beobachterin war. Selbstironie, Überforderung, Wut – ich kann mir vorstellen, dass der Grat zwischen alldem häufig schmal ist. Du schreibst, dass du erleichtert bist, dein Kind zumindest bei deinem Partner gut aufgehoben zu wissen. Bist du da nicht ziemlich streng mit dir? Ich könnte mir vorstellen, dass er umgekehrt ganz ähnlich denkt. Woher kommen diese hohen Ansprüche an dich, was meinst du? Bist du in Bereichen, die nicht deine Mutterschaft betreffen – in deiner Kunst etwa –, genauso selbstkritisch?

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Take Care: Katharina Korbach & Jenny Schäfer (I)

Liebe Jenny,

ab und zu, wenn meine Wohnung mir zu eng wird, arbeite ich um die Ecke im portugiesischen Café. Das Café – mein Fenster zur Welt, das in den letzten Monaten zeitweise auf Bildschirmgröße geschrumpft ist. Am liebsten sitze ich an dem wackligen kleinen Tisch mit dem Rücken zur Wand und unverstelltem Blick in den Raum hinein, wo ich mir einbilden kann, zu beobachten, ohne beobachtet zu werden, unter Menschen zu sein und trotzdem für mich.

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Take Care: Dima Sehwail & Sara Ehsan (III)

Liebe Dima,

vor der Jugendsprache und ihren Auswirkungen auf die Literatur habe ich keine Angst. Sprache ist etwas Lebendiges und war schon immer in ständigem Veränderungs- und Anpassungsmodus, wie die Pflanzen, die sich auch an ihre Umgebung anpassen, das Organische an ihr liebe ich sehr. Es ist natürlich Geschmacksache, aber gerade Jugendliche brauchen Sprache als Abgrenzung zu den langweiligen deprimierenden Erwachsenen, die sie nicht werden wollen. Ich kann mich erinnern, dass ich als Jugendliche auch gerne für damalige Zeiten provokative Wörter wie „geil“ benutzt habe, es hatte etwas Anrüchig-Sexuelles, sodass man komisch angeschaut wurde, doch diese Bedeutungsebene ist im heutigen Verständnis völlig verschwunden.

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Take Care: Dima Sehwail & Sara Ehsan (II)

Liebe Dima,

du sprichst viele schöne Dinge an wie die Muttersprache, die arabische Musik. Ich habe schon immer Musik aus der ganzen Welt gehört und liebe die traditionelle iranische Musik und glaube, dass meiner Tochter weitergegeben zu haben, obwohl sie die klassisch-europäische Musik lieber hört. Sie findet die Art des Gesangs bei uns lustig und befremdlich, wie ich auch als Kind. Ich hoffe, du wirst weiterhin arabische Musik hören, mit oder ohne Kinder, und ihnen auch arabische Geschichten vorlesen. Sie werden es dir vielleicht danken und es zu schätzen wissen, wenn sie groß sind.

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Take Care: Dima Sehwail & Sara Ehsan (I)

Liebe Dima,

ich schreibe dir während der Zeit, in der meine Tochter in der Schule ist. Vormittags ist neben abends, nachdem sie ins Bett geht, meine Hauptarbeitszeit. Manchmal kann ich mich auch während ihrer Hausaufgaben an den Schreibtisch setzen. Ich empfinde oft die Zeit, in der ich kochen und putzen muss, als Vergeudung. Das finde ich schade, denn ich würde gerne z.B. „lustvoller“ kochen und nicht nur, um satt zu werden, aber ich muss ständig an meinen Schreibtisch denken.
Seitdem ich nicht mehr im Angestelltenverhältnis arbeite, das ist schon seit einem Jahr, ist das Schreiben meine Hauptaktivität. Der Wunsch nach diesem Leben war immer da, aber nicht die Möglichkeit, die Zeit, die Kraft dazu. Ich bewerbe mich aber auch weiterhin für eine Stelle, denn ich will finanziell unabhängig sein. Ich merke, wie ich jetzt viel entspannter und resilienter gegenüber all den schwierigen Zeiten in meinem Leben bin. Ich wäre der glücklichste Mensch, wenn es meiner Tochter dabei auch gut gehen würde.
Manchmal frage ich mich, was sie wohl über mich denkt, was sie vermisst, welche Aufmerksamkeiten ich ihr vielleicht verwehre, aber dann denke ich mir, was für ein Geschenk das für sie ist, eine Mutter, die nicht jeden Tag müde und genervt von der Arbeit um fünf nach Hause kommt, eine die immer Zuhause ist, das Essen steht immer warm auf dem Tisch, außer sie geht zu Lesungen oder Stipendienaufenthalten, bei denen sie bald mitkommen darf, die ihren Beruf liebt und schwer dafür arbeitet. Das Schreiben bringt soviel Organisation und Planung mit sich, Berge von Anträgen, und Absagen und ab und zu das Glück, doch eine Zusage zu bekommen.

Wie geht es dir als Autorin und Mutter, und wie als Autorin mit Kindern in Deutschland? Du schreibst hauptsächlich Kinder- und Jugendbücher, aber auch Gedichte auf Arabisch. Was sagen deine Kinder dazu? Haben deine Bücher etwas mit deiner Rolle als Mutter zu tun, gibt es auch eine Autorin als Figur?

Herzliche Grüße

Sara Ehsan

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Take Care: Martina Hefter & Sibylla Vričić Hausmann (III)

Liebe Martina,

in deinem Brief sprichst du ein Thema kritisch an, das für Other Writers zentral ist: Das „Nachdenken über Aspekte der Kunstausübung“ – wie du es so genial nennst. Eigentlich ist das ja der Kern des Blogs: Unter welchen Umständen schreibe ich? Warum geht das so schwer zusammen, das Schreiben und Kinder großziehen? Pragmatismus ist bei diesen Fragen ganz sicher der richtige Ansatz, wenn es um konkrete Fälle, um die Ausrichtung des eigenen Arbeitsalltags geht. Ja, das ist es, das muss ich ganz ehrlich sagen, was mich auch ein bisschen Distanz halten lässt zu Projekten, die strukturelle Schwierigkeiten dokumentieren, wie eben unser Blog. Weil das – ehrliche und voll gerechtfertigte – Lamento eben auch entmutigen kann. Und irgendwie muss ich ja mit meinem Leben und mit meinem Schreiben zurande kommen. Reflexion hat auch Grenzen, es muss sich was ändern. Und wenn es erstmal nur Lösungen im Kleinen sind, sie müssen her, jetzt. (Und dann, an gewissen Punkten, immer für eine Weile, gibt es noch den „Zustand der Akzeptanz“ – der auch Energien freisetzen kann. Aufhören zu kämpfen. Eigenes Ding machen. Sich nicht verzetteln.) Ein uraltes Problem. Reden über Probleme ist unverzichtbar, aber es gibt auch Grenzen des Redens. Es gibt auch Gespräche, die verpuffen, weil sie dann doch nichts zu verändern vermögen. Oder die schlimmstenfalls sogar so viel Energie rauben, dass es danach erst recht an Tatkraft fehlt.

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Take Care: Martina Hefter & Sibylla Vričić Hausmann (II)

Liebe Martina,

ich habe mich so gefreut, deinen Brief zu erhalten! Ich schätze deine eher positive, optimistische Perspektive auf das Care-Thema sehr und finde es wichtig, dass wir uns hier im Blog über gelungene Modelle der schriftstellerischen Mutterschaft oder des mütterlichen Schriftstellerinnentums austauschen. (Du siehst schon, mir fällt es auch schwer, die richtige Bezeichnung zu finden. Am liebsten mag ich momentan die offene englische Wendung „Writing with Care“.) Das ist es ja, worum es am Ende geht. Zu zeigen, dass Kinder aufziehen und künstlerisch arbeiten sich nicht gegenseitig verbieten, sondern dass diese Kombination verbreitet ist und zudem wunderschön und konstruktiv sein kann. Für Personen jeglichen Geschlechts. Dass das aber durch äußere Strukturen wahrgenommen, unterstützt und gefördert werden muss. Das Lebensglück von vielen kleinen und großen Menschen hängt schließlich daran. Dass deine Kinder dir sagen, sie hatten eine glückliche Kindheit, ist wunderbar! Ein größeres, tolleres Kompliment kann ich mir als Mutter (oder Elternteil) kaum vorstellen. Und auch du hast dich selbst „glücklich“ gemacht, indem du die Kunst parallel zur Mutterschaft mit vollem Ernst betrieben hast. Natürlich wäre es auch für die Kinder falsch gewesen, hättest du dir „ihnen zuliebe“, einer vermeintlichen „Stabilität“ zuliebe, einen Job gesucht. Es wäre falsch gewesen, weil es dir dann schlecht gegangen wäre. Bei mir selbst fällt mir ja immer wieder auf, wieviel zugewandter und kreativer ich im Umgang mit meinen Kindern bin, wenn es mir gut geht.

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Take Care: Martina Hefter & Sibylla Vričić Hausmann (I)

Liebe Sibylla,

wir haben schon so lang vor, uns über Schreiben und Kinder austauschen – ach nein, das ist falsch ausgedrückt. Wie sag ich eigentlich dazu – Schreiben mit Kindern? Oder Schreiben als Eltern? Weil meine beiden Töchter schon erwachsen sind (20 und 22 Jahre alt), scheine ich kein Gefühl mehr für einen passenden Begriff zu haben. Irgendwie denke ich bei “Schreiben mit Kindern” immer an kleine Kinder. Der Begriff “Kind” hat ja diese beiden Bedeutungen, einmal das (kleine) Kind, einmal – in einem übertragenen Sinn – die Verwandtschaftsbezeichnung. Meine Mutter sagt manchmal zu mir, dass ich immer noch ihr Kind sei. Da hat sie irgendwie recht. Auf das Schreiben mit erwachsenen Kindern kommen wir ja vielleicht noch später zu sprechen. Zuerst erzähle ich dir aber was aus der Perspektive von früher, als ich Mutter wurde bzw. als ich kleine Kinder hatte.

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Take Care: Drei Briefe an William Saroyan von Selim Özdoğan

Lieber William,

vor kurzem habe ich dein Buch Tja, Papa gelesen. Im Vorwort schreibst du an deinen Sohn: Ich beschloss dieses Buch zu schreiben, weil du mich 1953 als Zehnjähriger darum gebeten hast und weil meine Fähigkeiten 1918, als ich selbst zehn Jahre alt war, für das, was ich sagen wollte, nicht ausreichten.

Wie schön du diese beiden Zehnjährigen zusammen bringst. Du beschreibst aus der Sicht des Sohnes die Beziehung zwischen Vater und Kind, die geprägt ist von Fürsorge, Verständnis und Zärtlichkeit. Es steckt so viel Weisheit in den kurzen Kapiteln, die nie belehrend wirkt, und es steckt Trost darin, wie du den Schmerz, der für uns alle unausweichlich ist, begreifst und beschreibst.

Vielleicht sollten alle Schriftstellerinnen mit Kindern versuchen, so ein Buch für ihr Kind zu schreiben. Vielleicht auch nicht, vielleicht hast du ein besonderes Talent, eine Kinderwelt zu schreiben, das ist mir schon in deinem Roman Die menschliche Komödie aufgefallen.

Vielleicht liegt es daran, dass die Erinnerungen an deine eigene Kindheit schmerzhaft sind und sich diese Erfahrungen so tief in dir eingebrannt haben. Ein Kind, das mit drei Jahren seinen Vater verliert und dem die Mutter dann, bevor sie ihn mit seinen drei Geschwistern ins Waisenhaus gibt, sagt: Ich muss jetzt gehen, und du darfst nicht weinen. Du bist ein großer Junge. Erst einige Jahre später, als deine Mutter euch vier versorgen kann, wohnt ihr wieder zusammen.

Wie viel mehr als dein Vater konntest du deinem eigenen Sohn geben, einfach indem du da warst, und wie viel mehr konntest du ihm geben, weil du versucht hast, auf Augenhöhe mit ihm zu sein.

Ich habe dein Buch gelesen und mich unzulänglich gefühlt. Aber nicht auf eine hoffnungslose Weise. Wir versagen alle, aber das Buch rührt eine Saite in mir, die offenbar da ist. Ich danke dir dafür, dass du mich an sie erinnerst.

Herzlich

Selim

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Take Care: Lena Müller & Katharina Bendixen (III)

Teil I des Briefwechsels

Liebe Lena,

gleich kommen die Kinder zurück, sie waren für vier Tage bei den Großeltern. Zum ersten Mal seit J.s Geburt hatten D. und ich vier Tage für uns, und die Frage nach der Lebensform hat sich noch einmal anders gestellt. Diese vier Tage hätte ich ungern in einer Wohngemeinschaft verbracht. Es war wunderbar (und auch nötig), sich wieder in diese Welt zu begeben, die wir vor sechs Jahren freiwillig verlassen haben, wenn auch ohne zu wissen, was genau auf uns zukommen würde. Damals bestand unser Alltag aus Lesen und Gesprächen über diese Lektüren und über unsere eigenen Texte, aus Abenden mit DVDs, Kino, Theater (unvorstellbar im Moment), aus Spazierengehen oder Wandern, aus Kochen und Essen, manchmal gab es sogar Leerlauf … auch diese Aufzählung könnte lang sein. Und es ist ganz offensichtlich eine Aufzählung von zwei Einzelkämpfer*innen, Drinnies heißt das seit kurzem, glaube ich. Für die ist leider nur wenig Platz. L., der auch ein Drinnie ist, stößt im Kindergarten regelmäßig an alle möglichen Grenzen.

Wenn du von den verschiedenen Sphären schreibst, dann denke ich auch an Privilegien – einerseits an das Privileg, dass wir uns in dieser Form darüber austauschen können, andererseits an das Privileg, dass man sich die Form des Zusammenlebens überhaupt aussuchen kann. Dass man über die Summe verfügt, die in vielen Hausprojekten für den Einstieg nötig ist; dass man (vielleicht von den eigenen Eltern mitgegeben?) die nötige Gelassenheit und Sicherheit besitzt, um tolerant und großzügig mit den Bedürfnissen anderer umzugehen und dabei die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Das Privileg, überhaupt zu wissen, dass verschiedene Formen des Zusammenlebens existieren. Und ich denke auch an das Privileg, Zeit aufzuwenden, um mit den Widersprüchen umzugehen, die entstehen müssen (oder nicht?), wenn man in einer Gesellschaft, in der alles auf Konkurrenz ausgerichtet ist, in einer solidarischen Form zusammenleben möchte. Tausend Stunden Plena schreibst du, da wird mir ganz schwindelig. Von Mediationen, Supervisionen, Trainings in gewaltfreier Kommunikation habe ich auch in „Links leben mit Kindern“ und in „Solidarisch gegen Klassismus“ gelesen – Dinge, die zeigen, dass eben auch die Mitglieder in solidarischen Zusammenhängen von dieser Gesellschaft geformt wurden und dass die Gesellschaft sich ändern müsste, um wirklich solidarisch zusammenleben zu können. Eine einzelne kann da nicht viel ausrichten, oder ist das jetzt eine Ausrede von mir, um meine Ausbruchsfantasie als bloße Fantasie erscheinen zu lassen?

Jetzt habe ich das Bedürfnis, zu einer Conclusio zu kommen – als Mutter, Partnerin, Frau, auch als Autorin, damit dieser Text rund wird. Ich könnte auf den Mangel zurückkommen, auf die Fülle. Auf das Über-sich-hinauswachsen und die Ideologie, die darin verborgen ist. Eine Conclusio gibt es natürlich nicht. Es gibt nur verschiedene Wege, und die meisten sind einfacher, wenn man sie nicht alleine geht. (Und doch: Ich bin froh, dass nur D. dabei ist, wenn ich vor Wut die Besteckschublade zuknalle oder abends vor Erschöpfung weine. (Schon wieder die Wut.)) In den sechs Jahren meiner Mutterschaft bin ich verschiedene Wege gegangen, von denen ich einige heute nicht mehr betreten könnte: Ich könnte nicht mehr ohne widersprüchliche Gefühle stillen, und ich würde mich wahrscheinlich auch nicht mehr freuen, wenn die Kassiererin im Supermarkt mich an der langen Schlange vorbei nach vorne ruft, weil ich hochschwanger bin und draußen 40 Grad herrschen. Und wenn ich jetzt noch einmal in diesem sonnigen Hinterhof im Leipziger Osten sitzen würde, würde ich vielleicht danach zu D. sagen: „Lass uns auf jeden Fall zum nächsten Treffen hingehen. Lass uns dranbleiben, das klingt gut.“ Aber wer weiß, was dort mit uns zwei Einzelkämpfer*innen passiert wäre?

Es müsste mehr familienfreundliche Räume geben, schreibt Nikola Richter in ihren Beitrag in „Reproduktion Reloaded“, und ich stelle mir vor, dass die Gärten der Leipziger Kitas am Wochenende ihre Tore für alle Kinder öffnen. Ich stelle mir Höfe vor, die nicht durch Mauern voneinander getrennt sind, und damit sind wir wieder bei der Frage nach dem Besitz. Meinst du, dass es ideologiefreie Räume gibt, wie nahe seid ihr in eurer Wohnung diesem Ideal? Und möchtest du woanders leben, wenn dein Kind aus dem Haus ist? Sehnst du dich dann nach mehr Stille und Alleinsein, oder freust du dich gerade darauf, dich mit weniger Verantwortung anderen Kindern zuzuwenden, andere Kinder aufwachsen zu sehen?

Es klingelt an der Tür, die Kinder sind zurück.

Mach’s gut

Katharina

 

Liebe Katharina,

gestern war ich im Schwimmbad. Ich mag öffentliche Bäder. Vor allem das Stadtbad bei mir um die Ecke. Die prachtvollen Mosaike wecken seltsamerweise immer fröhliche, optimistische Gefühle in mir. Bei seiner Eröffnung 1914 galt dieses Bad in einem Arbeiter*innen-Stadtteil als eines der schönsten und größten Europas und empfing angeblich bis zu zehntausend Menschen täglich. Ich finde, darin blitzt etwas gelingendes Gesellschaftliches auf. Es blitzt auf, dass die Schönheit öffentlicher Orte zählt, vor allem auch in von engen Wohnverhältnissen geprägten Stadtteilen. Dass alle die Möglichkeit haben sollten, sich unter dem warmen Strahl des Wassers zu verschwenden.

Ich habe mich länger nicht gemeldet. Letzte Woche war die Kitagruppe in Quarantäne. Und statt ins Gemeinschaftsbüro zu gehen, das ich mit einigen Freundinnen teile, habe ich versucht, zu Hause zu übersetzen. Und es erinnerte mich schlagartig an letzten Winter im Lockdown, unerwartet beklemmende Gefühle kamen an die Oberfläche. Wie es ist, wenn die Gedanken eng werden, weil der Tag immer zu wenig Stunden hat für alles, was reinpassen muss, und die Abgabefristen im Nacken sitzen. Wenn alles andere wegrutscht und nur das Abarbeiten von Aufgaben bleibt.

Zur Zeit verlangt das Kind nach mir, ständig. Es kommt immer wieder zu mir, wenn ich mich zum Übersetzen an den Schreibtisch setze. Ich frage mich: Geht es ihm nicht gut? Mein ständiger Wunsch, dass das Kind doch zufrieden sein soll – und nicht traurig, nicht fordernd, nicht zornig, nicht über die Maße hilfsbedürftig. Da wäre ich gerne geduldiger und gelassener.

Ich sitze also in einer warmen Wohnung mit einem gut versorgten Kind und warte auf den Moment, in dem ich abgelöst werde und wieder an den Schreibtisch kann. Und muss daran denken, wie es wäre, mit dem Kind bei eisigen Temperaturen in einem Wald an der Grenze zu warten. Oft stelle ich mir vor, was es bedeutet, in einer solchen Situation für ein Kind und sich selbst zu sorgen. In einem Notlager, in einem Wald. Oder auch in einer der abgelegenen Aufnahmeeinrichtungen in Deutschland, wo kein Platz für Rückzug und Privatsphäre ist. Das sind einige der Gleichzeitigkeiten, die mich beschäftigen, wenn ich über Bedingungen der Sorge nachdenke, über Care und Rage. Das bleibt wie eine bohrende, unbeantwortete Frage im Raum stehen.

Wie kommen wir zum Ende? Du sagst, wir haben schon zu viel geschrieben. Also keine weiteren Fragen mehr, nur noch Antworten oder Aussichten. Du fragst nach meinen Plänen, wie es weitergehen wird. Ich weiß noch nicht, wie lange ich so wohnen werde wie jetzt. Weiterhin folge ich keinem speziellen Plan. Ich freue mich auf das Kind, das eine langjährige Freundin mit ihrer Freundin bekommen wird. Darauf, die Kinder beim Aufwachsen zu begleiten. Mal sehen, welche Räume es dafür noch braucht.

Es ist schön, einander nicht zu kennen und Briefe zu schreiben. Es geht um viel und wenig, Fragen werden aufgeworfen, Themen gestreift und wieder aus dem Blick verloren. Die Unübersichtlichkeit bleibt, aber dieses gemeinsame Nachdenken ist gut. Vielleicht sollte insgesamt mehr gefragt werden: Wie hältst du es mit der Sorge? Wie gestaltet sich dein Netz an Beziehungen? Was fällt hinten runter? Woran verschwendest du dich und wo?

Sei herzlich gegrüßt

Lena